Widerstand in Kenia: Ein Kandidat für die Aufmüpfigen
Früher prangerte er die Korruption und Straflosigkeit kenianischer PolitikerInnen an. Wenn am Dienstag ein neues Parlament gewählt wird, will Boniface Mwangi selbst einer von ihnen werden.
Als die Präsidentschaftswahl in Kenia 2007 in Mord und Vertreibung mündet, dokumentiert Boniface Mwangi als junger Fotojournalist die Geschehnisse. Abgeschlagene Hände, Macheten schwingende Meuten, verblutende Opfer am Strassenrand, Zerstörung. Die Erfahrung verändert sein Leben. Später stellt Mwangi die Fotos aus dieser Zeit auf einer Wanderausstellung aus: Ein geschocktes Land soll reflektieren und sich versöhnen, so das Ziel der Schau.
Mwangi hat die letzten neun Jahre damit verbracht, in medienwirksamen Aktionen Korruption, Straflosigkeit und soziale Ungerechtigkeit in seinem Heimatland anzuprangern, und damit mehr als nur ein paar hochrangige PolitikerInnen in Rage versetzt. Nun kandidiert der Sohn einer Strassenhändlerin am kommenden Dienstag selbst fürs Parlament. «Ich war es leid, dass mir niemand zuhört, dass bei uns Diebe im Parlament sitzen», begründet er seinen Schritt. «Also muss ich dort selbst die Stimme des Volkes sein.»
Der Social-Media-Star
Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Wahlversprechen des 34-Jährigen wenig von denen seiner teilweise zwielichtigen KonkurrentInnen: Jobs und Weiterbildungschancen sowie Stipendien für junge Leute, Bibliotheken in der Nachbarschaft, die Wasserversorgung verbessern, sich für die kleinen Leute einsetzen. Doch Mwangis Verdienste sprechen für sich. In Kenia ist der hitzige, selbstbewusste und unerschrockene Vater von drei kleinen Kindern einer der wenigen, die angesichts von Missständen den Mund aufmachen und sie aktiv bekämpfen. So trieb er etwa einmal blutige Schweine vors Parlamentsgebäude, um auf die exorbitanten Gehälter der Abgeordneten aufmerksam zu machen.
Boniface Mwangi polarisiert. Dabei beherrscht er als ehemaliger Journalist die Klaviatur der Medien perfekt. Fast eine Million Menschen folgen ihm in den sozialen Netzwerken. In Kenia wird solche Furchtlosigkeit schnell als Arroganz und Respektlosigkeit missbilligt – Autoritäten werden nur selten infrage gestellt. «Hätten wir mehr Aufmüpfige, wäre Kenia ein besseres Land», glaubt Mwangi.
Für seine Wahlkampagne hat er die Öffentlichkeit zu Spenden aufgerufen, in den ersten drei Tagen kamen rund 6500 Franken zusammen. Auf den ersten Blick erscheint das wahnwitzig: Viele WählerInnen sind es gewohnt, dass AnwärterInnen in Luxusautos bei ihnen auftauchen und Geldscheine verteilen, damit sie das Kreuz hinter den entsprechenden Namen setzen. Das ist zwar verboten, aber weitverbreitet. Mwangi läuft stattdessen zu Fuss durch seinen Wahlbezirk in Nairobi, statt Geld überreicht er Flyer mit dem Wahlprogramm, statt ethnische Parolen zu predigen, fragt er die Verkäufer von Secondhandschuhen nach ihren Problemen.
Doch nicht alle lassen sich durch einen Händedruck und das jungenhafte Lächeln des Kandidaten überzeugen. «Leute haben mir meine Flyer ins Gesicht geworfen, weil ich ihnen kein Geld gegeben habe», erzählt Mwangi. «Dann sage ich: ‹Wenn ich dir heute Geld gebe, kaufst du davon etwas zu essen. Morgen bist du wieder so hungrig wie vorher. Warum gibst du mir nicht den Job (des Parlamentariers)? Dann arbeite ich für dich und sorge dafür, dass du Arbeit hast und dir selbst etwas zu essen kaufen kannst.› Meine eiserne Regel: Ich kaufe keine Stimmen.»
Die Hoffnung der Jugend
Es ist schwierig, jemanden zu finden, der ausser der politischen Unerfahrenheit etwas gegen Mwangi vorzubringen hat. Er gilt als Mann von der Strasse, zugänglich und glaubhaft; seine Aktionen sind landesweit bekannt. Und: Er ist jung. 78 Prozent der KenianerInnen sind unter 35 Jahre alt, das Land hat die jüngste Wählerschaft in Ostafrika.
Weil kenianische Eltern seit Jahrzehnten auf der Suche nach Arbeit in urbane Zentren strömen, wachsen ihre Kinder mit einer loseren Verbindung zu ihren ethnischen Wurzeln und Überzeugungen auf: Mehr und mehr junge Leute in den Städten, vor allem jedoch solche mit höherer Bildung und Zugang zu sozialen Medien lassen sich immer weniger durch die Propaganda von PolitikerInnen beeindrucken, die das Wahlvolk manipulieren soll. Jahr um Jahr sind arme, arbeitslose und frustrierte junge Männer von PolitikerInnen mit falschen Versprechungen gelockt und als Unruhestifter bei politischen Auseinandersetzungen angeheuert worden. Auch bei der kommenden Wahl werden sich viele kaufen lassen, doch langsam dreht sich der Wind.
Für die Jugend mag jemand wie der junge Aktivist Mwangi zur richtigen Zeit kommen. Wie Toilettenpapier würden junge KenianerInnen behandelt, sagt er, sie würden benutzt und weggeworfen. «Sie sind billige Energie, um Politiker ins Amt zu heben. Danach sind sie vergessen.» Ihren Ärger darüber, sagt Mwangi, würden sie oftmals bequem im Internet rauslassen, aber nicht in konkretes Engagement münden lassen.
«Wenn ich gewählt werde, starte ich eine Graswurzelbewegung», verspricht er. «Ich will junge Leute zur Zivilcourage erziehen. Das Team Courage existiert ja schon: eine lose Verbindung von Leuten, die das Richtige tun wollen. Wir werden diejenigen blossstellen, die gegen die Gesetze verstossen. Als Abgeordneter habe ich eine andere Stellung als als Aktivist.»