Bergsturz im Bergell: Die Alpen pflegen, nicht aufgeben

Nr. 35 –

Kohle, Öl und Gas haben das Leben bequemer und sicherer gemacht – zumindest für einen privilegierten Teil der Menschheit. Das Heizen wurde einfacher, Kunstdünger erhöhte die Lebensmittelerträge, die Lebenserwartung stieg, man musste nicht mehr zu Fuss gehen, ganz neue Hobbys wurden möglich … Die Konsequenzen haben etwas von einer griechischen Tragödie: Was kurzfristig alles erleichterte, macht das Leben auf diesem Planeten langfristig sehr ungemütlich.

In Gebirgen sind die Folgen der Klimaerwärmung klarer und heftiger. Das ist nichts Neues, die Katastrophe von Bondo macht es nur brutal sichtbar. Auch wer keine Risikosportart betreibt und sich weit weg von Fels und Gletscher aufhält, kann binnen Sekunden zu Tode kommen. «Die Natur schlägt zurück», heisst es dann. Doch die Metapher von der Rächerin Natur hilft nicht. Denn wenn sie «böse» geworden ist, bleibt ja nichts anderes, als gegen sie zu kämpfen – und gerade das hat ja zur heutigen Situation geführt. Ohne all die ehrgeizigen Ingenieure, die die Erde in den letzten Jahrhunderten «eroberten», wäre die Ausbeutung ihrer Bodenschätze nie in diesem Ausmass möglich geworden.

Was tun? Sollen sich die Menschen aus den Alpen zurückziehen, die gefährlichen Täler sperren und die Besiedlung auf einige sichere, lukrative Resorts beschränken? Das wäre genau falsch. «Die Alpen halten in diesem stark von Städten geprägten Europa das Wissen offen, dass man mit der Natur nicht technisch umgehen kann», sagt der Alpenspezialist Werner Bätzing (siehe WOZ Nr. 3/2006 und WOZ Nr. 47/2014 ). Es ist wichtig, sich diese Erinnerung permanent vor Augen zu halten, sich an ihr abzuarbeiten. Natürlich müssen unmittelbare Gefahrenzonen gesperrt werden. Aber grundsätzlich sollte es darum gehen, die Alpen als Kulturraum zu hegen und zu pflegen. Und noch mehr: sie als Labor zu nutzen, um andere, nicht zerstörerische Lebens- und Wirtschaftsformen zu entwickeln – wie das Bätzing schon lange fordert. Denn wenn wir die Klimabedrohung in den Bergen verdrängen, holt sie uns auch im Flachland ein. Und zwar bald.