Durch den Monat mit Florian Vock (Teil 1): Was sagten Sie den Tucken und Schneeflöckchen?

Nr. 27 –

Der LGBTIQ-Aktivist Florian Vock steht offensiv und fröhlich zu seiner Homosexualität. Dass sich seine Botschaften gezielt an LGBTIQ-Jugendliche richten, hat aber auch traurige Gründe.

Florian Vock: «Ich wollte feiern, dass Differenz und Abweichung etwas Zauberhaftes sind.»

WOZ: Florian Vock, Sie haben letzten Monat an der Zürcher Pride eine tollkühne Rede gehalten. Ihre Anrede richtete sich an «liebe Frauen und Männer, liebe Dazwischen und Ausserhalb, liebe Tucken und Tunten, Butches, Twinks und Bären, liebe Queers, Buchstabenmenschen und Schneeflöckchen». Wo stecken Sie selbst in dieser Anrede?
Florian Vock: Ach, ich bin ein banaler Schwuler. Aber das ist nicht relevant. Mit der Anrede und der ganzen Rede wollte ich die Vielfalt unserer Community feiern. Den Stolz darauf, dass Differenz und Abweichung etwas Zauberhaftes sind. Denn in dieser Vielfalt leben so tolle Menschen wie Butches und Twinks oder Bären und Schneeflöckchen.

Wer zum Geier sind die «Bären»?
Schwule Männer, die gross und haarig sind. Ich selbst war vor zehn Jahren ein Twink: jung, dünn, etwas feiner gebaut und ein bisschen tuntig. Butches sind bewusst maskulin auftretende Lesben. Das sind eigentlich Pornokategorien. Der Begriff «Schneeflöckchen» stammt aus einem aktuellen US-amerikanischen Diskurs. Konservative Kreise werfen den nach 1990 geborenen LGBTIQ-Jugendlichen vor, zerbrechlich und einzigartig wie Schneeflöckchen zu sein, weil sie auf eigenen Identitätsbegriffen bestehen. Ich finde das einen sehr schönen Vergleich.

Aus Ihrer Pride-Rede spricht ein bemerkenswert entspanntes Selbstbewusstsein. Sie sagen etwa: «Ich stehe heute zu mir: in meiner ganzen Schwulheit, mit meiner ganzen Queerness.» Wie steinig war der Weg zu diesem Selbstbewusstsein?
Hinter dieser Rede stehen zehn Jahre Arbeit innerhalb der Community. Es ist ein langer und komplexer emanzipatorischer Prozess, zu seinem Schwulsein stehen zu können. Ich hatte dabei das Glück, von Anfang an Unterstützung erfahren zu haben. Zunächst vom engsten privaten Umfeld. Dann in der Juso, wo ich lange Zeit politisch tätig war, und von der Community, die mich in den letzten Jahren eng begleitet hat und zu meiner neuen Familie geworden ist. Da setzt auch der vielleicht wichtigste Punkt meiner Rede an – der Moment, in dem ich mich an jene wende, die zum ersten Mal die Pride besuchen: «Wir sind eure Familie.» Das ist eine ganz wichtige Botschaft.

Wieso gerade diese Botschaft?
Es gibt leider kaum Daten und Studien zu den Prozessen und Wegen, die hinter einem Coming-out stehen. Der Staat und die Mehrheitsgesellschaft haben schlicht kein Interesse daran. Etwas vom wenigen, was wir wissen, ist, dass die Suizidversuchsrate bei LGBTIQ-Jugendlichen in der Schweiz etwa fünfmal höher ist als bei heterosexuellen Jugendlichen. Das ist heftig und deprimierend. Umso wichtiger ist es, dass es innerhalb der Community Netze und Räume gibt, die LGBTIQ-Jugendliche in diesen Prozessen unterstützen können. Das war auch der Grund, weshalb wir 2012 die Milchjugend gegründet haben: eine Organisation für lesbische, schwule, bi-, trans*- und asexuelle Jugendliche sowie alle dazwischen und ausserhalb. Unsere Botschaft ist: «Du hast ein Netz, du hast eine Community, die dich hält und wo du Freundinnen und Freunde findest.»

Eine zentrale Rolle spielen dabei offenbar Orte und Räume, wo die Community zusammenkommen kann.
Das Konzept von Räumen, die vor gesellschaftlichen Übergriffen schützen, ist ja nicht neu. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts gab es in dunklen Bars im Zürcher Niederdorf Frauentreffs. Das hat eine lange Tradition.

Für mich war es ein sehr einschneidendes Erlebnis, als wir vor neun Jahren innerhalb der Juso beschlossen haben, eine LGBTIQ-Arbeitsgruppe zu gründen: die GaynossInnen. Das Gefühl, zum ersten Mal an einem Ort zu sein, wo man dazugehört, wo man anerkannt und gar in der Mehrheit ist, war sehr eindrücklich für mich. Es hat eine solche Freude ausgelöst, dass ich unbedingt mehr davon wollte. Und so ging es auch den anderen, die dabei waren. Auch aus diesem Ansatz heraus haben wir später die Milchjugend gegründet. Wir wollten eine Organisation sein, bei der viele Schneeflöckchen zusammen eine gesellschaftliche Lawine auslösen. Oder zumindest ein Iglu bauen für alle anderen LGBTIQ-Jugendlichen.

Und wie?
Wir wollen starke, selbstbewusste Jugendliche. Erst wenn LGBTIQ-Jugendliche in ihrer Klasse selbst hinstehen und ihre Realität thematisieren, wird es für die Mitschülerinnen und Mitschüler eine wahrnehmbare Option, dass es auch um sie gehen könnte. Und erst dann wird es spannend – und zum konkreten Alltag. Deshalb sehen wir uns bei der Milchjugend vor allem als Netz, das jene LGBTIQ-Jugendlichen unterstützt, die selbst etwas organisieren wollen. Wir stellen beispielsweise Infrastrukturen, Räume oder Informationen zur Verfügung. Aber wie ihre Sexualität funktioniert oder was genau jetzt ihr Geschlecht ist, das wissen die Jugendlichen doch selbst.

Der Aargauer SP-Kantonsrat Florian Vock (28) findet es völlig okay, wenn die Aktivitäten der Milchjugend – oder die Zeitschrift der Community, das «Milchbüechli» – unbekannt sind: «Wir wollen LGBTIQ-Jugendliche erreichen, alle anderen sind uns als Zielgruppe ziemlich egal. Spenden nehmen wir aber von allen gerne.»