Finis Germaniae: Als lebten wir in Disney World

Nr. 36 –

Soll man mit der AfD reden? Und was passiert eigentlich mit den Ängsten der von Rassismus Betroffenen?

Neulich sass ich auf einem Podium und kam mir etwas fehl am Platz vor. (Was an sich keine grosse Sache ist, weil mich dieses Gefühl durchs halbe Leben begleitet.) Eine Dame aus dem Publikum bat um ein Mikrofon, um mir und den übrigen RednerInnen mitzuteilen, wie langweilig sie es fände, dass wir über rassistische Stereotype und Darstellungen von MigrantInnen in Literatur und Medien sprachen. Jede Person, die mit sechs Jahren von Wien nach Hamburg gezogen sei, habe schliesslich eine Migrationsgeschichte, also sollten wir uns doch nicht so anstellen und diesen Migrationshintergrund bitte überwinden, um über die wirklich wichtigen Dinge zu sprechen.

Für einen Moment dachte ich, ich lebe in Disney World und nicht in einem Land, in dem in wenigen Wochen erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine explizit rechtsextreme Partei in den Bundestag ziehen wird. Was mich aber ebenso irritierte: Diese Dame war offensichtlich extra gekommen, um uns mitzuteilen, dass sie sich nicht für uns interessierte. Und dass wir mit unseren Befindlichkeiten schlicht übertrieben.

Ein legitimes Anliegen?

Natürlich wünschte ich, sie hätte recht und Herkunft wäre tatsächlich längst kein Thema mehr. Denn um ehrlich zu sein, unterhalte ich mich lieber über den Instagram-Account von Beyoncé als über Rassismus in Deutschland. Ja im Ernst, ich will eigentlich nur meinen Spass haben. Das Problem ist nur: Ich habe Angst. Vor meiner Haustür hängen Wahlplakate der Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei spricht eine glasklare Sprache. Und sie liegt bei Umfragen regelmässig auf Platz drei.

Ich frage mich ernsthaft: Was denken deutsche WählerInnen wohl, wenn AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland sagt, er wolle die sozialdemokratische Politikerin Aydan Özoguz «in Anatolien entsorgen»? Ist das so, wie wenn Opa wieder anfängt und alle einfach kurz weghören müssen? Oder ist das schon ein legitimes Anliegen, nur die Bildsprache ist halt ein bisschen überspitzt? Als Gaulands Parteikollegin Alice Weidel am nächsten Morgen im Frühstücksfernsehen zur Rede gestellt wird, sagt sie, die Ausdrucksweise sei «Geschmackssache», aber im Kern stimme sie der «Aussage» zu. Was aber ist die Aussage? Dass auch eigene Staatsangehörige in Zukunft ausgeschafft werden sollen, wenn sie sich der «deutschen» Kultur nicht angemessen unterordnen? Oder dass politisch aktive Ausländerkinder Müll sind und als solcher entsorgt gehören? Bin ich denn die Einzige, die sich den Kopf darüber zerbricht?

Nein, natürlich bin ich es nicht. Aber jedes Mal, wenn ich ein Gegenüber finde, das dieselben Sorgen teilt, kommt spätestens drei Sätze später ein Otto dazu, um unser Gespräch zu sabotieren. Um die Angst als Paranoia abzutun. Als sei das eigentliche Problem nicht, dass die AfD faschistisch und erfolgreich ist, sondern dass wir uns untereinander gegen sie solidarisieren. Allein das Wort «wir» zu benutzen, bringt regelmässig Leute zur Weissglut, die ich unter anderen Umständen als klug, aufgeklärt und nett beschrieben hätte.

Die grössere Gefahr

Eine Argumentation, die ich häufig höre: «Mit der AfD muss man auch reden. Wenn man sie ausschliesst, dann geht doch ihr Opfernarrativ voll auf.» Aber was bitte soll ihnen Anlass geben, sich ausgeschlossen zu fühlen? Ich kann und möchte dieses Narrativ von den abgehängten Opfern nicht verstehen. Wir sprechen hier von weissen DoppelhaushälfteneigentümerInnen, von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft. Wer bin ich schon, dass ich die Macht besässe, sie auszuschliessen? Und wie können sich diese Menschen von Geflüchteten abgehängt fühlen, die seit zwei Jahren in Blechcontainern am Stadtrand wohnen?

Und so entwickelt sich die grössere Gefahr vielleicht gar nicht direkt in und um die AfD selbst, sondern in der sogenannten Mitte, die sich verpflichtet fühlt, ihren WutbürgerInnen gegenüber Verständnis aufzubringen. Ihnen ihre «Ängste» zu nehmen, damit bloss keine Stimmen nach rechts verloren gehen. Was dabei aber vergessen wird: Auch Personen, die von Rassismus betroffen sind, gehen wählen. Für ihre Ängste aber bleibt in diesem Wahlkampf kein Platz. Sie sind nicht einmal berechtigt, weil wir in Disney World leben und Rassismus ein Hirngespinst von gestern ist.

Fatma Aydemir ist Redaktorin der «taz». 2017 ist ihr Debütroman «Ellbogen» erschienen.