Bulgarien: Vergessen an der Peripherie Europas
In Harmanli ist das grösste Flüchtlingszentrum Bulgariens. Weit über tausend Menschen harren hier unter widrigsten Bedingungen aus. Ihre Hoffnung auf eine legale Weiterreise ist gering.
Sie sitzen fest, manche seit über einem Jahr. Hier, in Bulgarien, dem ärmsten Land der EU, achtzig Kilometer nördlich der türkischen Grenze. Untergebracht in einer ehemaligen Militäranlage am Rand der Kleinstadt Harmanli. Letzten Herbst, als sich über 3000 Menschen im grössten Flüchtlingszentrum des Landes zusammendrängten, stand das Camp für einen kurzen Augenblick im Scheinwerferlicht der internationalen Medien: Rechtsnationale Gruppierungen hatten behauptet, vom Camp gehe eine Seuchengefahr aus, worauf die Behörden das Zentrum mit Stacheldraht von der Aussenwelt abriegelten. Die Eingeschlossenen protestierten.
Noch immer leben rund 1500 Geflüchtete in der Militäranlage, als wir im Juni 2017 in Harmanli eintreffen. Die Gestrandeten kommen zu etwa gleichen Teilen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Wir wollen wissen, wie es diesen Menschen geht, ihnen ein Gesicht, eine Stimme geben.
Weshalb sitzen sie immer noch hier fest? Wer in Europa Zuflucht sucht, soll in jenem EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen, in dem er oder sie zum ersten Mal einen Fuss auf europäischen Boden setzt. So regelt es das Dublin-Abkommen. In der Praxis bürdet dies Staaten wie Bulgarien, die an der EU-Aussengrenze liegen, einen Grossteil der Verantwortung auf. Dafür werden sie von Brüssel finanziell unterstützt. Gelder, die eigentlich dafür gedacht sind, die Geflüchteten menschenwürdig unterzubringen, zu verpflegen und möglichst rasch durch das Asylverfahren zu führen. In Bulgarien scheinen die Behörden diese Gelder indes lieber in den Grenzschutz fliessen zu lassen. Das Land soll als Fluchtroute oder Fluchtdestination so unattraktiv wie möglich gemacht werden.
Viele der im Flüchtlingszentrum in Harmanli gestrandeten Menschen sind immer und immer wieder von den bulgarischen Behörden beim versuchten Grenzübertritt verhaftet und auf türkischen Boden zurückgeschafft worden, bevor es ihnen gelang, in Bulgarien einen Asylantrag zu stellen. Ein Grossteil von ihnen verfügt mittlerweile über eine sogenannte Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen. Doch mit diesem Status haben sie kaum Aussichten, in ein anderes europäisches Land weiterreisen zu können. Denn dazu bräuchten sie ein Visum von einem dieser Länder.
Unser Kontakt in Sofia, ein Mitarbeiter des bulgarischen Helsinki-Komitees, hat uns davon abgeraten, das Flüchtlingszentrum in Harmanli zu besuchen. Man würde uns zwar hineinlassen, hat der Menschenrechtsaktivist gemeint. Aber Geflüchtete, die im Camp beim Gespräch mit AusländerInnen gesehen würden, drohten von der Polizei zusammengeschlagen zu werden.
Wir versuchen es also ausserhalb. Die Geflüchteten dürfen das Zentrum zwischen 9 und 18 Uhr verlassen. Und tatsächlich: Jenseits des Camps können wir überraschend schnell Kontakt herstellen. Ein älterer Afghane bemüht sich umgehend um einen Übersetzer, als er uns in einem kleinen Café vis-à-vis des Campeingangs als AusländerInnen erkennt. Sein Freund Ahmad Fahim, den er zunächst übers Handy zuschaltet, gesellt sich bald zu uns ins Café. Fahim ist Zahnarzt. Sein gutes Englisch hat er sich in einer Praxis in Dubai erworben, wo er vier Jahre lang gearbeitet hat. Geduldig übersetzt er viele Stunden. Um mit der Welt ausserhalb der Tristesse Harmanlis in Kontakt zu treten, scheuen die Männer keinen Aufwand.
Bald schliesst sich mit Aschraf Hamdaui – seinen richtigen Namen behält er lieber für sich – auch ein junger Syrer der Gesprächsrunde an. Um seine Familie kennenzulernen, verabreden wir uns für den nächsten Tag mit ihm. Am vereinbarten Treffpunkt haben sich dann gegen fünfzig Personen versammelt. Es hat sich rasch herumgesprochen, dass wir uns für die Situation der Geflüchteten interessieren. Aus der Versammlung ergeben sich zahlreiche weitere Gespräche. Einige lassen sich auch von der Kamera porträtieren. Ihre schwersten, aber auch ihre erfreulichsten Fluchterfahrungen haben wir hier festgehalten.
Mitarbeit: Roman Enzler und Franziska Meister.