Biel: Aufstand gegen den Ausverkauf

Nr. 39 –

Das einstige Bieler Expo-Gelände soll bald profitträchtig überbaut werden. In der links-grünen Stadt wehren sich nun vor allem JungpolitikerInnen gegen den Verlust öffentlichen Bodens.

«Die Überbauung wäre wohl der Startschuss für eine Gentrifizierung der ganzen Stadt»: Die StadträtInnen Levin Koller, Muriel Günther, Miro Meyer (alle Juso) und Judith Schmid (PdA) auf der Brache an der Grenze zwischen Nidau und Biel.

Keine zehn Gehminuten vom Bahnhof entfernt befindet sich das Objekt der Begierde: eine weitgehend unbebaute Fläche von 163 000 Quadratmetern direkt am Seeufer. Ganz unglamourös sammeln sich hier im Triangel zwischen zwei Strandbädern und dem Nidauer Schlösschen halbgrüne Wiesen, ein Schotterplatz und fünf Tenniscourts. Daneben der kleine Barkenhafen sowie das Hundemätteli, ein beliebtes Naherholungsgebiet der Stadt. «Ein wahres Bijou, wenn auch ein bisschen heruntergekommen», sagt Juso-Stadträtin Muriel Günther, als sie mit ihren beiden RatskollegInnen Miro Meyer und Levin Koller (beide Juso) und Judith Schmid über die Brache schlendert.

Tatsächlich dürften StadtplanerInnen im ganzen Land ob einer Freifläche in solcher Grösse und Lage neidisch werden. Die Zone liegt zwar ennet der Zihl, des Grenzflüsschens zwischen Biel und Nidau. Ein Grossteil davon gehört dennoch der Stadt Biel, seit sie im Vorfeld der Expo.02 günstig Land erworben hatte. Seit Jahren schon wird an der künftigen Nutzung gesponnen. Im Projekt «Agglolac» konkretisiert sich diese mittlerweile rasant: Auf ihrer Website verspricht die Projektgesellschaft «ein urbanes Quartier, das Stadt und See verbindet» sowie «Begegnungs- und Erholungsflächen, erleichterte Zugänge zum Wasser und einen vielfältigen und attraktiven Nutzungsmix». Eine Computervisualisierung lässt von einem mondänen Seequartier für rund 2000 BewohnerInnen träumen: Der digitale Drohnenflug zwischen Häuserzeilen und Seepromenade ist unterlegt mit Werbemusik und Vogelgezwitscher. Versprochen wird «ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit». Kein Wunder, werden solcherlei städtebauliche Allgemeinplätze bedient: Sowohl in Nidau wie auch in Biel wird die Bevölkerung dereinst über die Umsetzung des Projekts abstimmen müssen. Und vor allem in Biel wächst die Skepsis.

Wem gehört die Stadt?

Auch wegen der vier jungen Linken, die seit diesem Jahr für die Juso und die PdA im Bieler Stadtrat sitzen. Am meisten stört sie, dass Biel das Bauland an die Immobiliengesellschaft Mobimo mit Sitz im Kanton Zürich verkaufen will. «Wir finden schon einen Landverkauf an sich völlig falsch», sagt Koller. Anstatt das Land im Baurecht temporär abzugeben, habe die Stadt damit nämlich entschieden, das Gebiet langfristig der demokratischen Kontrolle zu entziehen. «Ganz und gar nicht einverstanden sind wir zudem mit Mobimo im Speziellen», sagt Koller. Das Unternehmen wurde 2012 als Privatinvestor ins Boot geholt und ist seither neben Biel und Nidau federführendes Mitglied der Projektgesellschaft. Als Teil des milliardenschweren Gesamtportfolios von Mobimo werde Agglolac künftig einem knallharten Renditedruck ausgesetzt, ist sich Koller sicher. «Darunter leiden letztlich alle Menschen in Nidau und Biel.»

Die drei JungpolitikerInnen sitzen bei Kaffee und Eistee in einem Bistro, das am Rande des Agglolac-Perimeters der geplanten Überbauung würde weichen müssen. Und mit Blick auf die Brache gegenüber sagt Judith Schmid: «Hier fanden schon Konzerte statt, Zirkusvorstellungen, oder auch das Streetfoodfestival.» Da laufe immer wieder was, sagt er, «und man könnte noch viel mehr daraus machen». Zwar werde von der Projektgesellschaft immer betont, dass das Seeufer auch künftig öffentlich zugänglich bleiben werde. «Konflikte sind aber programmiert», sagt Schmid: Etwa was den Lärm der vielen Menschen angeht, die sich gerne tagsüber und abends zum Grillieren, Essen und Trinken im Hundemätteli treffen. «Es ist klar, wer diese Konflikte verlieren wird – und es sind nicht jene mit dickem Portemonnaie», fügt Günther an. Es sei abzusehen, dass Mobimo hier vor allem teure Wohnungen bauen werde. Wenn von genossenschaftlichem Wohnraum geredet werde, seien dies bloss Lippenbekenntnisse. Der von der Stadt geforderte Anteil sei mit unter zwanzig Prozent zudem lächerlich klein. «Wem soll denn die Stadt gehören?», fragt sie deshalb. «Der Bevölkerung oder einem börsenkotierten Unternehmen?» Der Widerstand gegen das Bauprojekt kommt allerdings bei weitem nicht nur von linker Seite. Seit Anfang dieses Jahres macht mit dem Verein Stop Agglolac eine überparteiliche Gruppe gegen das Vorhaben mobil. Und im März wurde im Bieler Stadtrat eine Motion gegen den Verkauf der Baufläche eingereicht, die auch eine Reihe bürgerlicher Ratsmitglieder unterschrieben hatten. Denn auch simple finanzpolitische Bedenken sind angebracht: In Nidau etwa aufgrund infrastruktureller Investitionen, die durch den Bau der Wohnsiedlung nötig würden. Oder weil sich dort reiche Leute eine Zweitwohnung kaufen könnten, ohne Steuern zu zahlen. Und in Biel, weil sich der heutige Verkaufspreis des Grundstücks weit unter dessen künftig wachsendem Wert befinden könnte.

Die SP soll umdenken

Indem sich die StadträtInnen gegen Agglolac stemmen, bekämpfen sie ein Projekt, das bis heute von der links-grünen Mehrheit im fünfköpfigen Gemeinderat forciert wird. Und schon unter dem langjährigen SP-Stadtpräsidenten und heutigen Ständerat Hans Stöckli war die Vision eines schmucken «Klein-Venedigs» geprägt worden, wie sie noch immer im Geist von Agglolac weiterlebt. «Klar führt dies auch zu heftigen Debatten», sagt Miro Meyer. «Aber wir diskutieren noch immer auf einer konstruktiven Basis.» Ziel sei es schliesslich auch, ein Umdenken in der eigenen Mutterpartei zu initiieren. Beim Kampf gegen Agglolac gehe es nämlich auch um Generationengerechtigkeit, findet Günther. Und zwar nicht nur, was die künftige Mitbestimmung über das fragliche Gelände betreffe. «Die Überbauung wäre wohl der Startschuss für eine Gentrifizierung der ganzen Stadt», sagt sie. Am Tisch ist man sich deshalb einig: Beim Widerstand gegen Agglolac geht es auch um den Charakter von Biel. Der Charme der Stadt drohe zu verschwinden, wenn die Mieten flächendeckend stiegen und ärmere Menschen aus dem Stadtbild verdrängt würden. Dem Vorwurf, sich zusammen mit der SVP ins Lager der ewigen Neinsager zu begeben, begegnen die drei denn auch gelassen: «Uns geht es bei Agglolac nicht darum, jegliche Veränderung zu verhindern», sagt Meyer. Im Gegenteil gebe es für die Brache unzählige Möglichkeiten. «Nun hat man sich aber für die allerschlechteste entschieden», sagt er. Denn wo die Profitjägerin Mobimo einen Deal eingehe, da seien VerliererInnen garantiert.

Wirklich gut läuft es für die Projektgesellschaft derzeit nicht. So verzeichneten die Agglolac-kritischen Stimmen bei den Nidauer Gemeindewahlen vom Sonntag gehörigen Zuwachs in Stadt- und Gemeinderat. In einer turbulenten Sitzung vertagte der Bieler Stadtrat seinen Entscheid über die Motion gegen den Landverkauf auf Mitte Oktober.