Ches 50. Todestag: Mit eiserner Disziplin gegen die Wand

Nr. 40 –

Ernesto Che Guevara glaubte, eine Revolution sei letztlich eine Frage des Willens. Doch mit dieser Auffassung sind der Guerillero und alle ihm später Folgenden gescheitert. Guevaras sogenannte Fokustheorie war eine Missinterpretation seiner kubanischen Erfahrung.

  • November 1959: Che im Gespräch mit seiner zweiten Ehefrau Aleida March. Foto: Rafael Calvo (Alle Fotos aus «Che. Die ersten Jahre. Unveröffentlichte Fotos 1959–1964»)
  • August 1962: Anlässlich der Eröffnung einer Werft hält der Guerillero eine Rede vor ArbeiterInnen. Foto: Fernando Lezcano
  • Mai 1964: Guevara beendet mit seinem Referat das Seminar «Die Jugend und die Revolution» im kubanischen Ministerium für Industrie. Foto: unbekannt

Er hätte wissen müssen, dass er gescheitert war. Aber selbst wenn er es ahnte, er hat es geleugnet, sogar vor sich selbst. «Elf Monate sind seit dem Beginn unserer Guerillatätigkeit ohne Schwierigkeiten vergangen», beginnt sein letzter Tagebucheintrag vom 7. Oktober 1967. «Der Vormittag verlief ohne Gefahr, in einer fast idyllischen Stimmung.» Seine Truppe lagerte nach einem Nachtmarsch in einer Schlucht im bolivianischen Hinterland nahe des armseligen Weilers La Higuera. Am Nachmittag des folgenden Tags wurde Ernesto Rafael Guevara de la Serna, genannt «el Che», gefangen genommen. Am 9. Oktober vor fünfzig Jahren wurde er kurz nach 13 Uhr in der Dorfschule von La Higuera erschossen. Er war 39 Jahre alt.

Es ist schwer, bei der Rekonstruktion von Guevaras Leben Legende von historischer Wahrheit zu trennen. Der Mann war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Er hat Tausende Seiten von Tagebüchern, Reflexionen, politischen Schriften, Reden und Briefen hinterlassen, in denen er selbst oft an diesem Mythos arbeitete. Von wegen «elf Monate ohne Schwierigkeiten». Seine Truppe war von einstmals fast fünfzig auf siebzehn Guerilleros geschrumpft und ausgelaugt, der seit seiner Kindheit schwer asthmakranke Guevara seit Wochen ohne die nötigen Medikamente. Es war ihm nicht gelungen, UnterstützerInnen in der lokalen Bevölkerung zu finden. Aber Guevara war ein Typ, der mit dem Kopf durch die Wand wollte, stur und noch härter gegen sich selbst als gegen andere. Er konnte sich nicht eingestehen, dass er soeben im Begriff war, die von ihm entwickelte Theorie des revolutionären Fokus selbst zu widerlegen.

Revolution in drei knappen Sätzen

Er hatte diese Theorie im ersten Kapitel seines Buchs «Der Guerillakrieg» von 1960 in drei knappen Sätzen zusammengefasst: «1. Die Volkskräfte können einen Krieg gegen die Armee gewinnen. 2. Man muss nicht immer darauf warten, bis alle Bedingungen für die Revolution gegeben sind; der aufständische Fokus kann diese schaffen. 3. Im unterentwickelten Amerika muss das Terrain des bewaffneten Kampfs in erster Linie das Land sein.» Das, schrieb er drei Jahre später in einem in der Zeitschrift «Cuba socialista» veröffentlichten Essay, «sind die Lehren Kubas für die Entwicklung des revolutionären Kampfs in Amerika, und sie lassen sich auf jedes beliebige Land unseres Kontinents anwenden.» Aber was wusste er wirklich von den vorrevolutionären Bedingungen in Kuba?

Vor allem der zweite Satz hat linke Revolutionäre in Lateinamerika, aber auch in Europa elektrisiert: Man brauche nicht mehr die ArbeiterInnenklasse für eine Revolution, sagte ihnen da einer, der eine erfolgreiche Revolution hinter sich hatte. Eine kleine entschlossene und bewaffnete Avantgarde genüge. Ihre gezielten Angriffe auf den Staat würden mit verstärkter Repression beantwortet werden und die Massen in die Arme der Revolutionäre treiben. In den folgenden Jahren gab es über ein Dutzend guevaristischer Guerillas. Sie sind alle gescheitert.

Seine Aufgabe: Der Kampf

Ernesto Guevara wurde am 14. Juni 1928 im argentinischen Rosario geboren, studierte mehr gelangweilt als begeistert Medizin und ging dann auf Reisen durch Lateinamerika. 1954 in Guatemala erlebte er den vom US-Geheimdienst CIA inszenierten Putsch gegen die Reformregierung unter Jacobo Árbenz, kämpfte damals aber noch nicht, sondern floh in die argentinische Botschaft. Von dort konnte er zwei Monate später sicher nach Mexiko ausreisen, wo er Fidel Castro kennenlernte und sich seiner Revolutionstruppe anschloss. Als er am 2. Dezember 1956 zusammen mit 81 weiteren Expeditionsteilnehmern mit der Jacht Granma in einem Mangrovensumpf im Süden der Insel strandete, betrat er zum ersten Mal kubanischen Boden.

Er hatte Glück und gehörte zu den siebzehn Männern, die dem folgenden Angriff der Armee entkommen und sich im Dschungel der Sierra Maestra sammeln konnten. Für Guevara waren diese siebzehn der erste revolutionäre Fokus. Bis zur siegreichen Offensive zwei Jahre später kannte er nichts als Wälder, Guerillalager, Hinterhalte, Gefechte und ein paar Bauern. Fidel Castro schätzte den todesverachtenden Mut und den eisernen Willen des Argentiniers und beförderte ihn schnell zum Comandante. Der Kampfeinsatz war die Aufgabe des Che. Um die Politik kümmerte sich Castro.

Aus den Bergen heraus hielt Castro den Kontakt zu den Städten der Ebene und pflegte ein über viele Jahre aufgebautes Netz von UnterstützerInnen, ohne die die Guerilla nie hätte überleben können. Er war informiert über die Arbeit der Gewerkschaften, geplante Streiks und Sabotageakte und wusste genau, wann ein günstiger Zeitpunkt für eine Offensive war. Wie viel Guevara von dieser strategischen Arbeit mitbekommen hat, ist schwer zu sagen. In seinen Schriften spielt sie kaum eine Rolle.

Was zählte, war der Wille

Die Fokustheorie speist sich aus seiner eigenen Erfahrung als Guerillero, aber auch der eines chronisch kranken Kindes einer gutbürgerlichen Familie. Seine Herkunft hatte ihn nicht zum Revolutionär prädestiniert, sein furchtbares Asthma sprach gegen den Dschungelkampf. Guevara hatte sich selbst zu dem gemacht, was er geworden war, gegen alle körperlichen Beschränkungen. Was für ihn zählte, war der Wille. In Mexiko wollte er auf den 5462 Meter hohen Popocatépetl steigen, scheiterte aber kurz vor dem Gipfel. Er schob das auf einen unter Erfrierungen leidenden Begleiter: «Ich war bereit, meine Knochen aufs Spiel zu setzen, um anzukommen.» Als Guerillero war er bei Attacken immer an vorderster Front und kümmerte sich nicht um seine Deckung. Er schoss meist im Stehen, ohne Schutz, und sammelte gerne jugendliche Kämpfer um sich, weil die, wie er sagte, wegen ihres Alters noch furchtlos waren.

Kuba wurde letztlich eher zufällig Ort seines Wirkens. Es ging ihm nicht um eine Heimat, die von einem Diktator befreit werden sollte, es ging ihm um Befreiung an sich. Eben deshalb hielt er es nach dem Sieg der Rebellen nicht lange aus als zweiter Mann hinter einem eher pragmatischen und mindestens genauso charismatischen Fidel Castro. 1965 ging er in den Kongo, wo sich seit dem Sturz und der Ermordung des antikolonialen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba im Hinterland ein Guerillakrieg abspielte. Guevara erkannte darin einen revolutionären Fokus, von dem aus der Funke auf ganz Afrika überspringen könne. Dort wollte er hin, ohne Ortskenntnisse und nur mit ein paar Wörtern Suaheli. Castro stellte ihm ein paar Dutzend Kämpfer zur Seite.

Das Abenteuer war eine Katastrophe. Guevara fand nie einen Draht zu seinen schwarzen Mitkämpfern, geschweige denn zur Bevölkerung. Er hielt die Truppe für undiszipliniert, ignorant und kleinlich und behandelte sie entsprechend. Selbst seine kubanischen Genossen gingen auf Distanz zu ihm. Er musste schliesslich eilends evakuiert werden. Wieder in Sicherheit, rechtfertigte er sich in einem abschliessenden Bericht: «Ich folge nur treu meinem Konzept des Fokus. Ich war der Führer einer Gruppe von Kubanern, einer Kompanie, und meine Aufgabe war es, wirklich ihr Chef zu sein, sie zum Sieg zu führen und den Anstoss zur Entwicklung einer echten Volksarmee zu geben.» Dass er damit gescheitert ist, führte er darauf zurück, dass «ich nicht entschlossen genug war».

Von der Revolution träumen

Die Theorie, glaubte er, war richtig. Was fehlte, war die Entschiedenheit, und das sollte 1967 in Bolivien anders werden. Auch in dieses Abenteuer stürzte er sich mit grossen Erwartungen: «Wir können uns nicht den Luxus leisten, von einer Revolution nur in Bolivien zu träumen, ohne zumindest in einem Küstenland oder vielmehr in ganz Lateinamerika eine Revolution zu machen.» Mehr als 46 Männer und Frauen hatte er dafür nie unter seinem Kommando. Auch in Bolivien war er oft frustriert über die mangelnde Disziplin seiner Untergebenen, schimpfte auf die «Scheissbolivianer», deren andinisch-indigene Mentalität er nie verstand. Seine Truppe war ständig in Bewegung, mehr auf der Flucht als einem strategischen Plan folgend. Sie mag ein Fokus gewesen sein, aber der Funke sprang nie über. Die Bevölkerung blieb abweisend.

Am Vormittag vor seiner Festnahme wurde er bei einem Feuergefecht mit der Armee am Bein verletzt. Ein paar Stunden später lief er, von einem Genossen mehr getragen als gestützt, schwer hustend einer Militärpatrouille in die Arme. Fidel Castro hat im Vorwort zu Guevaras «Bolivianischem Tagebuch» diese Gefangennahme kämpferisch überhöht. «Man kann mit Sicherheit feststellen, dass Che verletzt weitergekämpft hat, bis der Lauf seines M2-Gewehrs durch einen Schuss zerstört wurde, wodurch es vollkommen unbrauchbar wurde. Die Pistole, die er bei sich trug, hatte kein Magazin. Diese unglaublichen Umstände erklären, warum sie ihn lebendig gefangen nehmen konnten.» Woher Castro das wusste, bleibt im Dunkeln. Die drei beteiligten bolivianischen Soldaten stellten die Sache viel banaler dar: als die Festnahme zweier völlig erschöpfter verwundeter Kämpfer, die ihnen zufällig über den Weg gelaufen waren. Warum hätten sie ein siegreich überstandenes heldenhaftes Feuergefecht gegen den gefürchtetsten aller Guerilleros verschweigen sollen?

Das letzte Gespräch

Guevara wurde nach La Higuera und dort in die Dorfschule gebracht. Über die Verhöre und seine Gespräche mit Wachsoldaten ist viel geschrieben worden. Alle Geschichten haben den Nachteil, dass sie von den Siegern erzählt wurden und schon vom Mythos des Che eingefärbt sind. Am Vormittag des 9. Oktober verlangte Guevara nach der Lehrerin des Dorfes, Julia Cortez. Diese schilderte das Gespräch so:

Guevara: «In Kuba gibt es bestimmt keine Schulen wie diese. Für uns wäre dies ein Gefängnis. (...)»

Cortez: «Unser Land ist arm.»

Guevara: «Aber die Regierungsbeamten und die Generäle fahren Mercedes und haben andere Dinge im Überfluss. Stimmt das nicht? Genau das bekämpfen wir.»

Cortez: «Sie sind von weither gekommen, um in Bolivien zu kämpfen.»

Guevara: «Ich bin Revolutionär und an vielen Orten gewesen.»

Cortez: «Sie sind gekommen, um unsere Soldaten zu töten.»

Auch der letzte Versuch des Kontakts zur Bevölkerung trug keine Früchte. Ein zweites Gespräch, um das Guevara um die Mittagszeit bat, lehnte die Lehrerin ab. Eine Stunde später wurde er auf Befehl des bolivianischen Präsidenten René Barrientos erschossen.