Pestizide: Die Mischung macht das Gift

Nr. 51 –

Der Bund will die Grenzwerte für Pestizidrückstände in Gewässern erhöhen. Ist das vertretbar? Die Lausanner Ökotoxikologin Nathalie Chèvre nimmt Stellung.

Nathalie Chèvre im Labor: Sie würde die Studien gerne sehen, die die Konzerne einreichen, damit die Pestizide zugelassen werden. Foto: Félix Imhof, UNIL

Ausgerechnet jetzt. Die Kritik an Pestiziden reisst nicht ab – es ist lange her, dass sich so viele Menschen über Gifte in der Umwelt sorgten. Zwei Volksinitiativen wollen den Pestizidgebrauch in der Schweiz stark einschränken. Und ausgerechnet jetzt will das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) die Grenzwerte für viele Pestizide in Gewässern erhöhen. Ende November wurde die Vernehmlassung über diese Änderung in der Gewässerschutzverordnung eröffnet. Nathalie Chèvre, Ökotoxikologin an der Universität Lausanne, kritisiert die geplanten Neuerungen.

WOZ: Nathalie Chèvre, bisher waren die Grenzwerte für organische Pestizide in der Schweiz sehr einfach geregelt: Kein Stoff durfte den Wert von 0,1 Mikrogramm pro Liter Wasser überschreiten – egal wie giftig er ist. Auf mich als Laiin wirkt das ziemlich dilettantisch …
Nathalie Chèvre: Die Regelung war nicht so schlecht. Sie ging von der Idee aus, dass Pestizide möglichst nicht im Wasser nachweisbar sein sollten. 0,1 Mikrogramm ist ein sehr tiefer Wert.

Jetzt sollen die Grenzwerte für 38 Pestizide neu festgelegt werden, entsprechend ihrer Giftigkeit. Für die Mehrheit der Substanzen bedeutet das eine – teils starke – Erhöhung des Grenzwerts.
Das ist sehr problematisch: Jede Substanz wurde einzeln beurteilt. Wir wissen aber, dass die Substanzen in Kombination wirken. Und die Kombination ist toxischer als die einzelnen Stoffe. Das umstrittene Glyphosat ist dafür ein gutes Beispiel: Das Herbizid Roundup von Monsanto enthält nicht nur Glyphosat, sondern auch mehrere Zusatzstoffe. Diese Mischung ist giftiger als Glyphosat allein.

Gibt es bei der Wirkung der Mischungen noch Forschungslücken?
Wir können nicht alle Mischungen im Labor testen, doch es gibt Modelle, um Grenzwerte für Mischungen zu berechnen. Aber man muss sich bewusst sein, dass das Modelle sind – vielleicht sagen wir in zehn Jahren, wenn wir mehr wissen, dass die Grenzwerte viel tiefer sein müssen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Daten man über die Ökotoxizität eines Stoffes hat, desto tiefer wird der Grenzwert.

Braucht es mehr Daten?
Das Problem ist, dass in Zulassungsverfahren meistens nur Daten akzeptiert werden, die im Rahmen der sogenannten Guten Laborpraxis, kurz GLP, erhoben wurden. Die GLP ist ein internationaler Standard; ihn zu erhalten, ist aufwendig und teuer. Die meisten Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten haben ihn nicht. Je nachdem, welche Daten und Berechnungsmethoden man auswählt, können Grenzwerte sehr unterschiedlich ausfallen.

Alle reden vom Glyphosat. Aber es gibt noch viel giftigere Pestizide.
Ja, etwa Insektizide wie Chlorpyrifos und Cypermethrin, die dringend auch thematisiert werden müssen. Bei ihnen hat das Uvek die Grenzwerte zum Glück gesenkt. Es hat keinen Sinn, Glyphosat allein anzuprangern. Aber das Ziel sollte weiterhin sein, dass die Pestizidkonzentration im Wasser möglichst tief ist. Mit den neuen Glyphosatgrenzwerten – 360 Mikrogramm pro Liter bei kurzfristiger und 120 Mikrogramm bei chronischer Verschmutzung – ist dieses Ziel nicht mehr erfüllt.

Um die Zulassung für ein neues Pestizid zu bekommen, geben die Firmen eigene Studien in Auftrag. Diese sind nicht öffentlich. Sollten die Studien besser von Universitäten gemacht werden?
Die Bundesverwaltung, die die Zulassung erteilt, sollte auch die Studien in Auftrag geben oder zumindest überprüfen können. Aber sie hat kein Budget dafür. In Frankreich sind die Zulassungsdossiers übrigens öffentlich. In der Schweiz können wir fragen, ob wir sie einsehen dürfen. Meine Erfahrung zeigt, dass es schwierig bis unmöglich ist, Einsicht zu erhalten.

Wo sehen Sie den grössten Forschungsbedarf?
Die Eawag, das Wasserforschungsinstitut der ETH, hat mit einer Studie gezeigt, dass kleine Fliessgewässer in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten stark belastet sind. Ich weiss nicht, ob wir noch mehr über schädliche Effekte forschen müssen – ich fände es wichtiger zu fragen, was die Landwirte in der Praxis für die Pestizidreduktion tun können. Der Bund hat einen Pestizidreduktionsplan veröffentlicht …

… einen ziemlich zahnlosen Plan.
Er ist ein erster Schritt. Ich finde es wichtig, dass Fachstellen direkt mit Praktikern sprechen. Ein Problem sind Reste aus Spritztanks. Dafür hat man spezielle Waschplätze eingerichtet, damit die Rückstände nicht mehr in der Umwelt landen. In der Waadt werden Rebberge nicht mehr mit dem Heli gespritzt. Wir haben das Genferseewasser analysiert und gesehen, dass es weniger stark belastet ist als im Jahr 2000. Ein bisschen geht es also vorwärts – aber weitere Anstrengungen sind nötig.