Repression: Dein Verbrechen von morgen
Es ist ein kalter Winter im Bundeshaus. Im Dezember jagte eine Gesetzesverschärfung die nächste – mehr Überwachung, höhere Gefängnisstrafen, schärfere präventive Zwangsmassnahmen. Die Vorschläge treffen – zumindest vorerst – jene, die keine Lobby haben.
Zum Beispiel die Armen und Kranken. Der Ständerat entschied, dass Sozialversicherungen bei Betrugsverdacht ihre Versicherten sogar mit GPS-Peilsendern überwachen dürfen. Damit schürt er einen latenten Generalverdacht und räumt SozialversicherungsdetektivInnen grössere Kompetenzen ein als den Strafverfolgungsbehörden, die für GPS-Tracker eine richterliche Genehmigung brauchen.
Aber auch dort, bei Polizei und Justiz, sind Gesetzesverschärfungen in der Vernehmlassung: Bei terroristischen Taten soll es künftig keine Höchstgrenze für Haftstrafen mehr geben, und «jede Art der Unterstützung», auch propagandistische oder finanzielle, soll künftig mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden können.
Anfang Dezember hat der Bundesrat zudem das neue «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» in die Vernehmlassung geschickt. Dieses sieht vor, dass gegen sogenannte Gefährder Ausreisesperren, eine Meldepflicht, Rayon- und Kontaktverbote, Hausarrest oder elektronische Fussfesseln angeordnet werden können. Der Clou: Mit «Gefährder» sind Personen gemeint, die kein Gesetz gebrochen haben, es aber allenfalls und mutmasslich in der Zukunft tun könnten.
Das Gesetz greift damit in einen äusserst sensiblen Vorbereich ein: Schon «Likes» auf Social Media könnten genügen oder Kontakt zu jemandem, der zu «terroristischer Gewalt» aufruft, damit das Bundesamt für Polizei künftig eine Person als «Gefährder» einstufen und Massnahmen anordnen darf. Die Antiterrormassnahmen sollen dann angewendet werden dürfen, wenn «von einer Person eine gewisse Gefahr ausgeht, die Hinweise aber für die Eröffnung eines Strafverfahrens nicht ausreichen». Das ist rechtsstaatlich hochproblematisch – die Unschuldsvermutung wird de facto abgeschafft.
Zwar kann man dagegen klagen. Wie aber sollen solche als «gefährlich» eingestufte Personen glaubhaft beweisen können, dass sie gerade keinen konspirativen Bombenanschlag planen?
«Gefährder» ist eine begriffliche Neuschöpfung für halbverdächtige Personen. Was als «terroristisch» gilt, ist juristisch ebenfalls umstritten, denn Terrorismus ist nach internationalem Recht nicht eindeutig definiert. Das führt dazu, dass Antiterrorartikel entsprechend schwammig formuliert werden. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: Stehen sie erst einmal im Gesetz, werden sie auf alle möglichen politisch unliebsamen Gruppen und Bewegungen angewendet. Wegen «Verherrlichung des Terrorismus» sind in Spanien Rapper aufgrund von Witzen auf Twitter oder Marionettenpuppenspieler aufgrund eines Theaterstücks verurteilt worden. Frankreich liess politische AktivistInnen während des Pariser Klimagipfels 2015 kurzerhand unter Hausarrest stellen – schliesslich herrschte der Ausnahmezustand.
Dass Ähnliches auch hier passieren könnte, zeigt eine andere Debatte im Parlament: So hat der Ständerat vergangene Woche eine Motion gutgeheissen, laut der künftig Ausreisesperren für mutmasslich militante DemonstrantInnen verhängt werden können. SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte vergeblich gegen die Motion votiert. Sie argumentierte, dem Anliegen werde bereits mit den geplanten Antiterrormassnahmen Rechnung getragen.
Damit greift der Ständerat die eskalierte Debatte in Deutschland auf, die nach dem G20-Gipfel im Juli eine polizeiliche und mediale Hetzjagd auf linke AktivistInnen losgetreten hat, im Zuge deren etwa der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel DemonstrantInnen mit «Terroristen» gleichsetzte.
Ein repressives Klima ist der Nährboden für eine solche entgleiste Debatte. Die aktuellen Gesetzesverschärfungen treffen zuerst jene ohne politische Lobby. Aber stehen sie erst einmal im Gesetz, ist es ein Leichtes, sie auszuweiten. Und letztlich führen sie dazu, dass im Sicherheitswahn die Grundrechte aller untergraben, die Freiheiten aller aufgegeben und die Privatsphäre aller dem Überwachungsstaat zum Frass vorgeworfen werden.