«No Billag»: Liebling, ich hab das Festival geschrumpft!

Nr. 4 –

Was wäre von den Solothurner Filmtagen übrig, wenn es wegen der No-Billag-Initiative keine TV-Gelder für Schweizer Filme mehr gäbe? Ein dystopisches Gedankenspiel.

Es fängt schon beim Eröffnungsfilm an: «À  l’école des Philosophes» von Fernand Melgar. Koproduziert vom Westschweizer Fernsehen, das den Film mit 90 000 Franken unterstützt hat. Würde es in Zukunft noch Dokumentarfilme wie diesen geben, wenn bei einer Annahme der No-Billag-Initiative die ganze SRG abgewickelt würde, samt den Millionen an Gebührengeldern, die sie jährlich ins Schweizer Filmschaffen steckt?

Die Frage ist müssig, weil reine Spekulation. Aber ob ein Privatsender auch bereit wäre, sich an einer aufwendigen Langzeitstudie in einer Schule für behinderte Kinder zu beteiligen? Ganz ausschliessen möchte man das nicht, auch wenn man sich im Programm von 3+ einen solchen Film eher nicht vorstellen kann, als Eigenproduktion eingezwängt zwischen «Der Bachelor» und «Jung, wild & sexy».

Neuer Rekord: Nur noch zwei Tage!

Wir bräuchten also im Fall von «No Billag» schon mal einen neuen Eröffnungsfilm für die Solothurner Filmtage. Welche kämen da infrage? Von den 87 Langfilmen und TV-Serien, die an der Werkschau des Schweizer Films im «Panorama» gezeigt werden, sind drei Viertel auf Initiative der SRG oder mit deren Beteiligung entstanden. Für das Hauptprogramm in Solothurn heisst das: Gesamte Fördersumme aus Billag-Geldern 27 321 910 Franken, verteilt auf 66 Spiel- und Dokumentarfilme. Fast die Hälfte des Betrags, rund 13,2 Millionen Franken, entfällt dabei auf die vier grossen TV-Serien «Wilder», «Seitentriebe», «Private Banking» und «Quartier des Banques».

Streicht man sämtliche Billag-Gelder aus dem «Panorama», bleibt also vom Hauptprogramm nur noch ein Bruchteil stehen: 21 Filme, die ganz ohne finanzielle Unterstützung des Schweizer Fernsehens entstanden sind. Würde man diese auf die fünf grössten Festivalkinos in Solothurn verteilen, wie bis anhin bei einer Wiederholung pro Film, so könnten die Filmtage problemlos erst am Freitag starten, also einen Tag später – und tags darauf wären sie dann schon wieder fertig: Schön wars, danke fürs Kommen und auf Wiedersehen!

Um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken: Es gäbe durchaus auch tolle Filme zu sehen an diesen kurzen zwei Tagen. Etwa «Das Ächzen der Asche», den abgefahrenen Low-Budget-Film von Clemens Klopfenstein, entstanden ohne Geld von der öffentlichen Hand. Oder «Dene wos guet geit», Cyril Schäublins spröde Studie aus der urbanen Dienstleistungslandschaft, gefördert etwa vom Bundesamt für Kultur und der Zürcher Filmstiftung. Zwei Filme, die gegensätzlicher nicht sein könnten, wobei sie beide gleichermassen von radikalem Geist zeugen.

Mit anderen Worten: Natürlich gibt es immer einzelne Werke, die sich ohne Förderung des Fernsehens realisieren liessen – und mitunter sind das sogar die eigenwilligsten, weil sie nicht auf eine spätere Auswertung im Fernsehen schielen müssen. Aber von der Werkschau des Schweizer Films, wie wir sie kennen, bliebe bei einer Annahme der No-Billag-Initiative nicht mehr viel übrig. Oder aber, ketzerische Frage: Wäre das Programm der Filmtage im Gegenteil sogar vielfältiger oder zumindest ausgefallener, weil der Platz dadurch frei würde für wirklich unabhängiges Filmschaffen?

Leider gelogen, Herr Kessler

Seraina Rohrer, die Direktorin der Solothurner Filmtage, hält das natürlich für illusorisch, denn: «Wirklich unabhängiges Filmschaffen gibt es in der Schweiz praktisch nicht.» In der Auswahlkommission der Filmtage gebe es «keinerlei Vorgaben», was den Anteil von TV-Koproduktionen oder freien Produktionen betreffe, so Rohrer. Und de facto sei ohnehin fast jeder Film irgendwie abhängig, weil auf Fördergelder angewiesen: von der SRG, vom Bundesamt für Kultur und von regionalen Förderstellen wie der Zürcher Filmstiftung oder der Westschweizer Cinéforom. TV, Bund, Regionen: Das sind die drei Säulen der Filmförderung in der Schweiz, wobei die SRG für die Produktion sogar das finanziell grösste Volumen beisteuert, knapp vor dem Bundesamt für Kultur. Da ist es schlicht gelogen, wenn Initiant Olivier Kessler in der «Arena» behauptet, die No-Billag-Initiative habe «nichts mit Filmförderung zu tun». Bei einem Ja zu «No Billag» würde bloss die stärkste der drei Säulen wegbrechen, und mit ihr eine Fördersumme von über dreissig Millionen Franken (vgl. «Pacte de l’audiovisuel» im Anschluss an diesen Text).

Zu alledem kommt noch ein Wert hinzu, zu dem das Fernsehen entscheidend beiträgt, ohne dass er sich irgendwo exakt beziffern liesse. Dieser Wert heisst: Kontinuität. Nur wer regelmässig arbeiten kann, hat auch Gelegenheit, sich zu verbessern, sein Handwerk zu verfeinern, seinen künstlerischen Blick zu schärfen. Oder nochmals auf den Eröffnungsfilm gemünzt: Natürlich speist sich das Renommee eines Regisseurs wie Fernand Melgar, der nie eine Filmschule besucht hat, vor allem aus den Festivalerfolgen seiner international preisgekrönten Kinodokumentarfilme «La Forteresse» (2008) oder «Vol spécial» (2011). Nur: Ob er seinen filmischen Weg auch ohne die kontinuierliche Unterstützung durch das Westschweizer Fernsehen so konsequent hätte verfolgen können, ist mehr als fraglich.

Podium «No Billag – No Film?» in: Solothurn, Kino im Uferbau, Mi, 31. Januar 2018, 13 Uhr.

Pacte de l’audiovisuel

Die Zusammenarbeit der SRG mit der Schweizer Filmbranche ist seit 1996 im Pacte de l’audiovisuel geregelt, dessen Budget seither fast um das Dreifache aufgestockt wurde. Im Rahmen dieses Abkommens, das zuletzt für weitere vier Jahre bis 2019 erneuert wurde, investiert das Fernsehen pro Jahr 23,5 Millionen Franken in die Herstellung von Schweizer Kino- und TV-Filmen, davon eine halbe Million in Multimediaformate. Weitere 4 Millionen Franken gehen als Erfolgsprämien für TV-Ausstrahlungen anteilsmässig an die beteiligten Produktionsfirmen («Succès passage antenne»).

Auf diese Weise hat die SRG seit Bestehen des Paktes über 2500 Spiel- und Dokumentarfilme mit insgesamt 400 Millionen Franken gefördert. Zudem investiert das Fernsehen seit 2008 zusätzlich gegen 8 Millionen Franken pro Jahr in eigene Formate wie «Der Bestatter».