Basler Wohnungskampf: Im Visier verkabelter Männer
Auf den vielfältigen Kampf für günstigen Wohnraum in Basel wird mit nervöser Repression reagiert. Die Helvetia-Versicherungen lassen ihre eigenen MieterInnen am Steinengraben observieren – und die Polizei reagiert auf eine Ruhestörung mit einem Grossaufgebot und Festnahmen.
Das Schicksal, das den Häusern und ihren BewohnerInnen am Steinengraben widerfahren könnte, ist längst kein Einzelfall in der Stadt Basel: Statt die Häuserzeile aus dem Jahr 1870 renovieren zu lassen, will die private Eigentümerin sie abreissen und einen seelenlosen Büroneubau mit luxuriösen Penthousewohnungen hochziehen lassen.
Das war der Plan vor sieben Jahren. Doch seitdem hat sich viel getan um den Steinengraben 30 bis 36. Nachdem Auswärtige im Jahr 2011 einige der sieben Häuser für wenige Stunden besetzt hatten, wurden den BewohnerInnen unbefristete Zwischennutzungsverträge bis zur Abrissgenehmigung gewährt. Damals war noch die National-Versicherung die Eigentümerin, die dann aber 2014 in die Helvetia-Versicherungen überging. Inzwischen beisst sich diese fast die Zähne aus am Widerstand, der aus dem Steinengraben kommt. Die Häuser sind zum Symbol gegen die fehlgeleitete Wohnpolitik der rot-grünen Regierung geworden. In den Quartieren hängen solidarische Transparente von den WG-Balkonen, und an einer bunten «Recht auf Stadt»-Demo im September 2017 standen 400 TeilnehmerInnen unbeeindruckt einer Hundertschaft von PolizistInnen in Kampfmontur aus mehreren Kantonen gegenüber.
Parkgarage als Wohnraum
Selbst die kantonale SP betreibt inzwischen Selbstkritik. Nachdem sie mit dem neuen Wohnraumfördergesetz von 2014 eine Lockerung des Abbruchschutzes befürwortete, krebst sie nun zurück. Sie spricht von einer «falschen Auslegung». In einem Positionspapier richtete sie kürzlich sogar ihre Wohnpolitik neu aus – bis jetzt allerdings nur auf dem Papier. Vor der Einführung des neuen Gesetzes konnte nur abgerissen werden, wenn dafür am selben Ort mehr Wohnraum gebaut wurde. Doch wie von der rot-grünen Regierung erwünscht, wurde dieser Abbruchschutz von der Stimmbevölkerung vor vier Jahren gekippt. Seither muss nur gleich viel Wohnraum geschaffen werden. Ob sich die bisherigen BewohnerInnen die neuen Wohnungen auch leisten können, spielt dabei offenbar keine Rolle.
So warf man Perlen vor die renditegetriebenen Immobilienentwickler – die Zahl der Massenkündigungen steigt seither sprunghaft an, wie der Basler MieterInnenverband dokumentiert. Helvetia setzte noch einen drauf: In ihren Plänen zum Steinengraben rechnete sie unter anderem Liftschächte, Treppenhäuser und eine Parkgarage zur Wohnfläche. Das Basler Appellationsgericht gab ihr dabei recht. Worauf die BewohnerInnen das Urteil mit dem MieterInnenverband weiterzogen.
Versuche zur Kontaktaufnahme der BewohnerInnen mit der Eigentümerin gingen ins Leere. Kommuniziert wurde nur per Anwalt, erstmals zu Gesicht bekamen sie die VertreterInnen der Versicherung erst vor Gericht. Ein Tag der offenen Tür wurde abgesagt, nachdem Helvetia mit der Kündigung gedroht hatte. «Bei der ersten Verhandlung vor der Baurekurskommission ging es ihnen darum, uns als Querulanten, Hausbesetzer und Siffbirnen darzustellen», erzählt ein Bewohner.
Tag und Nacht in Sichtweite
Der vielfältige Widerstand der BewohnerInnen scheint die Versicherung nervös zu machen: Im September 2017 liess sie die Häuser und ihre MieterInnen drei Tage lang durch Angestellte der privaten Sicherheitsfirma Securitas observieren. Gemäss Aussagen von BewohnerInnen standen vier Männer mit Knöpfen im Ohr Tag und Nacht in Sichtweite der Häuser, stiegen in ein Auto, um die Kleider zu wechseln, und machten Fotos derer, die am Steinengraben ein und aus gingen – was einen widerrechtlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Fotografierten bedeuten würde. Aufnahmen, die die BewohnerInnen von den Securitas-Mitarbeitern gemacht haben, liegen der WOZ vor.
Securitas bestreitet gegenüber der WOZ, dass ihre Mitarbeiter fotografiert hätten, bestätigt aber die Auftraggeberin wie auch den Einsatz zu «reinen Sicherheitsaufgaben». Auch die Versicherung bestätigt den Auftrag. Dabei soll es sich jedoch lediglich um einen «Ordnungsdienst» vor dem rund 200 Meter vom Steinengraben entfernten Bürogebäude der Versicherung gehandelt haben. Es sei kein Auftrag erteilt worden, Foto- oder Filmaufnahmen zu machen. Securitas und Helvetia behaupten jedoch, dass «Dritte» solche gemacht hätten, ohne genauere Angaben dazu machen zu können.
Ein Gebäudeschutz für das Bürogebäude der Versicherung wäre noch nachvollziehbar: Die Fenster des Helvetia-Gebäudes wurden im Juni 2016 durch eine Gruppe Vermummter demoliert. Doch obwohl keinerlei Verbindungen zum Steinengraben nachgewiesen werden konnten, schien Observation und nicht Objektschutz das Ziel zu sein: Die verkabelten Männer standen gegenüber den Wohnhäusern statt 200 Meter weiter vor dem Helvetia-Gebäude. Das belegen die Fotos der BewohnerInnen.
Angefangen hatte es damit am Tag der «Recht auf Stadt»-Demonstration – danach zogen die Securitas-Mitarbeiter auch nach wiederholter Aufforderung nicht ab. Eine junge Mutter, die im Steinengraben wohnt, hielt die Rund-um-die-Uhr-Observation nicht mehr aus. Sie rang sich dazu durch, die Polizei anzurufen. PolizistInnen fuhren hin, sprachen mit den Männern – und sagten der Mutter dann, dass sie nichts tun könnten. Am folgenden Montag war das Augenscheinverfahren zur Abklärung der Bausubstanz am Steinengraben. Erst dann, nach drei Tagen, endete die Observation.
Helvetia hat sich offenbar vom repressiven Klima anstecken lassen, das in Basel seit geraumer Zeit gegen alles herrscht, was nach wohnpolitischen Auseinandersetzungen riecht. Doch vor allem die Polizei heizt dieses Klima an: Erst kürzlich berichtete die «Tageswoche» von einem Polizeieinsatz wegen Ruhestörung an einer WG-Party. Das private Fest fand in einem Haus an der Mattenstrasse statt, wo sich die BewohnerInnen ebenfalls gegen den Abriss und ihre Verdrängung wehren – unter anderem mit einer Petition.
Ein Grossaufgebot mit ungefähr vierzig PolizistInnen und mehreren Kastenwagen fuhr auf. Nach Angaben von Partygästen versuchten die PolizistInnen – trotz eines längeren Gesprächs und obwohl die Musik bereits aus war –, sich Zugang zum Haus zu verschaffen. Eine Person wurde aus dem Hauseingang gezerrt, in der Folge nahmen die PolizistInnen vier weitere Anwesende fest. Schliesslich hielt die Polizei die fünf Personen aus undurchsichtigen Gründen bis zu 36 Stunden fest. Alle mussten DNA-Proben abgeben, was nur bei schweren Straftaten gerechtfertigt ist. Der Polizeisprecher rechtfertigte die Festnahmen in der «Tageswoche» damit, dass «die vorwiegend jungen Anwesenden der Partyszene und teilweise der linksextremen Szene zuzuordnen» seien. Das Beispiel zeigt: Wenn in Basel Widerstand und Wohnpolitik zusammenkommen, reagiert der Sicherheitsapparat unverhältnismässig. Repression wird hier mit politischer Gesinnung legitimiert.
Warten auf das Bundesgericht
Die BewohnerInnen des Steinengrabens warten derweil auf das Urteil des Bundesgerichts. Wohlwissend, dass sich dieses ungern in kantonale Gesetzgebungen einmischt, haben sie dennoch Hoffnung: Die Tatsache, dass das Gericht der Beschwerde aufschiebende Wirkung gewährte, kann darauf hindeuten, dass es ihrer Argumentation zumindest ein Stück weit folgt. Nun wird letztinstanzlich ein Gesetz ausgelegt, dessen grösste Schwächen sich im liberalisierten Abbruchschutz zeigen. Je nach Haltung des Gerichts kann ein Urteil noch im Februar oder in den nächsten Monaten erwartet werden.
Für die BewohnerInnen am Steinengraben hätte sich der Kampf selbst bei einer Niederlage gelohnt: «Uns geht es auch darum zu zeigen, dass man etwas machen kann», sagt ein Bewohner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ein weiterer Bewohner fügt hinzu: «Wir wollten diese Frage in die Stadt hinaustragen und eine Diskussion anzetteln.»
Das ist nicht nur dem Steinengraben gelungen. Die Bewegung für eine neue Wohnpolitik in Basel ist breit: Sie reicht von den Wohnkämpfen an der Mülhauserstrasse (siehe WOZ Nr. 7/2017 ), am Burgweg und an der Mattenstrasse über die vielen Initiativen des MieterInnenverbands und die Treffen der Gruppe «Recht auf Stadt» bis zu einer einfallsreichen BesetzerInnenszene. Dies alles, während die Stadt vor der Entwicklung riesiger Areale steht: Auf dem Lysbüchel beim Bahnhof St. Johann, auf dem Dreispitz, auf dem ehemaligen Areal der Chemiekonzerne BASF und Novartis sowie am Hafen sollen neue Quartiere entstehen. Der Druck von unten kommt also zur richtigen Zeit.