Basel-Stadt: Das Wohnen ist geschützt – für alle?
Letzten Sommer wurden in Basel vier Initiativen angenommen, die die Wohnpolitik im Sinne der MieterInnen wenden sollen. Doch wie sind sie richtig umzusetzen?
In ihren letzten Tagen waren die Häuser voller denn je. Ende Januar wurde mehrere Tage dicht gedrängt gefeiert, bevor die MieterInnen der historischen Basler Steinengraben-Häuser am 31. Januar ihre Schlüssel abgeben mussten. «Wir wollten nicht stillschweigend gehen», so einer der vertriebenen MieterInnen.
Darum verabschiedeten sie ihre Häuser mit einem viertägigen Festival. Mittagstisch, Hausführungen, Konzerte und eine ächzende Kunstmaschine im Stil von Jean Tinguely: Die BewohnerInnen wollten möglichst viele Menschen ansprechen. Noch ein breiteres Publikum erreichte ihr langjähriger Kampf gegen den Abriss und das Neubauprojekt der Helvetia-Versicherung. Diesen Kampf verloren sie zwar vor Bundesgericht, doch der Fall sorgte für die Korrektur des kantonalen Wohnraumfördergesetzes. Es war einer jener öffentlichkeitswirksamen MieterInnenkämpfe, die die Basler Bevölkerung sensibilisiert haben.
«Basel macht seit zehn Jahren eine neue Erfahrung: Die Stadt wächst», so Lukas Ott, Stadtentwickler des Kantons Basel-Stadt. Das sei grundsätzlich positiv, aber: «Mit dem Wachstum einher gehen auch Wachstumsschmerzen.» Weil mehr Menschen nach Basel zögen und Immobilien heute als Anlage attraktiv seien, sei Wohnpolitik in Basel ein brennendes Thema. Dass die vier Wohninitiativen im Juni 2018 allesamt angenommen wurden, hat den Stadtentwickler nicht überrascht.
Rückkehrrecht und Mietzinskontrolle
«Es ist unser grösster politischer Erfolg seit dem Gründungsjahr 1891», sagt Beat Leuthardt, Kogeschäftsführer des kantonalen MieterInnenverbands. «Die Verfassung kann uns so schnell niemand nehmen.» Für den Steinengraben kommt die wohnpolitische Kehrtwende zu spät – auch die «Wachstumsschmerzen» gehen vorerst weiter. «Die meisten Mietkonflikte kommen nicht in die Medien – und sind für die Betroffenen genauso fatal», betont Leuthardt.
Der MieterInnenverband war die treibende Kraft hinter dem Abstimmungserfolg vom letzten Juni. Unterstützt wurde er vom Netzwerk Wohnungsnot, dem losen Zusammenschluss hinter der Initiative «Recht auf Wohnen», und der SP. Neu stehen in der Kantonsverfassung eine Formularpflicht, die Transparenz über die Miete des Vormieters bietet, ein Kostendeckel bei Mietkonflikten vor Gericht und dank «Recht auf Wohnen» ebendieses Grundrecht. Letzteres kann für Obdachlose und Marginalisierte einen Systemwandel bedeuten – je nachdem, wie es umgesetzt wird. Darüber ist noch nichts bekannt: Der Initiativtext fordert «wirksame Massnahmen» innert zweier Jahre.
Die «Wachstumsschmerzen» für wirklich alle BaslerInnen mildern könnte aber die Wohnschutzinitiative. Bei einem Wohnleerstand von weniger als 1,5 Prozent sind MieterInnen künftig «entsprechend den überwiegenden Bedürfnissen der Wohnbevölkerung», so die neue Formulierung in der Kantonsverfassung, vor Verdrängung geschützt. Auch falls sich der Wohnungsmarkt entspannt, ergreift der Staat weiterhin «alle notwendigen wohnpolitischen Massnahmen», um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.
«Die Initiative bedeutet einen Paradigmenwechsel», sagt Leuthardt. Aber mit dem seit Dezember bekannten Umsetzungsvorschlag der Regierung ist er alles andere als zufrieden. Der Regierungsrat habe die Wohnschutzinitiative zum Projekt für sozial Benachteiligte umgedeutet. «Dabei soll sie alle schützen – ähnlich wie die AHV. Nur das Luxussegment sollte ausgenommen sein.» Die Regierung plant die Einführung einer Bewilligungspflicht für alle Sanierungs- und Abbruchvorhaben, solange der Leerstand tief bleibt. So sollen etwa nach einer Sanierung MieterInnen ein Rückkehrrecht haben. Zusätzlich greift dann eine fünfjährige Mietzinskontrolle.
Wenn es nach der Regierung geht, soll diese Bewilligungspflicht allerdings nur für Wohnungen gelten, deren Mieten unter der Medianmiete im Kanton liegen – der Median definiert jenen Mietpreis, von dem aus gesehen die eine Hälfte der Mieten höher liegt und die andere tiefer. Zusätzliche Ausnahmen sind vorgesehen. Leuthardt kommt darum zum Schluss, dass effektiv bloss 35 bis 50 Prozent der Wohnungen geschützt sind: «Damit ignoriert die Regierung die überwiegenden Bedürfnisse der Bevölkerung komplett.» Wer in einer relativ teuren Wohnung lebe, sich deren Miete aber kaum leisten könne, bleibe komplett ohne Schutz. Weiter treibe der Vorschlag VermieterInnen dazu, Miet- als Eigentumswohnungen zu verkaufen. Für Leuthardt, der beinahe täglich Betroffene von Massensanierungen und -kündigungen berät, ist klar: «Schützt man nur die billigen Wohnungen, stellt man genau jenen Vermietern, die überhöhte Mieten verlangen, einen Persilschein aus.» Bleibe es bei dieser geringen Schutzquote, würden viele VermieterInnen vor dem Inkrafttreten die Mieten erhöhen, um die Kontrolle zu umgehen. «Die Initiative war für alle und damit gerade auch für den Mittelstand gedacht», schliesst Leuthardt seine Kritik. Der Baselstädter SP-Präsident Pascal Pfister teilt diese Interpretation: «Die steigenden Mieten sind für fast alle eine grössere Belastung als die Krankenkasse.»
Noch eine Initiative?
Stadtentwickler Ott hingegen sagt: «Die Initiative ist ein sozialpolitischer Entscheid.» Die Umsetzung betreffe nicht den ganzen Mittelstand, und die «überwiegenden Bedürfnisse» der Bevölkerung entsprächen nicht zwingend einer Regulierung der Mehrheit. Immerhin zu einem von Leuthardts Kritikpunkten schlägt Ott eine Massnahme vor: Verhindern, dass vermehrt Miet- als Eigentumswohnungen verkauft werden, könnte die Einführung einer zusätzlichen Bewilligungspflicht dafür, wie sie der Kanton Waadt kennt. «Falls diese politisch gewollt ist.»
Der Regierungsvorschlag kommt als Nächstes in den Grossen Rat, wo die Mehrheit bürgerlich ist. Fragt man Leuthardt nach seiner Prognose der Vorlage im Kantonsparlament, denkt er bereits laut über eine neue Initiative nach. So weit geht SP-Präsident Pfister nicht: «Ich erwarte von der bürgerlichen Mehrheit, dass sie den deutlichen Volksentscheid respektiert.» Darauf deutet bisher nichts hin: Die liberale LDP, die zweitgrösste bürgerliche Partei in Basel-Stadt, forderte nach den Abstimmungen mehr Wohnungen für Reiche. Ende November präsentierte auch die CVP ein Wohnpapier, in dem sie darauf beharrt, dass die Initiativen «mehr schaden als helfen».
Dass Basel wächst, entspricht auch dem politischen Willen der rot-grünen Regierung: Bis 2035 soll Wohn- und Arbeitsraum für je 20 000 Menschen entstehen – vor allem auf den leer stehenden Industriearealen im Norden der Stadt. Stadtentwickler Ott sagt, bei der Verwaltung verstünden sie die Wohnschutzinitiative auch als Votum dafür, dass dieses Wachstum sozialverträglich und ökologisch vonstattengehen müsse. SP-Präsident Pfister spürt das noch nicht: «Es haben noch nicht alle in der Verwaltung verstanden, was für eine fundamentale Veränderung diese Abstimmungen bedeuten.»