Evangelikale in Lateinamerika: Die Macht göttlicher Moral

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Fabricio Alvarado ist der Shootingstar der Präsidentschaftswahl in Costa Rica. 25 Prozent haben dem ultrarechten Politiker am Sonntag die Stimme gegeben, einen Monat vorher war er noch nahezu unbekannt. Am 1. April wird er in der Stichwahl gegen den Kandidaten des wegen Korruptionsskandalen unbeliebten Präsidenten Luis Guillermo Solís antreten.

KommentatorInnen haben den Sieg Alvarados damit erklärt, dass er seinen Wahlkampf zuletzt auf ein einziges Thema konzentrierte: ein Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs, das Costa Rica verpflichtet, die gesetzliche Grundlage für die Ehe für alle zu schaffen. Alvarado, nebenberuflich ein evangelikaler Prediger, kündigte an, er werde das Urteil ignorieren. Damit hatte er die evangelikalen ChristInnen auf seiner Seite, in Costa Rica rund fünfzehn Prozent. Der Rest seiner WählerInnen waren nach dieser Deutung reaktionäre KatholikInnen.

Doch diese Erklärung greift zu kurz: Evangelikale Kandidaten brauchen kein Urteil zur Homo-Ehe, um eine Wahl gewinnen zu können. Sie haben in Lateinamerika seit längerem Konjunktur. Auch Jimmy Morales hatte bei seinem Wahlsieg vor zwei Jahren in Guatemala den Bonus, Baptistenprediger zu sein. In Brasilien gibt es im Parlament einen parteiübergreifenden Zusammenschluss evangelikaler Abgeordneter, ohne den so gut wie kein Gesetz mehr zu machen ist. Ähnlich bigotte Klüngel sitzen in vielen Parlamenten.

Letztlich profitieren die demonstrativ frommen Christen vom Niedergang der traditionellen Parteien. Spätestens seit dem Skandal um den Baukonzern Odebrecht weiss man, dass es in der Region kaum eine Partei gibt, die sich nicht über Korruption finanziert hat. Die Evangelikalen dagegen tragen den Anspruch göttlicher Moral vor sich her. Das macht sie für weniger gebildete WählerInnen glaubwürdig – bis zum ersten Sündenfall, und dieser lässt meist nicht lange auf sich warten.

Evangelikale Kirchen, das weiss man bereits seit dem Bericht der Rockefeller-Kommission von 1975, wurden vom US-Geheimdienst CIA gezielt in Lateinamerika installiert. Die Menschen sollten ihr Seelenheil suchen, keinesfalls soziale Umstürze. Diese Kirchen haben sich besorgniserregend ausgebreitet – so sehr, dass ihre Prediger heute Wahlen gewinnen können.