Wer regiert über den Aktienkurs?: «Finanzanalysten liefern keine besseren Prognosen als Affen – wieso gibt es sie also?»
Jeden Tag werden uns die neusten Aktienkurse um die Ohren gehauen – stürzen sie ab, gerät die halbe Welt ins Wanken. Der Zürcher Ethnologe Stefan Leins hat zwei Jahre in der Welt der BankerInnen gelebt, die hinter den Kursen stecken. Über nackt tanzende Männer, die Popularität der Astrologie unter Analysten und das Bedürfnis der Menschen, ihre Zukunft in den eigenen Händen zu halten.
WOZ: Stefan Leins, in der Finanzkrise 2008 sackte der US-Aktienindex Dow Jones von 14 000 auf die Hälfte ab, inzwischen liegt er bei unglaublichen 25 000 Punkten. Was steckt hinter Booms und Crashs?
Stefan Leins: Als kürzlich der Dow Jones heftig einbrach, habe ich den Finanzsender CNBC eingeschaltet, wo zwei Experten und eine Expertin dies zu erklären versuchten: Der eine sagte, der Grund liege im Abgang von US-Notenbankerin Janet Yellen, der zweite ortete eine Korrektur von zu hohen Kursen, und die Expertin meinte, die tiefen Zinsen seien schuld. Irgendwann schwenkte der erste auf die Linie der Expertin ein, während der zweite auf seiner Erklärung beharrte. Hier offenbart sich die vorherrschende Fantasie, dass der Aktienmarkt Naturgesetzen folge.
Was nicht stimmt …
Nein, die Aktienkurse sind das Ergebnis der Erwartungen sämtlicher Marktteilnehmer darüber, wie sich der Kurs entwickeln wird: Glauben viele, der Dow Jones werde fallen, verkaufen sie, und entsprechend fällt der Kurs. Doch die Finanzanalyse besteht eben darin, knackige, runde Geschichten zu erzählen.
Wie meinen Sie das?
Die Finanzanalyse ist ein Spiel: Es geht darum, eine sinnstiftende Erklärung für Aktienentwicklungen anzubieten. Im Lauf der Zeit kann man sie anpassen oder wie der eine Experte auf CNBC darauf beharren.
Warum hat er darauf beharrt?
Die Kunst besteht darin, irgendwann eine Entwicklung vorauszusagen, die nicht alle anderen auch vorhergesagt haben. Wenn Ihr Szenario eintritt, werden Sie zu einem Star. Ich kenne Analysten, die entsprechend regelmässig versuchen, ein spezielles Szenario vorauszusagen. «Don’t get tricked by the market» ist ihre Devise: Lass dich nicht vom Markt austricksen.
Die Analysten sehen den Markt als ihren Gegner?
Ja, Analysten versuchen, sich gegen den Aktienmarkt zu behaupten: Sie glauben, den Markt von aussen analysieren und verstehen zu können. Obwohl wie erwähnt der Markt ja nicht mehr ist als die Summe der Akteure, die mitspielen, also auch jeder einzelne Analyst. In diesem Spiel gegen den Markt liegt das wirklich Erstaunliche an der Welt der Finanzanalyse: Sämtliche Studien der letzten hundert Jahre zeigen, dass Finanzanalysten nicht bessere Prognosen treffen als ein Affe, der mit einem Dartpfeil auf Aktiennamen schiesst. Die grosse Frage ist: Warum gibt es sie trotzdem?
Wir kommen gleich dazu, doch zuerst die Frage: Sie haben zwei Jahre in einer Schweizer Grossbank – die Sie aus Vertraulichkeitsgründen nicht nennen können – als Analyst im Private Banking gearbeitet, das Geld von reichen Kunden anlegt. Wie sieht diese Welt aus?
Ich arbeitete in einem Bürogebäude am Rand von Zürich, etwa zwanzig Minuten mit dem Bus vom Paradeplatz entfernt. Mehrere Tausend Leute sind dort untergebracht. In den oberen Stockwerken sind die drei prestigeträchtigsten Gilden des Private Banking untergebracht, das reiche Einzelkunden betreut: die Händler, die Compliance-Abteilung, die die Einhaltung der Gesetze sicherstellt, und die Analysten, zu denen ich gehörte. Sie sagen den Händlern, was sie kaufen und verkaufen sollen. In den unteren Stöcken ist das Backoffice, das die Geschäfte verarbeitet – die Kundenberater arbeiten in einem anderen Gebäude. Ausser der glamourösen Eingangshalle ist das Gebäude recht heruntergekommen: Es sind alles Grossraumbüros mit alten, verstaubten Spannteppichen voll mit Kaffeeflecken.
Im Ernst?
Ja, es ist das Ergebnis des Shareholder-Denkens: Die Banken wollen möglichst hohe Gewinne an ihre Aktionäre ausschütten und hohe Boni auszahlen, darum sparen sie bei der Infrastruktur. Das führt dazu, dass sie in den Chefetagen Leute haben, die eine Million aufwärts verdienen, aber in Grossraumbüros arbeiten, in denen sie keine vier Quadratmeter Platz für sich haben.
Im Buch, das Sie über die Welt der Analysten geschrieben haben, schildern Sie diese als Männerwelt. Warum ist das so?
In unserer Gesellschaft herrscht das Bild eines männlichen Experten vor. Dieses wird innerhalb der Bank durch männliche Rituale zementiert: Man geht zusammen trinken, erzählt sich primitive Witze, flucht. Eine Ethnologin, die mit Händlern in Chicago zusammengearbeitet hat, hat beschrieben, wie sich diese an einer Weihnachtsparty auf einmal alle ausziehen und nackt zu tanzen beginnen. Sie schildert, wie sie ausgeschlossen wird, weil sie nicht mitmachen kann. Die Händler bezeichnen den Markt als «Fotze», sie sprechen davon, den Markt «in den Arsch zu ficken». Unter meinen Analysten in Zürich war das weniger ausgeprägt, doch auch da sagte mir eine Mitarbeiterin einmal: «Als Frau musst du dich rausnehmen oder die Männer imitieren: noch mehr saufen, noch blöder tun.»
Die Frau trägt auch absichtlich eine Männeruhr, schreiben Sie in Ihrem Buch.
Ja, und sie fährt ein teures Auto – ein weiteres männliches Statussymbol.
Stimmt das verbreitete Bild vom Banker, der mit Prostituierten seine männliche Macht zur Schau stellt?
Wenn ich mit Leuten aus der Investmentbank rede, in der ich einst als Student arbeitete, wird klar: Stripclubs und Prostituierte gehören zum Alltag. Allerdings war das bei den Analysten, mit denen ich jetzt gearbeitet habe, nicht so. Auch Koks war nie ein Thema. Der Grund liegt wohl darin, dass sich die Analysten selber als seriöse Experten sehen. Unter den Händlern sieht das ganz anders aus.
Jede Gruppe in der Bank hat ihre Eigenheiten …
Ja, Analysten etwa reden oft schlecht über Händler, sie bezeichnen sie als ungebildet, primitiv und laut. Man fühlt sich nicht einer Bank zugehörig – die man oft wechselt –, sondern einer professionellen Gruppe. Die Gilden versuchen, sich auch äusserlich voneinander abzugrenzen – durch Manschettenknöpfe, bestimmte Uhren, Krawattenknöpfe. Als ein Praktikant bei uns mit Manschettenknöpfen zur Arbeit kam, sagte irgendwann einer beim Mittagessen: «Warum geht der mit seinen Manschettenknöpfen nicht zu den Kundenberatern?» Die Knöpfe sind ein feiner Code, den der Praktikant nicht kannte.
Wo rekrutieren die Banken ihre Leute?
Bis in die siebziger, achtziger Jahre musste man aus den richtigen Familien stammen, Offizier sein und FDP wählen. Mit der Globalisierung wurde alles etwas meritokratischer: Heute braucht man einen Uniabschluss, am besten von der Hochschule St. Gallen oder der Uni Zürich, wo die Banken Lehrstühle mitfinanzieren. Interessant ist, dass Noten bei der Rekrutierung allerdings keinerlei Rolle spielen: Es ist wurst, wie gut jemand ist. Die Banken schauen nur, ob man das kann, was man auf der Bank können muss: hinstehen und eine gute, knackige Story erzählen.
Sie haben gesagt, die Prognosen von Analystinnen und Analysten seien nicht besser als jene eines Affen. Wie kommen sie zustande?
Jeder hat sein eigenes Rezept. Als ich in meiner ersten Woche auf der Bank einen Kollegen fragte, ob er mir die Schritte aufzeigen könne, wie er zu einer Prognose gelange, war er völlig überrumpelt. Er sagte: «Du musst dein eigenes Gefühl für den Markt entwickeln.» Doch er konnte mir nicht sagen, wie ich dazu gelange. Er riet mir, die Aktienkurse zu beobachten, die «Financial Times» zu lesen. Ich müsse meinen eigenen Weg finden.
Man kann aber doch zum Beispiel den sogenannten Return on Investment berechnen: wie viel Gewinn eine Firma im Verhältnis zu ihrem Kapital erzielt.
Ja, es werden etwa auch Quartalszahlen analysiert. Aber die Zahlen werden immer mit dem eigenen Marktgefühl abgeglichen. Passen diese nicht zusammen, sind die Analysten interessanterweise oft viel eher bereit, an ihren Rechnungen herumzubasteln, als ihre Geschichte anzupassen. Sie schrauben etwa die Zahl für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nach oben, damit eine Firma besser dasteht. Die Analysten glauben auch daran, dass sich gewisse Aktienkursmuster wiederholen. Ein Analyst war überzeugt, dass sich Kurse entlang der Fibonacci-Reihe entwickeln, eine bestimmte Zahlenabfolge. Er habe das lange beobachtet, meinte er. Das ist natürlich Unsinn, es gibt keinen Grund, warum Kurse irgendwelchen Reihen folgen sollten – ausser eine Mehrheit der Marktakteure glaubt auch daran.
Das tönt etwas esoterisch …
Ja, einige der Analysten arbeiten sogar mit Astrologie. Es gibt einen Österreicher, der seine Analysen aufgrund von Sternkonstellationen macht. Einige Schweizer Banken sind Kunden bei ihm. Er hatte Anfang der nuller Jahre anhand der Jupiterkonstellation den Anstieg des Goldpreises prognostiziert. Der Goldpreis ist dann tatsächlich gestiegen, seither ist er eine riesige Nummer. Kein Analyst würde gegenüber einem Kunden zugeben, dass er auf diese Weise Prognosen macht – ausser ein Kunde wünscht dies. Sie pflegen ihr Bild des rationalen Experten, aber hinter den Kulissen läuft es ganz anders ab.
Ein Analyst hat mal einen Würfel geworfen, um Ihnen zu zeigen, wie er zu seinen Prognosen gelangt.
Ja, auf dem Würfel stand «buy», «sell» und «hold»: kaufe, verkaufe und halte. Es war ein Witz, doch natürlich meinte er es auch ein wenig ernst. Es war ein Moment der Selbstreflexion. Im Übrigen sagt auch die sogenannte Effizienzmarkthypothese der Mainstreamökonomik, dass Kurse nicht prognostizierbar seien. Dies, weil jede relevante Information bereits im Aktienkurs steckt.
Sie glauben an diese Theorie?
Nein, sie ist Humbug. Nicht alle haben dieselben Informationen, und es braucht ja auch Marktteilnehmer, die die Informationen in die Kurse einfliessen lassen. Der Grund, dass Analysten tatsächlich nicht besser als Zufallsgeneratoren sind, liegt vielmehr darin, dass niemand in die Zukunft blicken kann.
Aber es gibt doch eine Realität ausserhalb der Aktienkurse: Firmen mit Produkten, potenziellen Kundinnen und Kunden sowie entsprechenden Gewinnaussichten. Eine Aktie einer erfolgversprechenden Firma sollte doch tendenziell steigen.
Natürlich gibt es real existierende Firmen, darum ist es nicht abwegig, dass Analysten sie untersuchen. Der entscheidende Punkt ist aber: Es scheint für die Aktienkurse eine nicht sonderlich grosse Rolle zu spielen, wie es um die Firmen konkret steht. Sonst müssten die Analysten, die die Firmen abklopfen, viel erfolgreicher sein. Der unglaubliche Höhenflug der Aktienmärkte seit der Finanzkrise 2008 hat offensichtlich wenig mit der realwirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Die Aktienkurse weichen nicht nur zeitweise von der realen Verfassung einer Firma ab: Es gibt Firmen, die seit Jahren als überbewertet gelten, und trotzdem fallen deren Kurse nicht. Die meisten Investoren sind nicht an der realen Entwicklung einer Firma interessiert. Solange der Aktienkurs steigt, sind sie zufrieden.
Und trotzdem studieren die Analysten die Geschäftsberichte, obwohl es doch eher darum geht, die Geschichte zu antizipieren, die sich durchsetzen wird.
Dieses Widerspruchs sind sich die Analysten durchaus bewusst. Sie wissen, dass ihnen eine gute Analyse einer Firma nichts bringt, wenn die anderen die Verfassung der Firma nicht gleich wie sie einschätzen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes verglich dies einst mit einem «beauty contest» – einem Zeitungswettbewerb, in dem die Leser sagen müssen, welche Frau auf einem Foto die schönste ist. Um zu gewinnen, müssen sie im Grunde herausfinden, welche der Frauen von anderen als die schönste angesehen wird. Es bringt einem nichts, irgendeine Art von Wahrheit zu erkennen, wenn nicht auch die anderen diese als Wahrheit erkennen.
Obwohl Analystinnen und Analysten nicht besser als Affen sind, gibt es sie. Warum?
Dass sie nicht besser als Affen sind, heisst nur, dass ihr Dasein nicht rein ökonomisch erklärt werden kann. Hier kommt die Ethnologie ins Spiel: Menschen haben ein grundsätzliches Bedürfnis, Vorstellungen über die Zukunft zu entwerfen. Denn erst die Vorstellung, was in der Zukunft ist, ermöglicht einem, im Jetzt zu handeln. Das gilt auch für den Kapitalismus, der sich mit seinen Investitionen ständig an Zukunftsvorstellungen abarbeitet. Analysten sind wichtig, weil sie in der Unsicherheit Vorstellungen über die Zukunft bieten, die die Leute handlungsfähig machen.
Das ist alles?
Der zweite Grund liegt darin, dass es menschlich ist zu glauben, wir würden unsere Zukunft ständig in den eigenen Händen halten: Viele Bankkunden halten es nicht aus, ihr Geld in einem Fonds liegen zu lassen und nichts zu tun. Deshalb versuchen sie, Entwicklungen vorauszusehen, und schichten entsprechend ihr Geld ständig um. Analysten sind die Experten, die ihnen diese Entwicklungen angeblich voraussagen können. Hier liegt auch der dritte Grund, warum es Analysten gibt: Mit den ständigen Umschichtungen verdient die Bank Geld. Bei jedem Kauf und Verkauf von Aktien fallen Kommissionen an. Es gibt Schätzungen, wonach vier Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts dadurch generiert werden.
Geraten manche Analystinnen und Analysten da nicht in eine Sinnkrise, wenn sie erkennen, dass sie nur ein grosses Theater spielen?
Es kam immer wieder vor, dass jemand so etwas sagte wie: «Scheisse, wir haben keine Ahnung.» Gleichzeitig sind sie stets von der Hoffnung getrieben, beim nächsten Mal richtig zu liegen. In der Hälfte der Fälle funktioniert es, in der anderen nicht (lacht). In der Abteilung, in der ich arbeitete, kam irgendwann ein neuer Chef, der systematisch überprüfen wollte, wie gut die Prognosen sind. Es gab einen riesigen Aufstand. So etwas könne man nicht messen, sagten die Analysten, das sei doch alles nicht messbar. Es war ein entlarvender Moment.
Die meisten Medien suggerieren ständig, die Aktienkurse sowie Analysten und Analystinnen könnten uns die Welt erklären. Wie kommt das?
Nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der nuller Jahre gerieten die Finanzexperten stark in die Kritik. «Shoot all the analysts», schrieb die «Financial Times», erschiesst alle Analysten. Nach der Finanzkrise 2008 waren sie jedoch sehr erfolgreich darin, sich aus der Schusslinie der Kritiker zu nehmen und sich als Instanz zu verkaufen, die die Katastrophe erklären kann. Sie begannen auch etwa, die griechische Schuldenkrise zu interpretieren, sprachen sich dabei für harte Sparmassnahmen aus und gegen einen Schuldenschnitt. Kein Wunder, schliesslich hatten ihre Banken Griechenland viel Geld geliehen. Dass diese Leute so kritiklos als Experten für alles akzeptiert sind, ist erstaunlich.
Wie erklären Sie sich das?
Die Analysten sind darin geschult, zu jedem Thema eine gute, knackige Erklärung liefern zu können. An einem meiner ersten Tage auf der Bank kam ein Analyst zu mir und fragte mich, wer das wirtschaftliche Rennen im 21. Jahrhundert gewinnen werde, China oder Indien? Ich sei doch Ethnologe! Ich sagte, das sei eine komplexe Frage, auf die ich keine Antwort hätte – er war geschockt. In der heutigen Medienwelt sind Leute gefragt, die man anrufen kann und die in zwei Minuten eine Erklärung liefern. Da viele von ihnen politikfeindlich argumentieren, vertreten sie zudem eine angeblich kritische Position, die vielen Medien gefällt. Ein Analyst sagte mir mal, dass die Wirtschaft eigentlich ganz rund funktionieren würde, wenn da nicht diese Politiker in Bern wären, die nichts von Ökonomie verstünden. Sie würden alles kaputt machen.
Sie schreiben in Ihrem Buch aber auch über Momente der Selbstkritik, etwa als ein Analyst Ihnen sagt, seine Berufsgattung sei schuld an der Finanzkrise von 2008.
Ja, allerdings war er eher ein Einzelfall. Durch die Komplexität des Finanzsystems kann die Verantwortung immer schön weitergeschoben werden. Unter den Analysten wurde oft gesagt, dass die Händler oder Kundenberater schuld an der Krise seien – sie würden Dinge verkaufen, von denen sie keine Ahnung hätten. Ich würde sagen, an der Finanzkrise waren ganz viele schuld. Beim Verkauf von faulen Hypotheken, ihrer Umwandlung in komplizierte Wertpapiere und deren Verkauf haben die Analysten auf jeden Fall nicht die zentrale Rolle gespielt. Andererseits haben sie die Kaufempfehlungen für diese Wertpapiere abgegeben. Aber es gibt andere Momente der Selbstkritik.
Nämlich?
Oft gibt es eine grosse Lücke zwischen dem Analysten und dem Menschen, der dahintersteht. Als Analysten sprechen sich viele für möglichst viel Freiheit für Investoren aus, und am Abend beim Bier in der Bar kommen dann Sätze wie: «Weisst du, in zehn Jahren geht das eh alles den Bach runter, dieses Finanzsystem ist doch korrupt.» Manche kippen schon fast in Verschwörungstheorien ab. Von aussen hat man oft die naive Vorstellung, dass die Leute in diesen Banken Einblicke haben, die uns entgehen. In solchen Momenten wird deutlich, dass auch die Leute in den Banken die Komplexität der heutigen Wirtschaftswelt nicht mehr überblicken.
Stefan Leins
Der 37-jährige Stefan Leins ist Dozent am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich sowie Mitglied eines Forschungsprogramms an der London School of Economics and Political Science (LSE).
Zwischen 2010 und 2012 forschte der Wirtschaftsethnologe in einer Schweizer Grossbank über die Arbeit von AnalystInnen, über die er dissertiert hat. Das darauf basierende Buch «Stories of Capitalism. Inside the Role of Financial Analysts» ist dieses Jahr bei der University of Chicago Press erschienen. Derzeit forscht Leins über die Rohstoffbranche.