Kampf der Imperien: «Die liberale Weltordnung steht auf dem Spiel»

Nr. 16 –

Die USA führen auch unter Präsident Donald Trump ihre katastrophale Nahostpolitik fort und treiben damit ihren Niedergang als Weltmacht voran – so lautet zumindest die Einschätzung des renommierten Historikers Alfred W. McCoy.

WOZ: Herr McCoy, die USA haben zusammen mit Frankreich und Britannien soeben Syrien bombardiert. War das für Sie aus geostrategischer Sicht gerechtfertigt?
Alfred William McCoy: Der Angriff ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die USA als Weltmacht im Abstieg begriffen sind. Zukünftige Historiker der Geopolitik werden den Angriff wohl als «micro-military misadventure» bezeichnen …

Als «mikromilitärisches Missgeschick»? Was soll das bedeuten?
Die Geschichte zeigt, dass sich aufstrebende Imperien aussenpolitisch und militärisch immer rational verhielten – zuweilen brutal und rücksichtslos, aber überlegt und effizient. Imperien, die im Niedergang begriffen waren, gingen hingegen zunehmend irrational vor – sie stürzten sich in militärische Abenteuer, die strategisch nicht zu rechtfertigen waren. Historische Beispiele gibt es einige, etwa als das antike Athen Syrakus eroberte oder als Britannien in der Suezkrise 1956 Ägypten bombardierte. Die Eliten niedergehender Weltreiche hoffen, dass sie durch gewagte Militäraktionen den verblassenden Ruhm wiedererlangen können. Diese Aktionen werden dann aber schlecht geplant und ausgeführt und verstärken den Niedergang eher noch.

Die Angriffe in Syrien wurden mit dem jüngsten Giftgaseinsatz begründet. Liegt ein strategisches Interesse der USA nicht auch darin, das internationale Regelwerk aufrechtzuerhalten?
Ja, aber das ist nicht der Grund, warum wir in Syrien sind. Durch die Irakinvasion von George W. Bush konnte sich der sogenannte Islamische Staat ausbreiten, den wir dann wiederum in beiden Ländern bekämpfen mussten. Sowohl geografisch als auch historisch sind die USA vom Irak her nach Syrien gekommen. Die ganze Nahostpolitik seit 2003 ist eine einzige strategische Fehleinschätzung. Die USA haben, wie viele andere auch, ein Interesse an einem stabilen Nahen Osten. Das war aber nie das eigentliche Ziel der USA. Es ging nämlich nur um Erdöl.

Das zeigte sich ja schon 1949 ausgerechnet in Syrien, als der neu gegründete US-Auslandsgeheimdienst CIA einen Putsch initiierte, weil sich die Regierung gegen den Bau einer Pipeline stemmte.
… ja, und vier Jahre später den Putsch im Iran wegen der Verstaatlichung des wichtigsten Ölunternehmens und so weiter. Damals war die US-Ökonomie, wie die ganze Weltwirtschaft, von Ölexporten aus dem Nahen Osten abhängig. Aber seit dem Aufkommen alternativer Energien und neuer Erdölquellen ist das nicht mehr der Fall. Für die US-Nahostpolitik in dieser Form gibt es keinerlei strategische Grundlage mehr.

Warum wurde die alte Nahostpolitik trotzdem weitergeführt?
Die Invasion in den Irak von 2003 war durch die Weltsicht der Neokonservativen geprägt. Zum einen erkannten die nicht, dass die USA mittlerweile einen Energieüberschuss produzierten. Zum anderen versuchten sie nach dem Schock der Anschläge vom 11. September 2001, die USA in der Welt wieder stark zu machen. Eine typische strategische Fehleinschätzung einer niedergehenden Weltmacht eben. Syrien ist nur die Fortsetzung dieses nicht enden wollenden Kapitels – ein einziges Desaster, bei dem die USA ein oder zwei Billionen Dollar in den Sand gesetzt haben.

Trotz Kriegsrhetorik könnte Präsident Trump aber auch bald seine Ankündigung wahr machen, die Truppen aus Syrien abzuziehen, die sein Vorgänger Barack Obama dorthin geschickt hatte.
Trump geht es nur um seine Wahlversprechen; eine geopolitische Strategie sehe ich überhaupt nicht. Ganz anders Obama. Er erkannte, dass die Zukunft der amerikanischen Wirtschaft im pazifischen Raum liegt, und deshalb verfolgte er eine zweiteilige Strategie: Die Streitkräfte sollten aus dem Nahen Osten weitgehend abgezogen und stattdessen im Westpazifik zwischen Japan und Australien neu positioniert werden. Zweitens hat er die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ausgehandelt, ein riesiges Handelsabkommen mit fast allen Pazifikanrainerstaaten – ausser China –, um den ganzen Handel dieser Region auf die USA auszurichten.

Warum ist diese Hinwendung zu Asien so wichtig?
Die Antwort darauf gab der britische Geograf Halford Mackinder bereits 1904. Das British Empire, in dem Sir Mackinder lebte, war eine Seemacht, wie es alle Weltreiche der vergangenen 500 Jahre waren. Doch er erkannte, dass insbesondere durch die damalige Entwicklung der Bahninfrastruktur bald auch Landmächte ein Weltreich begründen könnten. Als zentrale Landmasse sah er die zusammenhängenden Kontinente Europa, Asien und Afrika – er nannte das die Weltinsel. Eine zentrale These Mackinders lautet: Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.

So weit die Theorie …
Adolf Hitler versuchte, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Dann folgte die totale Zweiteilung durch den Kalten Krieg. Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben es die USA geschafft, die eurasische Landmasse zu kontrollieren.

«Kontrollieren » – ist das nicht zu stark?
Nein, aus geopolitischer Perspektive nicht. Die USA haben im Zweiten Weltkrieg die aufstrebenden eurasischen Imperien Deutschland und Japan zerschlagen und nicht nur sie zu Alliierten gemacht. Ganz Westeuropa war durch die Nato ins US-Imperium eingebunden; am Ostrand der Landmasse neben Japan auch Südkorea, die Philippinen und Australien; Militärstützpunkte mit Truppen, Kriegsschiffen, Raketen überall. Also das, was als eiserne Einkreisung der eurasischen Landmasse bezeichnet wird.

Das ist ja grundsätzlich weiterhin so. Warum sehen Sie die USA als Imperium trotzdem im Niedergang?
Zum einen hat die eiserne Einkreisung Risse bekommen: Die Nato gibt es zwar noch, sie ist aber als Verteidigungsbündnis geschwächt, nicht zuletzt durch das Verhalten der Türkei; im Osten haben die USA die Philippinen als Partner praktisch verloren, und auch Japan und Australien sind nicht mehr so starke Verbündete.

Und zum anderen?
Weil die USA nicht verhindern können, dass eine Landmacht Eurasien gerade von innen heraus vereint: China ist längst dabei, Mackinders Vision umzusetzen. Um die riesigen Distanzen Eurasiens zu überwinden, investiert die Volksrepublik rund eine Billion Dollar in eine umfassende Infrastruktur von Verkehrswegen und Pipelines.

Die berüchtigte «neue Seidenstrasse» …
Genau. Und dabei wird China bis 2025 eine weitere Billion Dollar in Afrika investieren. Wenn das klappt, werden Eurasien und Afrika tatsächlich bald eine vereinte Landmasse bilden.

Die Führung in Beijing sagt, es gehe nur um die wirtschaftliche Entwicklung aller.
Das ist ein wichtiger Teil des Programms. Millionen von Menschen, die heute kaum Infrastruktur, nicht einmal fliessend Wasser, haben, werden in die Weltwirtschaft integriert. Doch allein schon die Kreditvergabe an alle möglichen Staaten und die ökonomische Vereinigung Eurasiens werden zu einem enormen Machtzuwachs Beijings beitragen. Und China übernimmt gerade die Kontrolle über das Südchinesische Meer und durchbricht dort die eiserne Umkreisung durch die USA. Militärische Infrastruktur hat China auch schon in Pakistan, Sri Lanka oder Dschibuti.

Wäre nicht denkbar, dass die USA und China als Imperien nebeneinander existieren?
Das ist möglich. Obamas Hinwendung zu Asien war ein Versuch, den Aufstieg Chinas zu verlangsamen und wohl letztlich den Weg für eine Koexistenz zu bereiten.

Und Hillary Clinton hätte das weitergeführt, wäre sie heute US-Präsidentin?
Bestimmt. Clinton war als Aussenministerin wesentlich an Obamas Asienstrategie beteiligt. Trumps katastrophale Führung setzt nun nicht nur die Zukunft der USA aufs Spiel, sondern die liberale Weltordnung überhaupt: Internationale Institutionen sind akut gefährdet – und zwar bis hin zum System der Uno.

Alfred William McCoy

Alfred William McCoy (72) ist Professor für Geschichte an der University of Wisconsin in Madison. Er ist auf Südostasien und Geopolitik spezialisiert. Sein jüngstes Buch: «In the Shadows of the American Century. The Rise and Decline of US Global Power» (Haymarket Books, New York 2017).