Protestplakate: «Es gibt keine unpolitische Kunst»
Protestplakate von den Anfängen bis heute sind prägnante Zeugnisse sozialer Bruchlinien weltweit. Für Bettina Richter, Kuratorin der Plakatsammlung des Museums für Gestaltung, war es wichtig, eine Ausstellung mit Haltung zu machen.
WOZ: Frau Richter, wird man nostalgisch, wenn man sich über längere Zeit mit Protestplakaten aus den letzten hundert Jahren auseinandersetzt, wie Sie das gerade getan haben?
Bettina Richter: Ich glaube schon, dass die Bildsprache früher vielseitiger war, auch dank anderer Techniken wie Handillustrationen und Malerei. Die Plakate trugen stärker die originale Signatur eines Gestalters, einer Gestalterin. Heute kommt vieles aus dem fotografischen oder typografischen Bereich. Früher wurde durch die Unmittelbarkeit auch eine Radikalität transportiert, etwa in den Pariser Plakaten zum Mai 68. So etwas sieht man kaum noch, vielleicht auch, weil das Können zu gross ist – oder das Wollen. Im eurozentrischen Raum ist das Plakat als Medium heute marginalisiert. Deswegen war es mir wichtig, Mexiko oder auch Israel hereinzuholen und damit Konfliktzonen, in denen das Plakat noch die alte kommunikative Schlagkraft als kritische Intervention hat. Gleichzeitig soll die Ausstellung ein Aufruf an junge Gestalter und Gestalterinnen sein, das Medium wieder politischer einzusetzen.
Heute sind viele Proteste ins Internet abgewandert. Aber ist das Netz wirklich ein öffentlicher Raum, wie das die Strasse war oder ist? Funktioniert Protest online überhaupt?
Wenn heute zu Bewegungen aufgerufen wird, kann das dank der Netzkommunikation sehr schnell gehen. Man beobachtet ein Aufflackern von Bewegungen, die sehr integrativ daherkommen – etwa Occupy oder die Gezipark-Bewegung in der Türkei –, gleichzeitig hört man, dass die Gesellschaften komplett gespalten sind. Hier führt das Netz zu Trugschlüssen.
Eine Kehrseite der schnellen Mobilisierung ist zudem, dass die Protestbewegungen früher oft sehr viel nachhaltiger waren, da mit mehr Zeitaufwand und Verbindlichkeit organisiert. In der Ausstellung sind aber in einer Slideshow schon auch Netzbilder zu sehen. Diese lassen sich online rasch streuen, austauschen, kopieren, zitieren. Das Plakat auf der Strasse lädt hingegen dazu ein, sich im Kollektiv mit einer Sache auseinanderzusetzen. Nicht als Vereinzelte mit der ganzen Welt in einen virtuellen Austausch treten, sondern ganz konkret in der realen Welt: Das kann nur das Plakat leisten.
Protestbewegungen kommen heute oft von rechts. Rechte Protestgrafik findet sich in der Ausstellung mit Ausnahme des Minarettplakats der SVP aber nicht. Warum?
Ich hätte es gefährlich gefunden, das in der Ausstellung zu mischen. Für mich steckt hinter dieser Ausstellung klar eine Haltung, ein Statement – jenseits eines Links-rechts-Schemas. Wenn ich Plakate gemischt hätte, etwa um aufzuzeigen, dass sich die rechten und linken Bildsprachen zum Teil sehr ähnlich sind, hätte sich die Ausstellungsthematik vollkommen verschoben.
Aber natürlich haben wir SVP-Plakate in der Sammlung. Sie sind sehr wirkungsvoll, man merkt, dass da ein Gestalter dahinter ist, der weiss, wie man mit reduzierten Farben und Formen und mit einer wiedererkennbaren PR-Sprache arbeitet. Dabei sind die Inhalte weder emanzipatorisch noch aufklärerisch, sondern ausschliessend. Vor Jahren tauchte ein SVP-Plakat sogar bei einem US-Kunstauktionshaus zum Verkauf auf, inklusive Unterschrift des Gestalters Alexander Segert. Letztlich ist es eine sehr geschickt eingesetzte Werbesprache. Auch die Websites der Identitären Bewegung kommen sehr professionell daher, zeitgemäss, glatt, trendig und mit einem erstklassigen Corporate Design.
Was können Protestplakate zur alten Debatte über Ästhetik und Politik, über Kunst und Engagement beitragen?
Für mich ist die Debatte um Form und Inhalt irgendwie müssig, denn es muss ja immer beides zusammen stimmen – in der bildenden Kunst wie in der Plakatgrafik. Es gibt sowieso keine unpolitische Kunst, wenn man den Politikbegriff etwas weiter fasst. Auch Schweigen ist eine politische Haltung.
Wenn jemand ein explizites politisches Statement machen will und das keine ästhetische Gestalt erhält, kollabiert es. Oder es spricht nur Insider an. Dagegen sind visuell gelungene Interventionen weit über den konkreten politischen Moment hinaus aussagekräftig und aktualisierbar.
Die Ausstellung: Ästhetik des Widerstands
Wie die Hektik der Strasse in einen fensterlosen Ausstellungsraum hineinholen, wo die Protestplakate schön gerahmt an sauber gestrichenen, farbigen oder weissen Wänden hängen? Das ist eine der Fragen, die sich die Kuratorin Bettina Richter für die Ausstellung «Protest! Widerstand im Plakat» im Museum für Gestaltung stellen musste. Youtube-Filme und Dokumentarfilme helfen, um Strassengefühl und Protestfieber zu evozieren – den Rest erledigen die aufrüttelnden Sujets aus den letzten hundert Jahren. An den Wänden hängen 300 Protestplakate, die oft wie Faustschläge auf die Netzhaut der Betrachterin knallen: angefangen etwa bei Plakaten aus dem Pariser Mai 68, gestaltet vom legendären Atelier Populaire, bis hin zu Donald Trump, den der Grafiker Luis Veiga 2016 in eine Ecke setzte – ausgestattet mit einem Ku-Klux-Klan-Hut als Narrenkappe, der Trumps Schatten an der Wand zum Esel formt.
Ganz bewusst keine klassische linke oder rechte Parteipropaganda in Szene setzen, sondern Plakate als kunstvoll gestaltete Emanzipationsträger ernst nehmen – so könnte die Losung der Ausstellung lauten. Auffallend ist, dass Protestsujets häufiger mit Schreckensbildern warnen als Utopien an die Wand malen; womöglich weil Letztere bereits von der Werbung vereinnahmt sind. Auch sind auf den Plakaten Idole rarer als Feindbilder. Che Guevara hat zwar seinen Platz, jedoch nicht nur als kubanischer Revolutionsheld, sondern marktwirtschaftlich gebrochen als Werbeträger von Sunrise. Die «Protest!»-Ausstellung hat einen starken historischen Teil, ragt aber direkt in die Gegenwart hinein: nicht zuletzt dank vertiefenden Kapiteln zu Gestaltern wie dem Heidelberger Klaus Staeck, der seit über 45 Jahren seine brutal witzigen Politplakate als legale Schmuggelware auf offizielle Plakatwände kleben lässt. Oder man erfährt, wie der Pariser Vincent Perrottet seine Plakate auch als Versammlungsorte versteht – und als Protest gegen die ökonomische Vereinnahmung des öffentlichen Raums.
Daniela Janser
«Protest! Widerstand im Plakat», 20. April bis 2. September 2018, Museum für Gestaltung im Zürcher Toni-Areal. Eröffnung: Do, 19. April 2018, 19 Uhr. Weitere Infos, auch zum Rahmenprogramm: www.museum-gestaltung.ch.