Körperbilder: Auf unebenem Gelände

Nr. 5 –

Ohne den menschlichen Körper geht es nicht in der Werbung und im Club. Was machen zwei aktuelle Ausstellungen daraus?

Plakat aus der Ausstellung «Talking Bodies»
Was denken und fühlen wir, wenn wir hinschauen? Plakate aus der Ausstellung «Talking Bodies» im Zürcher Museum für Gestaltung. Bild: Sisley-Kampagne 1998
Plakat aus der Ausstellung «Talking Bodies»
Bild: Issey Miyake 1999, DNP Art communications

Kurz vor dem Ausgang liegt da noch eine unebene Schaumstoffmatte mit der Aufforderung, sich darauf zu stellen: Verändert sich so Ihr Körpergefühl? Aber da ist man sowieso schon längst durchgeschüttelt von all den Körperdarstellungen, die auf einen eingeprasselt sind. Dabei sind wir das doch eigentlich gewohnt: Der menschliche Körper ist auf Plakatwänden und im Internet omnipräsent, sich den Bildern davon zu entziehen, kaum möglich.

In «Talking Bodies» ist dieses alltägliche Erlebnis auf relativ kleinem Raum noch einmal kondensiert: Die Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung zeigt und reflektiert Bilder von menschlichen Körpern in überwältigender Vielfalt. «Talking Bodies» arbeitet mit Reizüberflutung als Mittel, bietet aber auch eine Auseinandersetzung weit darüber hinaus an.

Die junge Frau aus der Sisley-Modewerbung etwa, auf allen vieren, mit rot geschminkten Lippen und tiefem Ausschnitt, wird flankiert von einer Annonce von Imperial Airways aus dem Jahr 1935, auf dem eine nackte Schwarze Frau mit Vase auf dem Kopf sowie der Slogan «Through Africa in days instead of weeks» zu sehen sind; auf der anderen Seite ein Plakat von 1923 mit der Zeichnung eines dicken Mädchens: «Herta, 15 Jahre, wiegt 500 Pfund» – zusammen mit der Preisausschreibung, ein Kind im gleichen Alter mit gleichem Gewicht (also knapp 227 Kilogramm) zu finden; gleich dahinter ein Plakat des Modegeschäfts Metro mit einer Frau und einem Mann, beide knapp bekleidet und in lasziven Posen – auch die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen ist hier allgegenwärtig. Die Bilder sind in der Ausstellung oft überlappend gehängt; das ist visuell, aber auch inhaltlich anregend.

Keine abschliessenden Antworten

Zum Beispiel die Benetton-Kampagne des Fotografen Oliviero Toscani aus den neunziger Jahren, deren Sujets etwa ein blutverschmiertes Camouflage-Outfit sind, der Oberkörper einer Schwarzen Frau, die einem weissen Kind die Brust gibt, oder ein völlig überfülltes Flüchtlingsschiff, stets versehen mit dem kleinen grünen Logo: United Colors of Benetton. Werden so unterrepräsentierte Körper ins Zentrum gerückt, werden Vorurteile reproduziert, sind diese Bilder zynisch, subversiv oder provokativ – oder alles zusammen? Antworten darf das Publikum selbst finden. Die kurzen Texte in der Ausstellung funktionieren jeweils eher als Sprungschanzen für Gedanken, ein verständlich geschriebenes Glossar liegt auf und erklärt verschiedene Begriffe von «Ableismus» über «Intersektionalität» bis «Objektifizierung».

An einer Wand werden Annoncen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt: Werbung für Seife, Zahnpasta oder Waschmittel, mit denen suggeriert wird, dass sich Schwarze Haut weiss waschen lasse; in einer besonders krassen Illustration schrubbt sich ein Schwarzer Mensch die Hände tatsächlich weiss. Durch die kluge Ausstellungsführung wird in diesem Abschnitt gezeigt, wie Bilder aus der Kolonialzeit bis heute weiterwirken – wenn etwa in Spendenaufrufen von Hilfswerken Schwarze Menschen als passive Opfer dargestellt werden, die vom Mitleid und der Kaufkraft des Westens abhängig sind. Dass Schwarze Körper hingegen in Modekampagnen dargestellt werden, blieb lange Zeit die Ausnahme; heute werden sie vor allem auch im Rahmen von Diversity-Kampagnen verschiedener Grossfirmen sichtbar.

Mittlerweile lässt sich mit der Darstellung von dicken, behinderten oder nichtweissen Körpern Werbung machen – und Geld. Firmen wie Zalando, Nike oder Adidas werben mit teuer produzierten Videos, in denen die Vielfalt von Körpern und Lebensentwürfen gefeiert wird. Ist das jetzt ein Zeichen für gesellschaftlichen Wandel – oder bloss verwerfliche Aneignung? Es ist gerade eine Stärke der Ausstellung, dass sie solche Fragen zwar hartnäckig aufwirft, jedoch nicht abschliessend beantwortet. Bei einzelnen Plakaten sind Hörstationen installiert, wo Menschen aus Zürich erzählen, wie diese auf sie wirken – mit ihnen kann man so in ein zumindest imaginäres Gespräch treten. So divers ihre Hintergründe sind, so unterschiedlich fallen auch ihre Interpretationen aus.

Die besten Raves

Spaziert man vom Museum für Gestaltung rüber zur Photobastei, wundert man sich im zweiten Stock erst einmal: Die dort gastierende Ausstellung «Techno Worlds» des Goethe-Instituts wirkt nach der Flut zuvor seltsam körperlos. Die Werke hier behandeln die Darstellung von Musik, von bewusstseinserweiternden Substanzen – zweifellos wichtige Bestandteile der Technokultur, aber ohne Menschen, die dazu tanzen, schnaufen und schwitzen, ist das doch alles ziemlich blutleer. Die Übersetzung vom Rave in den Ausstellungsraum ist sowieso nicht ganz einfach; und ohne Körper, so zeigt sich, funktioniert das erst recht nicht. An einem Nachmittag unter der Woche sind die Räume hier ruhig, die Soundinstallationen auf Zimmerlautstärke eingestellt, die Exponate stehen etwas verloren in den Räumen herum.

Ein Stockwerk weiter oben wird die Wanderausstellung mit dem zürichspezifischen Teil «The Pulse of Techno» erweitert; hier liegt der Fokus stärker auf den Menschen, die die Technokultur ausmachen. An einer Oral-History-Station erzählen ältere Raver:innen von Zürichs Zeiten als Pionierstadt des Techno, eine Fotoserie von Jules Spinatsch zeigt Besucher:innen, die in den frühen Jahren der Street Parade am Rand des Umzugs 1995 und 1997 stehen. Es macht viel Freude, sich die Gesichter und Outfits anzusehen – allerdings fällt auf, wie homogen die Teilnehmer:innen sind: fast ausschliesslich jung, weiss und schlank und damit auch nicht völlig anders als die Menschen auf den Plakatwänden.

Exklusiv inklusiv

Die Fragen nach Repräsentation, aber auch den konkreten Möglichkeiten, einen Rave oder Club möglichst inklusiv zu gestalten, sind in letzter Zeit zum Glück lauter geworden, wie Diskussionen über Awareness-Konzepte und Türpolitiken zeigen. In der Ausstellung ist so auch ein Raum vom Verein «Les Belles de Nuit» gestaltet, der sich für Frauen und Queers in der Clubszene einsetzt.

Wie man aber damit umgeht, dass umgekehrt auch Exklusion ein wichtiger Aspekt von Clubpolitik ist, wird oft weniger thematisiert. Exklusivität macht den Clubbesuch interessanter, im besten Fall auch sicherer. Gleichzeitig kommen Safe-Space-Anliegen nicht immer ganz ohne Szenegehabe aus. Wie man also nicht nur Inklusion, sondern auch den Ausschluss handhabt: eine weitere Frage, die immer wieder neu verhandelt werden muss.

Und was ist, wenn der Rave irgendwo in einem alten Industriegebiet stattfindet, das nur über komplizierte Wege oder holpriges Gelände zugänglich ist? Das kann Spass machen, aber eben nicht allen. Im nicht- oder halboffiziellen Rahmen, wo immer noch die besten Raves stattfinden, ist die Umsetzung von Barrierefreiheit und Diversity-Anliegen aber oft weniger von fehlendem Bewusstsein als von Ressourcenknappheit bedroht.

«Talking Bodies» widmet sich mit einem Schlaglicht auf die Kampagnen der Behindertenorganisation Pro Infirmis einem in Diversity-Diskursen manchmal vergessenen Anliegen. Der eingängige Slogan «Wir lassen uns nicht behindern» trägt sowohl selbstbewusstes Statement als auch Appell in sich. Die Forderung nach Repräsentation ergibt so im besten Fall auch Ideen, die über das eigentliche Anliegen hinausweisen.

«Talking Bodies – Körperbilder im Plakat» im Museum für Gestaltung Zürich, bis 25. Februar 2024. www.museum-gestaltung.ch

«Techno Worlds» und «The Pulse of Techno» in der Photobastei Zürich, bis 31. März 2024. www.photobastei.ch