Durch den Monat mit der «grossen um_ordnung» (Teil 1): Planen Sie die totale Überforderung?

Nr. 18 –

Ende Mai soll auf dem Zürcher Helvetiaplatz die Welt neu geordnet werden. Wer ist da die problematische Minderheit? Wie lässt sich skandieren, ohne dass es autoritär klingt? Und ist das Ganze ein Hippie-Happening? Die drei InitiantInnen der politischen Kunstaktion erzählen.

Tim Zulauf, Sabian Baumann und Rahel El-Maawi: «Die ‹grosse um_ordnung› wird eine Vision, wie unsere Gesellschaft sein könnte.»

WOZ: Die politische Kunstaktion «die grosse um_ordnung» soll Rassismus, Sexismus, die Rechte von behinderten und queeren Menschen, Kapitalismuskritik, Umweltzerstörung und vieles mehr thematisieren. Mit anderen Worten: Es geht um alles. Ist das nicht eine totale Überforderung?
Rahel El-Maawi: Doch. Total.

Sabian Baumann: In den Medien wird jedes Problem einzeln behandelt: Da sind die syrischen Geflüchteten, dort gibt es ein ökologisches Problem und dort Transmenschen, die zu wenig Rechte haben. Dabei geht vergessen, dass letztlich jedes Problem, egal ob Sexismus oder der Umgang mit Tieren, systemisch bedingt ist. Diese Probleme haben einen Zusammenhang. Deshalb geht es uns um eine Umkehrung.

Tim Zulauf: … eine Umkehrung in Bezug auf sogenannte Minderheiten.

Baumann: Ja. Wer ist eigentlich die problematische Minderheit?

Ja, wer denn?
Baumann: Der Inbegriff einer problematischen Minderheit ist der Präsident der USA. Wir hören so oft: «Es sind eben die Minderheiten, die Probleme haben.» Nein – da generiert eine privilegierte Minderheit systematisch Probleme für die anderen!

Spätestens seit der Trump-Wahl werden Identitätspolitik und Kapitalismuskritik oft gegeneinander ausgespielt. Mit dem Tenor: «Wir haben viel zu viel über die Probleme von Frauen, Homosexuellen und Transmenschen geredet statt über die Probleme der Arbeiter.»
Baumann: In einem kapitalistischen System gibt Besitz den Menschen den Wert, und das ist direkt verbunden mit Identität. Es ist absurd, das eine gegen das andere auszuspielen.

El-Maawi: Jene, die wirtschaftliche Macht, Entscheidungsmacht haben, machen auch Identitätspolitik, nämlich für ihre Gruppe: meist weisse Männer. Sie haben es aber nicht nötig, sich ihrer Identität bewusst zu werden.

Zulauf: Sie fühlen sich extrem angegriffen, sobald ihre Position zum Thema wird. Interessant!

El-Maawi: … und alle anderen können abgekanzelt werden, weil sie ja nur für Minirechte von Marginalisierten kämpfen, etwa von Transmenschen oder Schwarzen alleinerziehenden Frauen, statt für die grosse Umwälzung … Wir wollen nicht nur die Marginalisierten benennen, sondern auch die Privilegierten. Das ist ein Angebot der «grossen um_ordnung»: Alle sollen und können sich über ihre Identitäten Gedanken machen. Gerade mit dem Ziel, dass es nicht alles dominiert, dass wir nicht immer markieren müssen: Das ist eine Schwarze Frau, das ist ein schwuler Mann.

Zulauf: Da verlieren halt viele ihre Sprechmacht. Da kann ich nicht mehr eine sozialistische Revolution für alle konzipieren, sondern ich muss zuerst zuhören: Wer sind denn überhaupt alle? Welche Anliegen haben sie, und kann ich da als weisser Mann einfach mit einer grossen umarmenden Geste daherkommen? Diese Geste ist ähnlich übergriffig wie das sexualisierte Machtverhalten, das von #MeToo kritisiert wird.

Sie wollen mit Ihrer Aktion viele Menschen zusammenbringen. Aber wie kommen Sie an Leute heran, denen die Kunstszene und ihr Jargon fremd sind?
El-Maawi: Unsere Aktion soll auf verschiedenen Ebenen Zugang ermöglichen, nicht nur intellektuell. Die «grosse um_ordnung» wird eine Vision, wie unsere Gesellschaft sein könnte. Darüber kann man nicht nur nachdenken – das kann man mit Körpern in Raum und Zeit stellen und miteinander erfahren.

Baumann: Genau, und sie findet auf dem Helvetiaplatz statt, weil es dort sonst auch Demonstrationen gibt. Wir fangen zwar in bestimmten Subkulturen und akademischen Kreisen an, aber es soll diese Kreise auch verlassen.

Ist es Ihnen wichtig, dass Leute, die zufällig vorbeikommen, verstehen, worum es geht?
Baumann: Vom Manifest versteht man garantiert etwas, und wir verteilen auch Flyer, die erklären, was das soll.

Zulauf: Wir diskutieren momentan mit der Sängerin Doro Schürch darüber: Wir formulieren Kernbotschaften, die sich skandieren lassen, aber auch die Sprache Zersetzendes, Ent-Lernendes. Skandieren ist ja eine autoritäre Form – du hast keine Offbeats drin, der Marsch gibt den Takt vor, nuancierte Botschaften passen da nicht rein.

Ein Grund, warum ich mich an Demos oft unwohl fühle … Versuchen Sie, andere Rhythmen zu entwickeln?
Zulauf: Ja, und wir denken über die Musikinstrumente nach. Pauken gehen auf keinen Fall, sie stehen für das Militärische … Wie wäre es mit Klangschalen oder Zimbeln? Das klingt dann vielleicht zu sehr nach Hare Krishna …

Gehört es zum Konzept, dass die «grosse um_ordnung» fünfzig Jahre nach dem Mai 1968 stattfindet? Damals nannte man so etwas Happening …
Baumann: Nein, wir haben geschaut, wann wir freie Termine haben. Und ein bisschen warm sollte es auch schon sein …

Zulauf: Ein Hippie-Happening! Das habe ich mir so nie überlegt. Jetzt ergeben auch die Klangschalen einen Sinn!

Sabian Baumann ist Künstler* (der Stern markiert eine queere Männlichkeit ausserhalb der binären Norm), Rahel El-Maawi soziokulturelle Animatorin und Tim Zulauf Autor und Theaterregisseur. «Die grosse um_ordnung» findet am 26. Mai 2018 auf dem Zürcher Helvetiaplatz und in der Gessnerallee statt. www.diegrosseumordnung.ch