Najem Wali: Der Kampf gegen den Stein

Nr. 18 –

In «Saras Stunde» zeichnet der irakische Autor Najem Wali ein differenziertes Bild der saudischen Gesellschaft.

Mit einem Paukenschlag hat Thronfolger Muhammad bin Salman Saudi-Arabien kürzlich auf die Agenda der internationalen Politik gehoben: Nicht nur wolle sich sein Land an Israel annähern, so die Ankündigung, mehr noch werde sich das wahhabitisch-sunnitische Königreich umfassend modernisieren und mit der Aufhebung des Autofahrverbots die Bewegungsfreiheit von Frauen erweitern.

Ob damit tatsächlich eine grundlegende Revision der frauen- und kulturfeindlichen Staatsdoktrin in Gang gesetzt wird, bleibt abzuwarten. Der 1956 in Basra geborene und seit 1980 in Berlin lebende Schriftsteller Najem Wali zeigt sich skeptisch: Neun Monate, erklärt er in einem Interview, dauere es, bis eine Frau den Führerschein habe, und wenn sie ihn besitze, befinde eine Kommission darüber, ob der Führerschein gültig sei. Anlass seiner Ausführungen ist Walis eben erschienener Roman «Saras Stunde», der im Unterschied zu seinen früheren Büchern nicht in seiner Heimat Irak spielt, sondern in der an der Küste liegenden Ostprovinz Saudi-Arabiens.

Vom Teufel besessen

2010 hatte Wali das Land auf Einladung der deutschen Botschaft längere Zeit bereist und dort viele Geschichten gesammelt. Eine, so ist dem Nachwort des Autors zu entnehmen, lag lange Zeit, aufbewahrt in einem Moleskin-Heft, auf seinem Schreibtisch, bis er sich entschloss, den dort festgehaltenen Bericht einer jungen Frau zu fiktionalisieren. «Ich hatte immer das Gefühl», schreibt er in diesem Brief an die fiktive Sara, dieser Geschichte «nicht zu genügen».

Das Buch setzt ein mit einer dem Krimigenre entlehnten Szene: Eine Frau Mitte zwanzig steht am Bett ihres nach einem Attentat genesenden Onkels, Scheich Jussuf al-Ahmad. Sie plant, ihn zu töten. «Die Rache ist mein, und ich will vergelten», stellt Wali ein Motto aus Leo Tolstois «Anna Karenina» voran, und Rachegefühle sind Saras treibende Kraft. Sie imaginiert sich in ihre Zwillingsschwester Aramco, eine Figur, «die sie sich in ihrer Kindheit ausgedacht hat, um sich hinter ihr zu verstecken».

Denn dieser Onkel, Chef der «Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und der Verhinderung von Lastern», also der allmächtigen arabischen Sittenpolizei, verschattet von frühester Jugend an das Leben des Ausnahmekindes. 1980 in eine reiche Familie geboren und Augenstern ihres Vaters, der durch Versorgungsverträge mit der amerikanischen Air Base in Dhahran zu sattem Wohlstand gekommen ist, wäre Sara ein unbeschwertes Leben vorbestimmt gewesen.

Doch das Frühchen, das seine Kindertage voll ungestümen Freiheitsdrangs an der Seite ihres Vaters verbringt, gerät in Konflikt mit der «Behörde». Als Sara schon als Kind gegen die restriktiven Unterweisungen opponiert, wird sie bezichtigt, vom Teufel besessen zu sein. Je älter sie wird, desto mehr gerät sie in Bedrängnis. Und ihr Onkel Jussuf ist mächtig, nicht nur als rigider Koranausleger in der Öffentlichkeit, er arrangiert auch die Zwangsverheiratung Saras mit seinem schwulen Sohn Nassir.

Walis Heldin Sara ist eine jener unerschrockenen Frauen in der arabischen Welt, von denen der Autor sagt, sie «kämpften mit einem Körper aus Glas gegen den Stein». Insbesondere in der Ostprovinz, wo die saudischen Mädchen im Gefolge des Golfkriegs in Kontakt mit den freier erzogenen geflüchteten Frauen aus Kuwait und anderswo kommen, wächst Widerspruch. Sara hat diesen Willen zum Widerspruch von ihrer gleichnamigen Tante, die auf ihrer Liebe zu einem einfachen Mann bestanden hat und verschwunden ist.

Korruption und Doppelmoral

Auch Sara fühlt sich zum Entsetzen ihres Vaters zu einem Handwerker hingezogen, ein Ding der Unmöglichkeit in der sozial extrem segregierten und hierarchischen saudischen Gesellschaft. Sara greift zu den «Listen der Frau», nicht nur gegenüber ihrem Onkel, den sie öffentlich blamiert, sondern auch gegenüber ihrem Ehemann Nassir, mit dem sie später in London lebt. Für westliche Leserinnen wirkt das manchmal etwas abgeschmackt, wie überhaupt diese Sara nicht immer nur als Heldin daherkommt, sondern auch als wenig sympathisches Luxusweibchen, das sich kaum Gedanken um die indischen Bediensteten macht und damit beschäftigt ist, das Geld ihres Vaters in den teuren Londoner Geschäften zu verprassen.

Gerade diese zwiespältige Sicht auf die Protagonistin ist jedoch geeignet, ein differenziertes Bild der saudischen Gesellschaft zu entwerfen mit ihrer Korruption und Doppelmoral, ihren rigiden Verhaltensnormen und den Ausweichbewegungen der Jugend, ihrer Unterstützung des islamischen Terrorismus und ihrer gleichzeitigen Abhängigkeit vom Westen. Eingebettet in die turbulenten Ereignisse seit 1980, die den Krieg erstmals ins eigene Land tragen, ist Saras Schicksal exemplarisch und steht doch auch für sich durch ihre immense Wut und ihren Mut.

Dass Wali, obwohl er aus der Perspektive Saras erzählt und auch in intime Bereiche bis hin zum sakrosankten Jungfernhäutchen vordringt, deutlich Distanz zu ihr hält, ist kein Nachteil. Die arabeske, mit vielen Wiederholungen arbeitende Sprache dagegen wirkt manchmal etwas zu verschnörkelt, verstärkt noch durch den elliptischen Stil und Reihungen, durch die sich Sätze manchmal über halbe Seiten hinziehen, immer wieder neu ansetzend und über Verzweigungen und Umwege zum Ziel führend. So wie «Saras Stunde» eben auch nicht in einen wirklichen Befreiungsakt mündet, sondern Suchbewegung bleibt, forciert von Leiderfahrung und Rachedurst.

Veranstaltungen mit dem Autor in Solothurn am Fr, 11. Mai 2018, um 9 Uhr und am Sa, 12. Mai 2018, um 12 Uhr.

Najem Wali: Saras Stunde. Roman. Aus dem Arabischen von Markus Lemke. Hanser Verlag. München 2018. 349 Seiten. 36 Franken