Razzien nach dem G20-Gipfel: Einseitiger Ermittlungseifer

Nr. 22 –

Über hundert PolizistInnen waren im Einsatz, als am frühen Dienstagmorgen im aargauischen Bremgarten eine Wohnung und das dortige autonome Kulturzentrum durchsucht wurden. Mehrere Computer sollen dabei beschlagnahmt worden sein. Die Aargauer Staatsanwaltschaft war damit einem Ersuchen der Hamburger «Sonderkommission Schwarzer Block» nachgekommen: Diese ermittelt gegen einen jungen Mann, der sich im letzten Juli angeblich an G20-Krawallen beteiligt haben und sich dabei des «schweren Landfriedensbruchs» und der «schweren Brandstiftung» schuldig gemacht haben soll. Nach der Einvernahme durch die Aargauer Staatsanwaltschaft und zwei Hamburger Polizeibeamte wurde er wieder freigelassen.

Die Razzien waren Teil einer länderübergreifend orchestrierten Aktion. Eine ganze Reihe von Durchsuchungen fand zeitgleich auch in Spanien, Italien und Frankreich statt. Es ist der letzte einer Serie öffentlichkeitswirksamer Coups der Hamburger Soko, die in den bald elf Monaten ihres Bestehens weit über 3000 Ermittlungsverfahren eröffnet hat. Bereits wurden mehr als vierzig Personen verurteilt. Nicht nur Boulevardmedien begleiteten dankbar die Jagd auf «G20-Chaoten» und «Linksterroristen» und beteiligten sich an Öffentlichkeitsfahndungen. Um TäterInnen für die jüngste Offensive zu identifizieren, seien neben Foto- und Videomaterial auch DNA-Spuren ausgewertet worden, sagte Soko-Leiter Jan Hieber.

Wer während der Gipfeltage im zur Festung ausgebauten Hamburg den über 30 000 eingesetzten PolizeibeamtInnen gegenüberstand, stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Ermittlungen in den eigenen Reihen mit demselben Eifer vorangetrieben werden. Kaum eine Demonstrantin, kaum ein Aktivist wurde nicht Ziel oder ZeugIn polizeilicher Schikanen, die zuweilen weit über rüdes Schubsen und verbale Beleidigungen hinausgingen. Gemäss Angaben des Hamburger Parlaments von Anfang März wurden seit dem Gipfel denn auch 138 Verfahren gegen BeamtInnen eröffnet; zumeist wegen Körperverletzung, aber auch wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, sexueller Belästigung oder Diebstahl. Zu Anklagen kam es bisher jedoch nicht. 33 Verfahren wurden bereits eingestellt – meistens weil «Täterschaft, Tat oder Tatumstände nicht nachweisbar» seien. Der damalige Hamburger SPD-Bürgermeister und heutige Vizebundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits unmittelbar nach dem Gipfel verlauten lassen: «Polizeigewalt hat es nicht gegeben.» Leider fehlen bisher Anhaltspunkte dafür, dass diese Behauptung mit derselben Gewissenhaftigkeit überprüft wird wie die Akten von Tausenden linken AktivistInnen in ganz Europa.