G20-Gipfel in Hamburg: Überdehnter Polizistenfinger
Seit letzter Woche läuft in Hamburg ein Gerichtsprozess gegen einen Polizisten, der sich im Rahmen der G20-Gipfelproteste vom Juli 2017 der Nötigung und fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht haben soll. Na endlich, ist man versucht zu denken: Nach den Tausenden Ermittlungsverfahren, knapp 400 Anklagen und fast 200 Gerichtsverfahren gegen AktivistInnen aus ganz Europa kommt es erstmals in einem der vielen dokumentierten Fälle polizeilicher Aggression zur Anklage.
Aber so ist es natürlich nicht wirklich. Denn der Geschädigte in diesem Fall gehörte nicht zu den Protestierenden, sondern war selbst als Polizist im Einsatz. Es klingt wie Satire: In der Gesa, der eigens für den G20-Gipfel eingerichteten Gefangenensammelstelle, habe der Angeklagte seinen Kollegen angegriffen, weil dieser unerlaubterweise einen Pfefferspray auf sich getragen habe. Bei der Auseinandersetzung habe er ihn «kraftvoll» gegen ein Fahrzeug gedrückt und ihm dabei «eine schmerzhafte Bänderdehnung am kleinen Finger» zugefügt, zitiert die «taz» aus dem Gerichtssaal.
Angesichts Dutzender Knochenbrüche und weiterer schwerer Verletzungen, die DemonstrantInnen erlitten, mag das lächerlich klingen. Doch scheint es nur logisch, dass die erste Anklage gegen einen G20-Polizisten ausgerechnet unter diesen Umständen zustande kommt: Erst wenn der Korpsgeist unter den BeamtInnen bröckelt, lassen sich diese offenbar zur Rechenschaft ziehen. Von über 150 Anzeigen wegen polizeilichen Fehlverhaltens gegen Protestierende kam hingegen noch keine einzige zur Anklage – 103 der Verfahren wurden bereits wieder eingestellt. Vor allem wohl deshalb, weil sich BeamtInnen gegenseitig nicht belasten. Lange stand ihnen die städtische Exekutive kategorisch zur Seite. Aufhorchen liess, dass SPD-Innensenator Andy Grote im September bei einem Podiumsgespräch zur Polizeigewalt am G20 sagte: «Es ist nicht immer so offensichtlich, wie es auf den Bildern aussieht, aber ein paar Dinge, denke ich mir auch, werden da schon dabei gewesen sein.» So unklar und undeutlich seine Worte sind: In dieser Debatte sind sie fast schon ein Fortschritt.