WM-Mania: Der Antirassist: Steter Tropfen gegen die Gewalt

Nr. 24 –

Rechtsextremismus und Hooliganismus: Die russischen Fussball-Ultras haben zuletzt für Negativschlagzeilen gesorgt. Robert Ustian tickt anders. Der ZSKA-Moskau-Fan hat eine Initiative gegen Rassismus im russischen Fussball gegründet.

Robert Ustian

Robert Ustian holt gerne aus, bevor er zur Pointe kommt. Satz um Satz reiht er seine Erzählstränge aneinander. Man kann beinahe die Spielzüge sehen, wenn er seine Geschichten erzählt. Solche wie diese hier: Schon als Kind fieberte Ustian, in Abchasien am Schwarzen Meer geboren, bei jedem Spiel des Klubs ZSKA Moskau mit. Dann zog er in die türkische Hauptstadt Ankara, um an der Middle East Technical University zu studieren. Nach dem Abschluss in Internationalen Beziehungen sei ihm die Welt offengestanden. Doch er entschied sich für Moskau: «Ich wollte einfach kein ZSKA-Heimspiel mehr verpassen.»

Alte Frauen gegen Hakenkreuze

Vielleicht ist es Zufall, dass Ustian so spricht, wie andere Fussball spielen. Aber der 34-Jährige mit dem dunklen Schopf ist ein bis in den Irrsinn begeisterter Fussballfan. Eine Leidenschaft, die freilich nicht ohne Leiden ist: Der ZSKA Moskau und die «rot-blaue Familie», wie er die Community aus Klub, Spielern und Fans nennt, ist nicht nur für seine vielen Meistertitel in der russischen und früher der sowjetischen Liga bekannt, sondern auch für seine rechtsextremen Ultras. Als ZSKA-Fans im September 2014 bei einem Auswärtsspiel in Rom ein Banner mit den Symbolen der Waffen-SS entrollten, raubte das Ustian den Schlaf. Am nächsten Morgen habe er seine Fussballfreunde angerufen. Damals sei ihm klar geworden: «Wir dürfen das nicht länger mit ansehen!»

An einem warmen Apriltag schlendert Ustian durch einen Moskauer Park, im Hintergrund blitzt die Fassade des 2016 neu gebauten ZSKA-Stadions in der Sonne. Nachdem er und seine Freunde die Initiative ZSKA-Fans gegen den Rassismus gegründet hatten, ist Ustian ein gefragter Mann. Insbesondere jetzt, kurz vor dem Anpfiff der WM. Soeben ist er von einem Seminar zu Fankultur in Berlin zurückgekommen, fast täglich trifft er jemanden zum Interview. Doch für seine grosse Leidenschaft muss Zeit bleiben. Er strahlt, denn gerade hat er sich ein Ticket für umgerechnet vierzehn Euro für das nächste Auswärtsspiel seiner Mannschaft in St. Petersburg gekauft.

Ustian redet sich schnell in Rage. «Wie kann es nur sein, dass in einem Land, das so unter Hitler gelitten hat, und in einem Klub, der nach der Roten Armee benannt ist, Neonazisymbole gezeigt werden?» ZSKA steht für «Zentraler Sportklub der Armee». Der Zuspruch, den Ustian mit seiner Initiative erfuhr, habe ihn dann aber überwältigt. Er zeigt Fotos von Kindern und alten Frauen, die Schilder mit durchgestrichenen Hakenkreuzen und der Aufschrift «CSKA-Fans against racism» in die Höhe halten. In einem Video hat zuletzt auch der russische Kapitän und ZSKA-Star Igor Akinfejew gegen Rassismus Farbe bekannt. Mit seinen Kollegen hält Ustian Match für Match rassistische Symbole oder Rufe fest, um sie dann über die sozialen Medien zu verbreiten. Mit jedem Tweet würde das Bewusstsein steigen, glaubt er: «Steter Tropfen höhlt den Stein.»

Doch an der Szene kann man sich schon mal die Zähne ausbeissen. Die russischen Ultras gelten als besonders rechts, was nicht nur auf den Tribünen, auf denen dunkelhäutige Spieler der Gegner mit Affenrufen beleidigt werden und Neonazisymbole zu sehen sind, sondern auch im Netz kundgetan wird. Zuletzt wurde im offiziellen Twitter-Account des amtierenden russischen Meisters Spartak Moskau ein Foto dunkelhäutiger Spieler gepostet, betitelt «Wie Schokolade in der Sonne schmilzt». Auch Zenit Sankt Petersburg, der 2009 den Uefa-Pokal gewann, ist für Rassismus bekannt. «Wir sind keine Rassisten», hiess es 2012 in einem Manifest des grössten Fanklubs, aber dass es bei Zenit «keine dunkelhäutigen Spieler» gebe, sei Teil der Tradition, «um die Identität des Klubs» und das «einzigartige Gesicht» von Zenit zu wahren. «Schwarz ist keine Farbe von Zenit» lautet ein Motto, das Zenit-Fans gerne auf T-Shirts mit sich herumtragen.

Kreml-loyale Hooligans

Wo man sich auch umhört: Ustians Engagement stösst auf Unterstützung. Doch in das Lob mischen sich auch Töne der Ohnmacht. Man müsse schon froh sein, dass überhaupt jemand auf die Idee gekommen sei, eine derartige Initiative zu gründen, sagt Ilja Artjomow, Experte für Rassismus in Russland. Auch Pawel Klymenko von der Organisation «Football against Racism in Europe» lobt die Initiative. «Aber leider sind rechtsextreme Ideen auf den Tribünen immer noch sehr dominant.» Jeder, der sich dagegen ausspricht, riskiere, selbst ein Opfer von Gewalt zu werden.

Dass die Fankurven in Russland zu einem Sammelbecken für Gewalt und rechtes Gedankengut wurden, ist vor allem hausgemacht. Nach der Wende liessen die Behörden die Ultras in den Stadien gewähren, «White Power»-Chöre, Nazisymbole und Gewaltexzesse inklusive. Die Übergänge zwischen Rechtsextremen, Neonazis und Hooligans seien in der Szene fliessend, sagt Klymenko. In den nuller Jahren wandte sich der gewaltbereite Teil dem Kampfsport zu. Den traurigen Höhepunkt bildete die Fussball-EM in Frankreich 2016, als die Bilder russischer Hooligans, die in Marseille englische Fans spitalreif prügelten, um die Welt gingen.

Die russischen Hooligans sind zwar keineswegs mit dem Staat im Bunde, wie es zuletzt etwa in der reisserischen BBC-Doku «Russia’s Hooligans Army» durchklang. Aber wirklich bekämpft hat der Staat die Szene nie. «Der Kreml sieht die Hooligans nicht als Bedrohung», sagt Klymenko. «Immerhin sind die Schläger keine Anhänger der Opposition, sondern loyal zum Präsidenten.» Und so ist es auch Wladimir Putin, der selbst gerne den Kraftprotz gibt und mit dem Brutalo-Image der Hooligans kokettiert. «Die Gewalt zwischen russischen und englischen Fans war eine Schande», so Putin über die Krawalle von Marseille. «Aber ich verstehe nicht, wie 200 unserer Fans mehrere Tausend Engländer zusammenschlagen konnten», fügte er süffisant hinzu, worauf der Saal in Applaus und Gelächter ausbrach.

Dennoch ist im Kampf gegen die Hooligans – zumindest im Vorfeld der WM – Bewegung gekommen. Es ist klar, dass die russischen Sicherheitskräfte alles daransetzen, Bilder wie in Marseille zu vermeiden. Mindestens 400 Fans sollen auf einer schwarzen Liste der Behörden stehen. Schon vor einem Jahr wurde anlässlich des Confed Cups ein seit 2014 existierendes «Fangesetz» verschärft, das Ausschreitungen, Beleidigungen oder Propaganda im Stadion mit hohen Geldstrafen und Stadionverboten belegt. Und es wurde ein spezielles Identifikationsdokument eingeführt, die «Fan-ID». Mittlerweile gibt es auch das Amt des «Offiziers für den Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus im russischen Fussballverband» und ein neues Monitoringsystem bei Spielen. Zuletzt ist die Präsenz rechter Symbole im Fussball zurückgegangen, bestätigt das Moskauer Sowa-Zentrum, das Rassismus in Russland untersucht, auf Anfrage.

Eine echte Wende in der Fanarbeit – oder reine Show für die WM? Das Misstrauen ist jedenfalls gross. «Der Staat versucht, den Dreck noch schnell vor der WM unter den Teppich zu kehren», sagt Ustian. Mit seinen Kollegen hat er zuletzt den Behörden einen offenen Brief («Tage der Hoffnung») mit einem Aktionsplan vorgelegt, um das Problem langfristig anzugehen – von Workshops über neue Onlinemeldesysteme bis hin zur Klubarbeit. So wird der staatliche Aktivismus daran zu messen sein, wie es weitergeht, ist das Turnier vorbei und das Rampenlicht wieder erloschen, heisst es darin. «Sonst wird die WM 2018 nicht viel mehr als ein hübsches Schaufenster oder ein Potemkinsches Dorf gewesen sein.»