Steuer-AHV-Deal: Die SP hat den Sieg verspielt
Am 12. Februar 2017 stand die linke Politprominenz mit erhobenen Fäusten auf der Bühne des Berner Kulturzentrums Progr. Sie hatte gesiegt – und wie. Die Stimmbevölkerung hatte mit satten 59 Prozent Nein zur Unternehmenssteuerreform III gesagt, die alte Steuerprivilegien für globale Konzerne durch neue ersetzt hätte. Und nun? Eineinhalb Jahre danach hat die SP kürzlich mitgeholfen, eine fast identische Reform durchs Parlament zu bringen. Ende dieser Woche werden die Delegierten der SP und des Gewerkschaftsbunds (SGB) ihre Position zum Deal festlegen.
Auch der Steuer-AHV-Deal will die alten Privilegien vor allem durch einen Abzug für Forschungs- und Entwicklungskosten ersetzen sowie durch eine Patentbox, mit der geistiges Eigentum steuerlich privilegiert wird. Einige Verbesserungen gibt es: Die zinsbereinigte Gewinnsteuer (ein fiktiver Zinsabzug auf Eigenkapital) soll nur Zürich einführen können. Zudem werden bestehende Privilegien etwas eingeschränkt: Firmen sollen nur noch gewisse Kapitaleinlagen steuerfrei an AktionärInnen ausschütten können; und GrossaktionärInnen sollen gegenüber dem Bund neu siebzig statt fünfzig Prozent ihrer Dividenden versteuern. Schliesslich soll die AHV durch höhere Beiträge von Bund, Firmen und Angestellten gestärkt werden.
Die SP-Führung hat den Sieg verspielt. Nach ihrem Sieg an der Urne waren alle Kameras auf sie gerichtet. Es war der Moment, um eine grundsätzliche Umkehr der Schweizer Steuerpolitik zu fordern. Der globale Wettlauf, den die Schweiz mit rekordtiefen Steuern vorantreibt, ist eines der grössten Probleme des 21. Jahrhunderts: Weltweit fehlen den Staaten immer mehr die Mittel, um Infrastruktur, sozialen Ausgleich und Bildung zu finanzieren. Entsprechend explodieren die Schulden. Die Schweiz ist lange gut gefahren, unzählige Konzerne verschieben ihre Gewinne hierher. Inzwischen müssen jedoch die Kantone im entfesselten Wettlauf mit den Steuern so weit runter, dass auch hier Milliardenausfälle drohen. Die Schweiz schaufelt sich ihr eigenes Grab.
Statt einer Umkehr forderte SP-Parteipräsident Christian Levrat jedoch von Anfang an lediglich, dass an ein paar Schräubchen gedreht wird. Der Grossteil der SP folgte ihm. Statt die verheerende Rolle der Schweiz im globalen Steuerwettlauf infrage zu stellen, verlangte Levrat einzig, die Ausfälle im Inland zu reduzieren. Warum? Levrat scheint nicht zu sehen, dass Politik nicht nur darin besteht, innerhalb des bestehenden Politkoordinatensystems den besten Deal auszuhandeln – sondern langfristig die Koordinaten zu verschieben. Die SVP macht es vor. Vor allem aber scheinen sich Levrat und andere nur so lange für die Welt zu interessieren, wie es nicht den eigenen Wohlstand betrifft.
Nun liegt der Deal jedoch auf dem Tisch. Entweder man lässt ihn durch – oder ergreift das Referendum, wie dies einige Grüne und Linke wollen. Festzuhalten ist: Für die übrige Welt ist der Deal gegenüber heute ein – wenn auch ganz kleiner – Fortschritt. Die heute sonderbesteuerten Konzerne würden gut zwei Milliarden Franken mehr bezahlen. Zudem wurden dank der Verbesserungen die Ausfälle im Inland gegenüber der letzten Reform von grob drei auf zwei Milliarden Franken reduziert sowie die AHV gestärkt. Die Ausfälle entstehen durch die Kantone, die für die Multis ihre Steuersätze senken, wovon auch kleinere Firmen profitieren.
Die Frage ist also: Soll man den kleinen Fortschritt nehmen – oder führt ein gewonnenes Referendum zu einem besseren Deal? Schwer zu sagen. Zwei Dinge sprechen jedoch gegen Letzteres. Zum einen hat sich die SVP geschickt gegen den Deal gestellt: Anders als vor eineinhalb Jahren müsste die Linke bei einem gewonnenen Referendum mit der SVP darüber streiten, wie der Wille der Stimmbevölkerung zu interpretieren sei. Zum anderen würden die Kantone bei einem Nein zur Reform ihre Steuern wohl weiter senken, um ihre Multis zufriedenzustellen, was den Steuerwettlauf weiter anheizen würde.
Was die Schweiz also so oder so braucht, ist eine Initiative zur Harmonisierung der kantonalen Steuern. Sonst geht der Irrsinn weiter.