Von oben herab: Postautolied

Nr. 39 –

Stefan Gärtner trällert in Gelb

Nach einem Bericht des «Blicks», wonach Postautochauffeure über unzumutbare Arbeitsbedingungen, besonders fehlende Pausen, klagen: «Wir sind zu wenige Chauffeure, der Druck steigt. Es wird immer schlimmer», berichten besonders gut informierte Kreise von einem sog. «Postauto-Lied», das im Management von Postauto kursiere. Zur Melodie des alten Rudi-Carrell-Schlagers «Showmaster ist mein Beruf» (vgl. ggf. Youtube) werde es zu vorgerückter Stunde angestimmt:

Postauto ist mein Beruf,
ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf,
ich frag Sie jetzt ganz banal,
halten Sie den für normal,
ein Beruf, dem kein Vertrauen schenkt,
wer an faire Arbeitszeiten denkt,
nennt man ihn, wird man verdammt,
zum Beispiel auf dem Standesamt:

(Gesprochen:) Erschienen sind heute Reto Hürlimann, geboren in Winterthur am 10.2.1973, Postautofahrer, und Andrea Studer, geboren in Basel am 19.12.1983, Bankangestellte … Sie wollen also einen Postautochauffeur heiraten, der nach eigener Auskunft «körperlich am Limit» ist, mitunter acht Tage am Stück arbeitet, einen Tag Pause hat und dann wieder vier Tage hinter dem Steuerrad sitzt? Der nicht einmal Zeit hat, aufs Klo zu gehen, und der darum vorsichtshalber nichts trinkt? Und der, wenn er doch muss und einmal kann, ins Gebüsch geht, weil Postauto sich nicht um Toiletten kümmert? Na ja, ich wünsche der Braut trotzdem alles Gute!

Postauto ist mein Beruf,
ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf,
das ist ziemlich primitiv,
kein Diplom, kein Meisterbrief,
kann man davon leben, dass was bleibt,
oder ist das nur ein Zeitvertreib?
Wenn ich zur Bank geh für’n Kredit,
beisse ich stets auf Granit:

– Und was machen Sie so alles?
– Postautochauffeur!
– Ein nettes Hobby. Aber was Ihre Bitte um diese Hypothek angeht, womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?
– Na, als Postautochauffeur!
– Postautochauffeur. – Hat Postauto Sie, bei 55 000 Franken netto im Jahr, nicht gerade erst um Spesen in Millionenhöhe geprellt? Postautochauffeur! Postautochauffeur! Sie hören von uns …

Postauto ist mein Beruf, ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf,
dass ein Mensch sich so versteift,
diesen irren Job ergreift,
oben gibts zwar reichlich Subvention,
unten bleiben Druck und etwas Lohn,
oben wächst das Geld, hier Frust,
so ist es immer, eine Lust!

– He, was machen Sie da?
– Ich mach Schluss! Ich schlafe keine Nacht mehr, mir graut vor dem nächsten Arbeitstag, ich springe von der Brücke!
– Das ist verboten! Name?
– Hürlimann …
– Reto Hürlimann? Der Postautochauffeur?
– Ja.
– Dann springen Sie …

Postauto ist mein Beruf,
ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf,
ich möchte nichts andres sein,
ich liebe es, und trügt der Schein,
etwas andres lern ich doch nicht mehr,
darum mach ich weiter wie bisher,
und tanz ich auch auf dem Vesuv:
Ich möcht immer fahren,
haltet mich zum Narren –
Postauto bleibt mein Beruf!

Auf Nachfrage dementierte die Sprecherin von Postauto, dass bei Postauto «solche lustigen Lieder» gesungen würden, nicht einmal «zu vorgerückter Stunde», schon deshalb nicht, «weil es bei uns keine vorgerückten Stunden gibt. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen pünktlich Feierabend, jedenfalls bei uns im Büro. Ich geh heut sogar früher, bis morgen!»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.