Wahlkampf und Pop made in USA: Auf welcher Seite rockt der Rock ’n’ Roll?

Nr. 41 –

Lady Gaga für Barack Obama, Megadeth für Mitt Romney: Einen Monat vor Beginn der Präsidentschaftswahl in den USA zeigt sich, dass der Wahlkampf auch ein Kulturkampf ist – zum Beispiel in der Popmusik.

Mit geschickter Symbolpolitik hat Barack Obama prominente UnterstützerInnen (zurück)gewonnen – gerade auch in Popkreisen. Ja zur Homoehe oder demonstratives Engagement in Genderfragen: Das schärft die Differenz zu den RepublikanerInnen. Die Wahl wird zur zivilisatorischen Grundsatzentscheidung: Recht auf Selbstbestimmung oder generelles Abtreibungsverbot? 21. Jahrhundert oder Mittelalter?

So versammelt Präsident Obama die liberale Pop-Elite hinter sich: arrivierte KünstlerInnen, die ihre wilden Jahre hinter sich haben – oder niemals welche hatten. Der ehemalige Crackdealer und heutige Rapsuperstar Jay-Z und seine Gattin Beyoncé unterstützen die Demokraten ebenso wie Mick Jagger oder der einstige Nirvana-Drummer Dave Grohl. Mit Quincy Jones und Herbie Hancock sind zwei ehrenwerte Ikonen des US-amerikanischen Entertainments vertreten. Auch Lady Gaga unterstützt Obama; die derzeit weltweit erfolgreichste Popsängerin engagiert sich vor allem für sexuell Andersdenkende.

Vereinnahmungsversuche

Die Liste der Obama-HelferInnen ist breit austariert nach Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung. Und nach Alter: Philomena Lynott zum Beispiel ist 81 Jahre alt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie, die weisse Irin, eine Affäre mit dem aus Guyana stammenden Schwarzen Cecil Parris. 1949 wird der gemeinsame Sohn Phil geboren. Kurz darauf trennt sich das Paar, Phil wächst bei seiner Grossmutter in Dublin auf, wird später mit seiner Band Thin Lizzy Rockstar und stirbt 1986 mit 36 Jahren. Ähnlichkeiten mit der Biografie des US-Präsidenten sind zufällig, kommen aber wie gerufen.

Kannten die Republikaner Lynotts Lebensgeschichte nicht, als sie sich für «The Boys Are Back in Town» als Kampagnensong entschieden: «Die Jungs sind wieder in der Stadt», den grossen Lizzy-Hit des notorischen Womanizers Lynott? Kein Wunder, untersagte Philomena Lynott die Verwendung des Songs für den Romney-Wahlkampf – ihr Sohn hätte die Anti-Gay- und Pro-Reichen-Politik der Republikaner niemals goutiert.

Das Thin-Lizzy-Debakel war bereits der dritte Rock-Rückschlag für die Republikaner: Bereits zuvor war Paul Ryan, Romneys Kandidat für die Vizepräsidentschaft, zweimal mit dem Versuch gescheitert, harte weisse Rockmusik für die neorechte Partei zu vereinnahmen. Zunächst erklärte Ryan der linken Crossoverband Rage Against The Machine seine Liebe. Deren Gitarrist Tom Morello aber liebte nicht zurück: Ryan sei «die Verkörperung der Maschine, gegen die unsere Musik wütet». Auch Twisted Sister verweigern sich den Republikanern. 1984 landete die Glam-Metal-Band einen Hit mit der Teenager-Rebellionshymne «We’re Not Gonna Take It». Das Video zeigte verständnislose bis grenzdebile Eltern, denen der zornige Sohn den Twisted-Sister-Song um die Ohren haut. Diese Darstellung der Eltern bewog Tipper Gore, Gattin des späteren demokratischen Vizepräsidenten Al Gore, zur Gründung ihrer Zensurvereinigung Parents Music Resource Center.

Ryans Rage

Ausgerechnet «We’re Not Gonna Take It» also wählt der rechte Fundamentalist Ryan für seine Kampagne aus? Ein Stück, das die Demokratin Gore zu einer Moralkampagne veranlasst hatte, als musikalische Visitenkarte der Republikaner, die so sehr für christliche Tugenden stehen?

Ein Widerspruch? Nein. Thin Lizzy, Rage Against The Machine und Twisted Sister repräsentieren sehr wohl die «politics» des Paul Ryan: Harte Rockmusik von weissen Männern mit einem Platz-da-jetzt-komm-ich-Aufräum-Gestus und gepflegt homophober Kumpelhaftigkeit. Dass der Dicke-Eier-Sound von Rage Against The Machine von rechts genutzt wird, sollte also niemanden überraschen: Das Wüten gegen die Machtmaschine ist ja auch ein Leitmotiv der republikanischen Propaganda.

Stellvertretend für den deklassierten, entmannten weissen Arbeiter aus der abgehängten Provinz wütet Ryan gegen das liberale Establishment in den Küstenmetropolen und seine schwarzen Verbündeten im Weissen Haus.

Paul Ryans Rage zielt auf Obama und seine PopfreundInnen mit ihrer zum Lifestyle geronnenen Political Correctness. Gegen den angeblichen Tugend- und Toleranzterror von links inszenieren sich Ryan und Co. als rechte Rächer des White Trash. Hank Williams Jr., Sohn des Proto-Country-Outlaws, verglich den amtierenden Präsidenten mit Hitler. Laut Megadeth-Sänger Dave Mustaine strebt Obama ein «Nazi-Amerika» an und soll – als Vorwand, um die Waffengesetze zu verschärfen – den Mordanschlag im August auf einen Sikh-Tempel in Milwaukee inszeniert haben, bei dem sechs Menschen getötet wurden.

Auch Hardrockveteran Ted Nugent gehört zu den WahlhelferInnen der Republikaner. Zu Gast bei der mächtigen Waffenlobby NRA (National Rifle Association) verkündete er im April dieses Jahres: «Wenn Obama diese Wahl gewinnt, bin ich in einem Jahr tot. Oder im Knast.»

Leute wie er, die ihre Meinung sagen würden, so Nugent, hätten einen schweren Stand in Obama-Land, er fühle sich «wie ein schwarzer Jude beim Ku-Klux-Klan».

Die Republikaner und ihre PopfreundInnen: Patchwork der SektiererInnen oder Freakshow der Quartalsirren?

Nehmen wir zum Beispiel Kid Rock, den rockenden Exgatten von Pamela Anderson, der bei Romneys Nominierung zu Gast war und vor allem durch Drogenexzesse und Probleme mit dem sogenannten Wutmanagement bekannt wurde. Oder Gene Simmons von der Glam-Metal-Band Kiss, der im Guinness-Buch der Rekorde steht, weil er angeblich mit mehr als 4600 Frauen Sex hatte. Das wird die christlichen FundamentalistInnen so erfreuen wie die Tatsache, dass Jenna Jameson, die populärste Pornodarstellerin des 21. Jahrhunderts, Romney unterstützt.

White Trash von A bis Z

Nein, den Republikaner-FreundInnen geht es keinesfalls um einen konservativen Wertekanon oder moralische Erneuerung. Sie kämpfen um die Basics: Waffen für jedermann, Abtreibung für keine Frau, selbst wenn sie vergewaltigt wurde. Die Kulturfighter kommen aus den einstigen Domänen der weissen Männlichkeit: Country und Hardrock. Nun aber ist der hart rockende weisse Mann vom Schlag eines Ted Nugent vom Abstieg bedroht, ebenso wie seine Fans aus dem White Trash: die weisse Arbeiterklasse, die nicht mehr gebraucht wird, weil es keine Arbeit mehr oder nur noch Ein-Dollar-Jobs gibt.

Diesen White Trash hat Paul Ryan im Visier, wenn er sein ganz persönliches Rockalphabet buchstabiert: Von AC/DC bis Led Zeppelin reiche die Playlist seines iPods, liess er wissen.

Konservative bis ultrarechte RepublikanerInnen beanspruchen die – weisse – Rockgeschichte für sich. Keine grosse Überraschung. Es sei denn, man hinge immer noch am Kinderglauben, dass Pop von Natur aus auf der Seite von Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit steht.