Durch den Monat mit Christina Hausammann und Alex Sutter (Teil 3): Woraus haben Sie die Kraft geschöpft?
Schattenberichte und Lobbying bis zur Erschöpfung: Wie Christina Hausammann und Alex Sutter über Jahrzehnte dafür kämpften, dass die Bedeutung der Menschenrechte für den hiesigen Alltag verstanden wird.
WOZ: Christina Hausammann, Alex Sutter, Ende September haben Sie nach fast zwanzig Jahren die Geschäftsführung bei humanrights.ch abgegeben. Wie steht es hierzulande um die Menschenrechte?
Christina Hausammann: Es gibt eine ganze Reihe von ungelösten Dauerbrennern: Zum Beispiel fehlt bis heute eine unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution – obwohl wir schon 2001 eine Kampagne dafür starteten. Bundesrat und Parlament weigern sich bis heute, den Zugang zum Recht in Diskriminierungsfällen zu verbessern. Nach wie vor fehlen zudem unabhängige Beschwerdestellen und Untersuchungsmechanismen bei Polizeigewalt. Selbstverständlich ist auch die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern ein chronisches Menschenrechtsproblem. Und sicher auch der zunehmend problematische Umgang mit den Verliererinnen und Verlierern der heutigen Leistungsgesellschaft: mit psychisch Kranken, Schmerzpatientinnen oder Sozialhilfebezügern.
Ist das menschenrechtliche Bewusstsein im Lauf der letzten zwanzig Jahre nicht grösser geworden?
Alex Sutter: Doch, zumindest das Wissen um die rechtliche Bedeutung der Menschenrechte. In den neunziger Jahren war in der Schweiz ja noch ein sehr diffuses humanistisches Konzept der Menschenrechte vorherrschend. Ausserhalb eines kleinen Juristenzirkels war der Wissensstand über ihre rechtliche Bedeutung entsprechend dürftig. So haben wir es zuallererst als unsere Aufgabe verstanden, die juristische Bedeutung der Menschenrechte mit der konkreten politischen Realität und den verfassungsmässig verbrieften Grundrechten in diesem Land zu verknüpfen.
Was heisst das konkret?
Hausammann: Es ging darum aufzuzeigen, dass die von den Vereinten Nationen und vom Europarat formulierten Menschenrechte ein relevanter Massstab sind, um die Alltagsrealitäten zu beurteilen. Und dass sie mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Uno-Menschenrechtsverträge direkter Bestandteil schweizerischen Rechts geworden sind, sodass sich jede Frau und jeder Mann und auch jedes Kind auf diese Rechte berufen kann.
Wie sind Sie vorgegangen, um dieses Bewusstsein zu fördern?
Sutter: Gleich im ersten Jahr haben wir mit dem Aufbau der Webplattform humanrights.ch begonnen: zum einen, um das internationale System des Menschenrechtsschutzes einem breiten Publikum zugänglich zu machen – zum andern, um anhand von konkreten Beispielen die Bedeutung der internationalen Menschenrechte für die schweizerische Politik aufzuzeigen. Wir wollten das Verständnis dafür wecken, dass die Menschenrechte nicht nur für die Beurteilung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Ausland relevant sind, sondern auch für die Beurteilung aller politischen Entscheide im Inland, die Auswirkungen auf die Grundrechte haben.
Konnten Sie dabei auch Einfluss auf die Politik nehmen?
Hausammann: Jahrelang haben wir vor jeder Session allen Parlamentarierinnen und Parlamentariern eine Broschüre mit menschenrechtlich begründeten Abstimmungsempfehlungen zu ausgewählten Geschäften geschickt. Gleichzeitig haben wir ein Netzwerk mit Fachpersonen und NGOs aufgebaut und mit ihnen sogenannte Schattenberichte zu den offiziellen Schweizer Staatenberichten für die Menschenrechtsgremien der Uno verfasst. So haben wir eine unabhängige Berichterstattung über die menschenrechtlichen Defizite der Schweiz ermöglicht.
Das klingt nach Sisyphusarbeit. Wie haben Sie diesen Aufgabenkatalog über all die Jahre bewältigt?
Sutter: Die internen Probleme, mit denen wir uns herumschlagen mussten, sind typisch für eine kleine NGO: immer wieder Geldmangel bis hin zu Finanzkrisen, prekäre Arbeitsverhältnisse, fehlende Ressourcen, Improvisieren bis zum Gehtnichtmehr, persönliche Doppel- und Dreifachbelastungen – nebenbei mussten wir ja auch noch ein Einkommen erzielen. Ich zum Beispiel habe gleichzeitig mit der Gründung des Vereins Menschenrechte Schweiz zusammen mit meiner Lebenspartnerin eine Familie gegründet – mit allem Drum und Dran. Eine solche Arbeits- und Lebenssituation geht nicht spurlos an dir vorbei …
Und woraus haben Sie die Kraft geschöpft, trotz alldem dranzubleiben?
Hausammann: Wir haben gemerkt, dass unsere Arbeit geschätzt wird, sodass immer wieder positive Dynamiken entstanden sind, die zu neuen Projekten geführt haben. So zum Beispiel zum Beratungsnetz für Rassismusopfer, das wir seit mehr als zehn Jahren gemeinsam mit der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus leiten. Oder zur NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, einer Allianz von über achtzig Organisationen, die wir aufgebaut haben und seit sechs Jahren koordinieren. Vor zwei Jahren haben wir zudem einen Beratungsservice für Strafgefangene und ihre Angehörigen auf die Beine gestellt.
Die Juristin Christina Hausammann und der Philosoph Alex Sutter (beide 63) waren bis Ende September GeschäftsführerInnen von humanrights.ch.