Lastwagenfahrer: Das ganze Leben in der Lkw-Kabine

Nr. 46 –

Der Gütertransport auf der Strasse quer durch Europa ist konkurrenzlos billig, weil die osteuropäischen Fernfahrer zu Dumpinglöhnen unter miesesten Bedingungen arbeiten. Viele von ihnen fahren auch durch die Schweiz.

  • Bei Kilometer 850 von 1700, irgendwo in Südbayern: Petar Stefanovics Truck ist mit alkoholfreiem Bier beladen – und auf dem Weg von den Niederlanden nach Bosnien.
  • Impressionen von der süddeutschen Rastanlage Hegau in der Nähe der Schweizer Grenze: Viele osteuropäische Fahrer leben monatelang im Truck. Die Wochenenden verbringen sie meist in ihren Kabinen, sie kochen, waschen und versuchen, die Einsamkeit zu vertreiben.

Für Fernfahrer ist Europa ein Lebewesen. Die Autobahnen sind seine Adern, und sie, die Fahrer, versorgen den Organismus mit allem, was er zum Leben braucht. Darauf sind sie stolz.

Was die Lastwagenfahrer aber kaputtmacht, ist ihr Alltag. Wochenlang sind sie unterwegs und hausen in ihren engen Kabinen. Oder wie es einer der Fahrer ausdrückt: «Sie wollen wissen, wie es sich anfühlt, im Lkw zu leben? Gehen Sie in Ihr Badezimmer und arbeiten Sie einen Tag lang dort drin. Verbringen Sie dort noch Ihre Freizeit, und schlafen Sie dort. Das Essen kochen Sie auf einem Gaskocher vor der Badezimmertür. Machen Sie das mal mehrere Wochen lang, dann wissen Sie, wie es sich anfühlt.»

Die Arbeitsbedingungen der Fahrer sind so mies, weil westliche Firmen ihren Fuhrpark teilweise oder ganz in den Osten ausgelagert haben, um Kosten zu sparen. Deshalb sind auf westeuropäischen Strassen – unter anderem auch auf der Gotthardroute – viele osteuropäische Fahrer unterwegs, die zu osteuropäischen Löhnen arbeiten. Was eigentlich illegal ist, weil dadurch die Mindestlöhne der westlichen EU-Staaten unterlaufen werden.

Samstagnachmittag auf einem Parkplatz beim Zollamt Thayngen, nicht weit von Schaffhausen entfernt. Achtzig Laster stehen dicht an dicht. Alle warten auf die Zollabfertigung, die am Montagmorgen früh wieder öffnet. Man wagt kaum, sich zwischen den vier Meter hohen Ungetümen zu bewegen, sie bilden eine abweisende Wagenburg.

In einem der Lkws sitzt ein Mann mit Bärtchen, das Fenster heruntergekurbelt, den Arm lässig aufgestützt. Von oben herab beobachtet er, was die Leute so treiben. Sein Fahrzeug trägt das Länderkennzeichen BIH, Bosnien-Herzegowina. Dann fragt er, was wir denn wollten. Es klingt leicht enerviert. Wir sagen: Mit den Fahrern sprechen, um zu erfahren, wie ihre Lebensbedingungen sind.

«Warum interessiert euch das Leben der Fahrer?»

«Weil sie oft wochenlang nicht nach Hause kommen und miserabel verdienen …»

Petar Stefanovic, Lkw-Fahrer

«Das ist aussergewöhnlich, dass ihr das wissen wollt. Sonst nerven sich immer alle über uns», sagt er auf Schweizerdeutsch, öffnet die Tür, schlüpft in seine Schuhe, steigt herunter und stellt sich vor: Petar Stefanovic. Er ist Mitte vierzig. Seine Eltern arbeiteten in der Schweiz als Saisonniers. Er wuchs bei den Grosseltern in Bosnien auf. Als der Krieg kam, holten ihn seine Eltern in die Schweiz. Er machte hier eine Lehre und begann, Lkw zu fahren. Das sei schon immer sein Traum gewesen, sagt er. Heute lebt er wieder in Bosnien – nicht ganz freiwillig, wie wir später erfahren.

Aktion Lenkpause

Am selben Wochenende, auf einer süddeutschen Raststätte nahe der Schweizer Grenze, sprechen wir mit vielen weiteren Fahrern. Engagierte Geistliche der Diözese Freiburg haben hier an diesem Wochenende die Aktion «Lenkpause» organisiert. Sie wollen mit Fernfahrern ins Gespräch kommen und bieten Speis und Trank. Die Raststättenbetreiber haben einen Teil der Parkfelder abgesperrt, damit sie nicht mit Lkws zugeparkt werden, die dann das ganze Wochenende dort stehen.

«Ja, klar», sagt ein Pole, der mehr wie ein Hipster denn wie ein Fernfahrer aussieht, «die Lkw-Fahrer konsumieren nichts. Nicht weil sie nicht wollen, sondern weil viele sich kein Menü leisten können.» – «Immerhin kostet auf dieser Raststätte das Klo nichts», wirft einer der Geistlichen ein.

Der Pole lacht bitter. «Stimmt, aber da sitzt eine Dame mit einem Tellerchen. Die schaut sehr böse, wenn man aufs Klo geht und nichts hineinlegt», sagt er. Er habe einen ukrainischen Kollegen gesehen, der verzweifelt Wasser gesucht habe. «Ohne Wasser können wir nicht überleben. Auf manchen Raststätten kostet ein Kanister Wasser fünf Euro. Das kann sich nicht jeder leisten.»

Die Klos sind ein wichtiges Thema. In den meisten Raststätten in Deutschland kostet die Benutzung der Toilette 70 Cents. Im Gegenzug bekommt man einen Gutschein, der erlaubt, für 70 Cent etwas zu konsumieren. «Dann zahlen wir aber in der Raststätte zwei, drei Euro für einen Kaffee, der anderswo nur einen Euro kosten würde», sagt einer. «Genau!», meint ein anderer, «ich bin überzeugt, dass sie auf den Raststätten absichtlich so hohe Preise haben, damit wir Lkw-Fahrer gar nicht kommen.» Doch was sollen sie tun? Sie müssen ihre Ruhezeiten einhalten.

Die sogenannten Lenk- und Ruhezeiten sind ein höchst komplexes Regelwerk. Vereinfacht kann man sagen: Die Fernfahrer dürfen pro Tag neun Stunden fahren, und dazwischen müssen sie Pausen einlegen, die zusammen mindestens 45 Minuten dauern. Das ist die Lenkzeit. Die Ruhezeit hingegen hat zum Ziel, dass die Fahrer auch mal ein Wochenende freihaben. Sie legt fest, dass die Fahrer nach fünf Tagen eine Pause von mindestens 45 Stunden einlegen. Ein Fahrtenschreiber dokumentiert Pausen auf die Minute genau.

Die Fahrer haben oft Probleme, zur richtigen Zeit einen passenden Parkplatz zu finden. In den meisten Industriezonen sei es inzwischen verboten, mit einem Sattelschlepper über Nacht zu parken, sagt einer der Fahrer: «Die wollen, dass wir ihnen die Ware bringen. Aber die wollen nicht, dass wir dort übernachten. Die könnten ja einige Klos aufstellen, dann wäre das kein Problem.» Ohne Toiletten pinkeln die Fahrer an den nächsten Baum und erledigen ihre Notdurft hinter den Büschen.

Wir treffen auf eine Gruppe Lkw-Fahrer. Ein adretter, junger Mann aus Polen mit Lacoste-Poloshirt berichtet selbstbewusst, er verdiene pro Tag 90 Zloty und pro Kilometer 20 Groschen. Wenn er pro Woche mehr als 8000 Kilometer mache, erhalte er eine Prämie. Normalerweise schaffe er 13 000 bis 15 000 Kilometer in der Woche. Er sei ganz zufrieden. Umgerechnet verdient er im Monat 2500 Euro.

Der Fahrer neben ihm, ein älterer, behäbiger Mann, kratzt sich derweil an der Glatze und sagt, er verdiene 5000 Zloty pro Monat, also etwa 1150 Euro. Für gewöhnlich arbeite er drei Wochen, dann habe er eine Woche frei. Ein dritter mit dickem Bauch und fleckigem T-Shirt steht schweigend daneben und schüttelt den Kopf. Er will nicht über seinen Lohn sprechen.

Mit einem Sattelschlepper kann man im Monat 10 000 Kilometer zurücklegen. Der junge Pole im Poloshirt schafft allein in einer Woche mehr Kilometer, weil er einen Kleinlaster fährt. In der Branche nennt man sie «Polensprinter» oder «Ameisen». Immer mehr Güter werden mit ihnen transportiert. Sie wiegen nicht mehr als 3,5 Tonnen und müssen sich nicht an die Lkw-Vorschriften halten. Für sie gelten keine Lenk- oder Ruhezeiten, gibt es kein Nacht- oder Sonntagsfahrverbot.

Auch eine Gruppe Ukrainer und Weissrussen, die bei Kaffee und Kuchen an einem Tisch sitzen, sprechen über das Geld. Alle verdienen sie 800 bis 900 Euro pro Monat und fahren für litauische, polnische und ungarische Unternehmen. Später am Abend treffen wir sie wieder. Sie liegen auf einer kleinen Wiese zwischen den Lkws und grillieren Hühnerbrüstchen. Einer steht auf, fragt eindringlich, ob wir garantieren könnten, dass keine Bilder von ihnen erscheinen würden. Der Job sei wichtig. So schnell fänden sie nichts Besseres.

Zwischen den Lastwagen riecht es scharf nach Urin.

In der hinteren Ecke des Rastplatzes sitzen fünf Fahrer auf Klappstühlen. Sie trinken Bier und Wodka. Einer kommt wankend näher. Er lallt, will uns überreden, mit ihnen Brüderschaft zu trinken. Als er fast hinfällt, dabei unverständlich gestikuliert und immer anhänglicher wird, stellt einer der jungen Fahrer seine Bierdose hin und eilt herbei. Sanft nimmt er den Betrunkenen am Arm. Der junge Mann entschuldigt sich für seinen Kollegen und führt ihn behutsam zurück zu seinem Klappstuhl. Die beiden wirken wie alte Bekannte, obwohl nur der Zufall sie für diesen einen Abend zusammengeführt hat.

Auf nach Bosnien

Einige Wochen später treffen wir Petar Stefanovic wieder. Er hat sich bereit erklärt, uns auf eine Tour mitzunehmen. Seit Freitagabend steht er auf einem Rastplatz in der Nähe von Nürnberg und verbringt hier die lange Ruhepause. Er hat alkoholfreies Bier aus Holland geladen und ist auf dem Rückweg nach Bosnien.

Nach zwei Tagen auf einer Raststätte komme manchmal die Depression, sagt Petar, mit dem wir mittlerweile per Du sind. Da frage er sich, warum er so sein Leben vergeude. Zwei Tage verordnete Einsamkeit. Derweil es sogar verboten wäre, die lange Ruhepause im Lkw zu verbringen. Die Hotels auf den Raststätten jedoch kann sich keiner leisten, eine Nacht kostet 50 Euro oder mehr. Petar geht nie ins Hotel: «Ich kann dort nicht selbst kochen und fühle mich noch einsamer als auf der Raststätte, wo man immerhin noch andere Fahrer trifft.»

Die Gewerkschaften kämpfen dafür, dass schärfer kontrolliert wird, ob die Fahrer ihre langen Pausen illegal in der Kabine verbringen. Die Polizei in Deutschland tue es nicht, sagen die Fahrer. Nicht so in Belgien, wo ein einziger Polizist eine Bewegung ausgelöst hat: Raymond Lausberg. Der Autobahnpolizist kritisiert, dass die Fahrer schlimmer als Vieh gehalten würden. Wenn er einen Chauffeur erwischt, der seine zweitägige Ruhepause in der Kabine verbringt, gibt es eine Busse – die aber nie der Fahrer, sondern immer die Firma zahlen muss.

Die Gewerkschaften lieben Lausberg. Die Fahrer aus dem Osten hingegen meiden Belgien. Sobald die zweitägige Ruhepause ansteht, versuchen sie, das Land zu verlassen. Dann fahren sie wenn möglich nach Deutschland hinüber, weil sie wissen, dass sie dort nicht kontrolliert werden. Oder in die Schweiz – da ist es nicht verboten, im Truck zu bleiben.

Manche Firmen bringen die Fahrer an den Wochenenden mit Kleinbussen in ihre eigenen Unterkünfte. Die Fahrer klagen, die Container oder Baracken seien oft dreckig. Man wisse nicht, wer vorher in den Laken genächtigt habe. Die Kabine hingegen ist ihr zweites Zuhause. In Petars Truck darf man nur einsteigen, wenn man die Schuhe auszieht. Da liegt kein Stäubchen herum.

Petar verlässt morgens um 3.45 Uhr die Raststätte bei Nürnberg. Es ist noch finster. Er sagt, so schaffe er es, rechtzeitig um München herumzukommen. Ein guter Fernfahrer kennt den Rhythmus des Berufsverkehrs von ganz Europa. Gerät er hinein, kostet es ihn viel Zeit. Staus lassen sich aber nicht immer vermeiden. Ein Unfall reicht, um eine Autobahn für Stunden lahmzulegen. Petar sagt, er brauche auch den Stau, dann könne er sich einen Kaffee machen.

Langsam hellt sich im Osten der Himmel auf. Er wird rot, orange, gelb, bis die Sonne über den Horizont gleitet. An München kommt Petar ungehindert vorbei. Vor ihm fährt ein weisser Sattelschlepper. Der Tempomat sorgt für eine ruhige Fahrt. Der Abstandshalter meldet sich, sobald Petar zu nahe aufschliesst.

Ein Auto mit Wohnwagen überholt uns. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich das Gefährt nach vorne geschoben hat. Dann plötzlich zieht der Fahrer nach rechts auf Petars Spur, touchiert beinahe den Kotflügel des Lkw. Petar bremst seinen Vierzigtönner rasant ab.

Noch mehr als unbedarfte AutofahrerInnen auf der Autobahn fürchten Lkw-Fahrer die RadfahrerInnen im Stadtverkehr. Manche stellen sich an der Ampel rechts neben den Laster. Da kann der Fahrer sie aber nicht sehen, weil sie im toten Winkel stehen. «Horror», sagt Petar. Einen wirklich schweren Unfall hatte er noch nie. Aber er fürchtet sich davor, dass jemand zu Schaden kommt, weil er zu wenig aufgepasst hat.

Die Autobahn führt am Chiemsee vorbei. Rechts stehen die Alpen in der Morgensonne. Von hinten schiebt sich ein roter Lkw an Petar vorbei. Nach drei Minuten hat er Petars Sattelzug endlich überholt. «Elefantenrennen» nennt sich das. Das ist eigentlich verboten, sagt Petar. Ein Lkw dürfe nicht länger als 45 Sekunden auf der Überholspur sein. «Er muss mindestens zehn Stundenkilometer schneller fahren können als der Lkw, den er überholt, sonst muss er hinter ihm bleiben.»

Die Autobahn schlängelt sich durch das Karawankengebirge in Slowenien. Petar erzählt, wie es kam, dass er heute für eine bosnische Firma fährt: Er war vierzehn Jahre alt, als ihn seine Eltern in die Schweiz holten. Sie lebten in der Nähe von Zürich. Er ging zur Schule und sprach nach wenigen Monaten Dialekt. Nach der Lehre begann er, für eine grosse Speditionsfirma Lkw zu fahren. Er liebte seinen Job, hatte Schweizer Freunde und eine Schweizer Freundin, mit der er im Thurgau bald eine erste gemeinsame Wohnung bezog.

1999 musste er seine Aufenthaltsbewilligung verlängern. Das war ja nur eine Formalität. Doch als der Antwortbrief eintraf, brach sein unbeschwertes Leben zusammen. Im Brief stand, dass seine Aufenthaltsbewilligung leider nicht verlängert werden könne, da er ohne behördliche Genehmigung den Kanton gewechselt habe. Seine Firma vermittelte ihm einen Anwalt. Sein Chef kämpfte noch vor Gericht für ihn. Es half nichts. Anfang 2000 musste Petar die Schweiz verlassen. Er nennt es «Ausschaffung». Seit Jahren war er nicht mehr in Bosnien gewesen.

Dort kämpfte er sich durch, wusch Autos, um wenigstens etwas zu verdienen. Später fuhr er für unterschiedliche Firmen Laster. Miserable Arbeitgeber habe er kennengelernt. Einer seiner Chefs habe zum Beispiel verlangt, dass er mit dem Lkw weiterfahre, obwohl er die erlaubte Lenkzeit bereits überschritten gehabt habe. «Sie sagen nicht, dass du den Fahrtenschreiber manipulieren sollst. Sie verlangen einfach, dass du weiterfährst. Ohne Manipulation geht das nicht.»

Doch Petar liess sich von seinem Chef nicht unter Druck setzen. Er stellte den Laster auf einem Parkplatz ab, teilte seinem Chef mit, wo das Fahrzeug stand, und kündigte.

Der Disponent, der Allmächtige

In Ljubljana muss Petar mit seinem Lkw noch in die Garage. Am Abend übernachtet er auf einem Rastplatz in Kroatien. Morgens kurz nach drei fährt er wieder los.

Diesmal muss er vor dem Morgenverkehr an Zagreb vorbeikommen. Um zehn steht er an der bosnischen Grenze. Um 13 Uhr ist er daheim, in Modrica bei seiner Frau Ivana und seinen Katzen. Es gibt etwas zu essen, dann geht Petar nochmals zurück zu seiner Speditionsfirma, die auch in Modrica domiziliert ist.

Im modernen, schlicht eingerichteten Büro sitzt der Disponent der Firma, Almir Dusinovic. Er ist so etwas wie der Allmächtige der Spedition. Er weiss fast alles über den Strassengüterverkehr in Europa. Die Firma kann überleben, weil sie mehrere feste Kunden hat – wie zum Beispiel die Fabrik, die unweit der Spedition Holzküchen baut und nach Westeuropa exportiert.

Dusinovics Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass seine acht Fahrer nie leer unterwegs sind. Er nutzt dazu die Plattform Timocom, die grösste Frachtbörse Europas. Man muss sich das vorstellen wie eine Uber-Plattform für Güter. Wer etwas zu befördern hat, schreibt das auf Timocom aus. Die Spedition mit dem billigsten Angebot bekommt die Fuhre. Jeder kann mitbieten.

Die Preise auf den häufig befahrenen Routen seien total zusammengebrochen, sagt Dusinovic. Als Faustregel wird heute für einen Kilometer ein Euro bezahlt, es kann jedoch bis zu zwei Euro hochgehen. «Wenn ich aber für eine Ladung über 1000 Kilometer nur 700 Euro bekomme, nehme ich sie nicht», sagt Dusinovic, derweil er ununterbrochen rotiert, telefoniert, gleichzeitig ein Mail schreibt, etwas im Computer sucht, als schon wieder das Telefon klingelt.

Sein Ehrgeiz ist es, dass all seine Fahrer jedes zweite Wochenende daheim verbringen können. Also braucht er immer wieder Fuhren zurück Richtung Bosnien. Im Moment hat er einen Fahrer, der in Italien unterwegs ist. «Ich muss eine Ladung für ihn finden. Er sollte am Wochenende wieder hier sein. Wenn ich nichts finde, wird das schwierig. Da müssen wir entscheiden, ob er leer zurückfährt oder das Wochenende in Italien verbringt.» Es mache ihn verrückt, wenn er nichts finden könne. Das beschere ihm manchmal schlaflose Nächte. Petar sagt, Dusinovic sei ein grossartiger Disponent. Er vertraue ihm total.

Inzwischen hat Petar das Bier beim Kunden in der Nähe abgeladen. Sein Sattelzug steht im Hof der Spedition. Seit dreizehn Stunden ist er auf den Beinen und beginnt nun, seinen Lkw zu waschen. Am Schluss poliert er die Felgen. Alles müsse blitzblank sauber sein, sagt er, «dann wird man auch weniger von der Polizei kontrolliert».

Die nächsten vier Tage hat er frei. Er werde noch einige Jahre fahren, sagt er. Irgendwann möchte er aber gerne ein Tierheim für herrenlose Katzen und Hunde eröffnen.

Von Basel nach Airolo

Einige Tage später machen wir uns nochmals auf, um an einem Sonntag zwischen Basel und dem Tessin mit Lkw-Fahrern zu reden. Die Hitze staut sich auf dem Parkplatz an der Grenze bei Lörrach. Laster steht neben Laster.

Ein junger Rumäne will gerne mit uns reden, aber bitte keine Fotos, keine Namen. Seit sechzehn Tagen ist er unterwegs. Er hat gestern in der Schweiz Paletten abgeladen. Was er geliefert hat, weiss er nicht. Er brachte die Ware aus Deutschland, vorher war er in Grossbritannien, in Deutschland, Österreich oder Holland – oder umgekehrt? So genau kann er sich nicht mehr erinnern. Morgen fährt er nach Holland. Für gewöhnlich sei er drei Monate unterwegs und bleibe danach zehn Tage daheim.

Er arbeitet für eine rumänische Firma und sagt, er verdiene 1200 Euro pro Monat. Er hat einen Bachelor in Psychologie und würde gerne weiterstudieren, aber es fehle ihm das Geld. Vor einem Jahr hat er geheiratet. Versonnen sagt er: «Wenn du so viel unterwegs bist, kommt es dir jedes Mal, wenn du wieder mit deiner Frau zusammen bist, vor wie in der Hochzeitsnacht.» Er lebt mit seiner Frau in Bukarest in einer Wohnung, die monatlich 250 Euro Miete kostet. Später stellt sich heraus: Er erhält einen Grundlohn von 250 Euro pro Monat plus sogenannte Spesen von 45 Euro pro Tag. Wenn er in drei Monaten zwanzig Tage arbeitet, ergibt das 1150 Euro. Wenn er nicht unterwegs ist, erhält er nur den Grundlohn.

Ein anderer Rumäne kommt hinzu, steht mit verschränkten Armen breitbeinig daneben und hört zu. Irgendwann mischt er sich ins Gespräch ein, erzählt, dass er vor sechs Monaten das letzte Mal zu Hause war. Er fährt für eine italienische Firma frisches Obst und Gemüse in den Norden. Pro Monat verdient er 2700 Euro. Diesen Job wolle er nicht riskieren – darum bitte keine Fotos, keine Namen. Er berichtet aber auch, dass er von seinem Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag verlangt habe – bekommen hat er bis heute nichts.

Vor einigen Monaten brach er sich beim Abladen die Hüfte. Danach war er fünf Monate arbeitsunfähig. In dieser Zeit verdiente er nichts. Er ist überzeugt, dass die Firma ihn schwarz beschäftigt. Aber er verdiene gut, darum wolle er nicht klagen.

Auf der anderen Seite des Gotthards, auf der Raststätte San Gottardo Sud, treffen wir noch einen Rumänen. Er fährt für eine niederländische Firma und verdient etwa 2000 Euro. Seine Firma bezahlt nur Sozialabgaben auf den Grundlohn von 500 Euro, der Rest wird als Spesen ausgewiesen. Der Chef habe aber eingewilligt, dass er – der Fahrer – selbst mehr einzahlen dürfe, damit er später eine bessere Rente bekomme. Der Fahrer freut sich über den Deal und seinen guten Arbeitgeber. Dass dieser ihn eigentlich betrügt, ist ihm nicht bewusst: Die osteuropäischen Speditionen oder die westeuropäischen Tochterfirmen – die sich um die Sozialabgaben drücken – holen pro Fahrer «einen Kostenvorteil von gut 24 000 Euro pro Jahr» raus, wie der Journalist Jan Bergrath, selbst ein ehemaliger Fernfahrer, in einer Studie ausgerechnet hat. Weil im Krankheitsfall auch meistens kein Lohn bezahlt wird, vergrössert sich die Kostenersparnis noch.

Diese Lohntrickserei verzerrt den Wettbewerb. Doch solange das nicht systematisch kontrolliert und gebüsst wird, ist der Güterverkehr auf der Strasse selbstredend billiger, und die Schiene ist nicht konkurrenzfähig.

Diese Reportage ist in Zusammenarbeit mit dem Verein Alpeninitiative und einem Crowdfunding entstanden. Die ungekürzte Multimediareportage kann auf alpeninitiative.ch angeschaut werden.