Stadionpolitik: Und sonst malt ihr halt im Letzigrund die Sitze blau an
In Zürich wissen sie wieder mal nicht, ob sie ein neues Stadion wollen sollen oder nicht. Der Berner Fussballblog «Zum Runden Leder» weiss zum Glück Rat. Ein profunder Gastkommentar aus der Meisterstadt.
Ob Zürich ein Fussballstadion braucht? Gut, dass die WOZ dazu uns Berner fragt. Bern ist ja jetzt gerade der absolut heisse Scheiss, wenn es um Fussball geht, zumindest national. Wir haben hier seit über zehn Jahren wieder ein richtiges Fussballstadion, wenn auch mit oft und manchmal sogar zu Recht gescholtener Spielunterlage. Das Stadion sei der Star, wurde uns zu Beginn immer mantraartig eingebläut – wohl auch, um die sportliche Magerkost der ersten Zeit etwas zu kaschieren. Irgendwann lag dann da eben dieser Plastikrasen, denn für die Durchführung von kommerziell einträglichen Anlässen wie Konzerten und freikirchlichen Versammlungen ist so ein pflegeleichter und abwaschbarer Belag halt einfach besser geeignet.
Die schönsten Jahre für lange Zeit verbrachten wir YB-Fans im Exil, nach dem Abbruch des alten Wankdorfstadions zu Beginn der nuller Jahre. Die altehrwürdige Stätte mit ihren aufsplitternden Holzbänken und den äusserst streng riechenden Sanitäranlagen entbehrte ja nicht einer gewissen Romantik, und das Stadion Neufeld stand dem in keiner Weise nach. Hätte sich je jemand über die Laufbahn rund ums Grün beschwert oder darüber, dass man zu weit vom Spielgeschehen entfernt sei? Ich könnte mich nicht daran erinnern. Wir genossen es, schon ewig vor dem Anpfiff auf den Betonstufen zu fläzen und Bier zu trinken.
Dem neuerlichen Umzug an die neue alte Adresse schaute man mit vorauseilender Wehmut entgegen. Das Wankdorf hiess jetzt Stade de Suisse, aber nur FussballhasserInnen und die schlimmsten Modefans trauten sich, diese drei schmutzigen Wörter in den Mund zu nehmen. Jemand legte sogar eine Serie T-Shirts auf: «Ich sag Wankdorf, basta».
Irgendeinisch funktionierts!
Ja, ich kenne den Letzigrund. Nein, es macht keine Freude, dort Fussball zu schauen. Es zieht. Man ist viel zu weit weg. Das Catering sei auch suboptimal, hab ich hier und da von Mitmenschen gehört, die sich auch in andere Sektoren als den Gästesektor verirrt haben. Deshalb hier nun die verbindliche Abstimmungsempfehlung für die Zürcher Stimmberechtigten:
Stimmen Sie Ja zum neuen Stadion! Sie kriegen, ohne einen Rappen Steuergelder einzusetzen, ein zeitgemässes multifunktionales Stadion mit Hexenkesselgarantie (sofern sich genügend Leute finden, die dort Krach zu machen bereit sind). Mit den zusätzlichen Einnahmen können sich Herr Canepa und die diversen Teilinvestoren, die dannzumal gerade versuchen werden, den Grasshopper Club zu führen, tolle Spieler holen und an alte Glanzzeiten anknüpfen. Wir wissen das, in Bern hat es schliesslich auch irgendeinisch funktioniert. Irgendeinisch war übrigens der 28. April 2018, und es war magisch. Falls Sie Dünkel haben, eine Liaison mit irgendwelchen zugelaufenen Investoren einzugehen – das ist am Anfang ganz normal. Seien Sie aber versichert: Das legt sich, sobald die Erfolge zurückkommen. Als Andy Rihs gute zwei Wochen vor dem Titelgewinn verstarb, war die Trauer bei allen Fans gross und echt. Genauso wie die Freude mit seinem Bruder Jöggi, der im meisterlichen Freudentaumel waghalsige Tänze aufs biergenässte Parkett in der Garderobe legte.
Pseudosoziale Zückerli
Wie, das liest sich für Sie wie eine umgeschriebene Werbebroschüre des Pro-Komitees? Da haben Sie nicht ganz unrecht. Sagen Sie Nein zu diesem Trojanischen Pferd! Lassen Sie sich nicht übertölpeln mit den pseudosozialen Zückerli, die man Ihnen hinhält. Haben Sie wirklich alles gelesen, inklusive des Kleingedruckten? «Wohnungen im mittleren Preissegment» sollen entstehen – dafür kann ich mir in Bern eine Villa mieten. Und wer wirklich glaubt, Frau Canepa schaue noch lange zu, wie ihr Mann das Familienvermögen für sein Hobby ausgibt, und wer tatsächlich noch die Hoffnung hat, dass die Hoppers innert der nächsten paar Dezennien wieder in die Spur gelangen, der oder dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Rentiert so ein Prestigeobjekt auch dann noch, wenn einer der beiden Zürcher Klubs in die Bedeutungslosigkeit verschwindet? Wir haben Sie gewarnt!
Also, bleiben Sie doch einfach in diesem architektonischen Bijou, das der Letzigrund zweifellos ist. Hübschen Sie es etwas auf, malen Sie die roten Sitze blau an, das geht auch in einer Guerillaaktion. Die Schweiz braucht keinen weiteren seelenlosen Betontempel mit Mantelnutzung. Und was, bitte schön, soll denn schon ein «echtes Fussballstadion» sein? Tut ein bisschen Distanz zum Spielgeschehen und überhaupt zu diesem Fussballgeschäft nicht auch ganz gut? Zürich ist nicht Buenos Aires. Das ist schade, wenn es um Fussball geht, aber in vielen anderen Belangen wohl eher ein Vorteil.
Sie sehen, Bern empfiehlt Zürich ein klares Jein! Nutzen Sie unbedingt Ihre demokratischen Grundrechte, und gehen Sie am 25. November abstimmen.
Stefan Widmer ist Autor im Team des meisterlichen Berner Fussballblogs «Zum Runden Leder».