Nach dem grossen Nein: Das Pendel steht still
Da war es endlich Sonntagnachmittag geworden, die Antimenschenrechtsinitiative der SVP war überraschend wuchtig verworfen. Doch die Medien in der Schweiz kannten nur ein Ergebnis: Christoph Blocher.
Blocher im Interview in der «Luzerner Zeitung», der «Aargauer Zeitung», dem «St. Galler Tagblatt» (CH Media), Blocher im Interview mit dem «Tages-Anzeiger», dem «Bund», der «BaZ» (Tamedia), Blocher bei der NZZ, Blocher bei «Watson» und Blocher auch bei «Schawinski». Er durfte sich die Niederlage schönreden, den Gegner beschimpfen, die eigene Familie loben.
Der Höhepunkt der Anbiederei war, als Blocher im CH-Media-Interview behauptete, die Schweiz werde von der Hochfinanz regiert. Worauf der Chefredaktor auf die Nachfrage verzichtete, ob in Wahrheit nicht er, Blocher, mit einem Vermögen von elf bis zwölf Milliarden Franken der grösste Kapitalist im Land sei. Ganz offensichtlich leidet die SVP unter einem Realitätsverlust und ein beträchtlicher Teil der Medien ebenso.
Nein, das Ergebnis vom Sonntag heisst nicht Blocher, im Gegenteil hat eine Mehrheit der Stimmberechtigten von einer SVP-Schweiz genug. Das Ergebnis ist kein Anlass zum Jammern, sondern eine grosse Freude! 67 Prozent, zwei Drittel aller Stimmenden, haben sich am Sonntag für den Schutz der Menschenrechte ausgesprochen, für die Unabhängigkeit der Justiz und für ein geregeltes internationales Zusammenleben.
Bereits zum dritten Mal in Serie erteilten sie damit einem SVP-Anliegen eine deutliche Absage. Schon die «Durchsetzungs»- und später die «No Billag»-Initiative wurden mit ähnlich deutlichen Mehrheiten verworfen. Mit Realitätssinn kann man feststellen, dass etwas vor sich geht in der Gesellschaft, um nicht länger das Propagandawort «Volk» zu brauchen, das stets das Viertel der Anwesenden ohne Schweizer Pass ausschliesst. In einer Phase, in der weltweit in vielen Staaten Autokraten an die Macht kommen und als Erstes die Rechte der Justiz und der Medien beschneiden, sagt die Schweiz Nein zu Vorlagen, die auf solche Einschränkungen abzielen.
Im Land, das vergleichsweise früh von einem aggressiven Rechtspopulismus betroffen war, scheint das politische Pendel, das unaufhaltsam nach rechts zu schlagen schien, fürs Erste stillzustehen. Gestoppt hat es eine breite Bewegung aus der Bevölkerung: aus der Kultur, aus der Wirtschaft, aus der Stadt und vom Land. Auch das Tessin war dabei. Es ist eine Bewegung ohne Zentrale, mit vielen SprecherInnen und Argumenten. Gerade darum ist sie so stark.
Bestimmt, was in diesen Abstimmungen gesichert wurde, ist das Minimum: Es sind die Grundabmachungen in einem demokratischen Rechtsstaat. Und doch könnte das Pendel sachte wieder in eine andere Richtung als die autoritäre ausschlagen: hin zu einer offeneren Gesellschaft, einer gerechteren und befreiteren.
Es liegt in den nächsten Monaten vor dem Wahljahr an den bürgerlichen Parteien, ob das gelingen kann. Das Signal für die internationale Zusammenarbeit vom Sonntag kann man insbesondere auf die Europapolitik übertragen. Einen Durchbruch wird es nur geben, wenn die Bürgerlichen ihre Allianz mit den Linken und den Gewerkschaften erneuern. Die Personenfreizügigkeit lässt sich nur dann retten, wenn die Bürgerlichen den Lohnschutz endlich wieder ernst nehmen.
Damit das Pendel zurückschlägt, sollten aber auch die Linken wieder selbstbewusster auftreten. Das Referendum gegen die VersicherungsspionInnen ist dafür ein Beispiel. Dass es am Sonntag verloren ging, mag zeigen: Eine Mehrheit schützt die Grundrechte wohl abstrakt, im Zweifel wird dann aber doch wieder neidisch nach unten getreten. Dass dieses Referendum aber überhaupt zustande kam, nach zehn Jahren Hetze gegen IV-Rentner und Sozialhilfebezügerinnen, ist allein ein Erfolg. Es machte die Bekämpfung der Armut und die Kritik an der Überwachung der Schwächsten wieder zum Thema. Dieses beherzte Referendum war ein Versprechen für mehr.