Antimenschenrechtsinitiative: Die Demokratie schlägt zurück

Wendepunkt vor dem Wahljahr: Die Antimenschenrechtsinitiative ist überdeutlich verworfen worden. Was sich für die bürgerlichen Parteien und die Linken mit dem Resultat verändert.

Endlich ist der Abstimmungskampf vorbei: Mit 66 Prozent der Stimmen ist die Antimenschenrechtsinitiative abgelehnt worden. Was für eine Erleichterung, erst recht nach diesem Murks: In seiner Unschärfe hatte der Initiativtext jede konstruktive Diskussion verunmöglicht. Die SVP als Absenderin operierte mit gröberen Verharmlosungen und griff am Schluss zu offensichtlichen Lügen. Der grosse Verlierer, der diese Kampagne finanziert hatte und dem die reaktionäre Initiative eine Herzensangelegenheit war, ist der Milliardär Christoph Blocher. Die deutliche Ablehnung ist seine persönliche Niederlage. Die Stimmbevölkerung folgt dem sogenannten Volkstribun nicht mehr. Und trotz tobender Parteisäle auch nicht seinen ErbInnen Magdalena Martullo, Roger Köppel oder Hans-Ueli Vogt. Die SVP hat nur gerade ihre eigene Basis mobilisieren können. In diesem Sinn – und wie Blocher jeweils seine Kolumne in seinen neuen Gratiszeitungen schliesst: «E gfreuti Wuche!»

Weil die Partei die Initiative vor dem kommenden Wahljahr zu ihrem wichtigsten Anliegen hochstilisiert hatte, ist nicht nur ein Rückblick auf die letzten Wochen angebracht. Denn bereits seit einem ganzen Jahrzehnt muss sich die Schweizer Politik mit den immer gleichen perfiden Initiativen der SVP herumschlagen. Ob es um Minarette ging, um Ausschaffungen oder die «Masseneinwanderung»: Im Kern stand immer die Entrechtung derjenigen im Zentrum, die keinen Schweizer Pass besitzen. Anfänglich konnte die Rechte noch knappe Mehrheiten für sich reklamieren, propagierte den «Volkswillen» entsprechend als mythische Grösse. Doch dann entwickelte sich plötzlich eine positive Dynamik. In der Bevölkerung fand ein eigentlicher Aufstand statt.

Begonnen hat dieser anlässlich der «Durchsetzungsinitiative» im Jahr 2016: Eine Mehrheit sprach sich damals für den Schutz der Minderheiten aus. Sie spürte, dass eine Verabsolutierung des Mehrheitswillens den Rechtsstaat und die Demokratie massiv beschädigt. Auch bei der heutigen Abstimmung über die Menschenrechte und das Verhältnis der Schweiz zur Welt engagierte sich eine breite Allianz. Die SVP, die gerne die direkte Demokratie für sich pachtet, wurde mit direktdemokratischen Mitteln geschlagen. Am Ergebnis gibt es nichts zu deuteln: Die Schweizer Stimmberechtigten achten die Justiz als unabhängige, dritte Gewalt und wollen sich an internationale Verträge halten. Und sie wollen eine Stärkung, keine Schwächung der Menschenrechte.

Auch wenn der heutige Sonntag sehr erfreulich ist – gut ist damit längst nicht alles. Denn rückblickend sind die letzten zehn Jahre für die linken und progressiven Kräfte auch eine verlorene Zeit. Das Vokabular der SVP wurde weitgehend normalisiert, viel zu oft waren die bürgerlichen Parteien zu Kompromissen bereit. Jede Abstimmung bedeutete eine neuerliche Abwehr. Die ganze Kraft, die viele Freiwillige in die Bekämpfung der Initiativen stecken mussten: Wie viel besser und wohl auch lieber hätten sie damit eigene, offensive Projekte verfolgt.

Wollen die bürgerlichen Parteien nach dem klaren Nein die Stimmbevölkerung ernst nehmen, dürfen sie der SVP nicht länger mit vorauseilendem Gehorsam begegnen. Stattdessen sollten sie die Anliegen der linken Parteien und der Gewerkschaften stärker berücksichtigen – insbesondere bei der wichtigsten nun kommenden Auseinandersetzung: der Europafrage mit dem Lohnschutz. Denn nur mit ihnen lässt sich eine Mehrheit finden. Und auch die linke Bewegung wäre gut beraten, ihre eigenen Positionen zu schärfen, sie wieder selbstbewusster zu vertreten: Im taumelnden Europa kann der Frieden nur gesichert werden, wenn alle Anwesenden über die gleichen Rechte verfügen und die soziale Ungleichheit entschieden bekämpft wird. 

Die internationalen RechtsverächterInnen, die gerne Schweizer Volksabstimmungen rühmen – von der AfD bis zur FPÖ, von Matteo Salvini bis zu Viktor Orban –, können vom heutigen Ergebnis zumindest eines lernen: Die direkte Demokratie schlägt gerade zurück. Die Schweiz schickt ein ermutigendes Signal für die Menschenrechte und die internationale Zusammenarbeit in die Welt.

PS: Noch ein Wort zur Abstimmung über die Versicherungsspione: Diese ging zwar mit 65 Prozent Ja-Stimmen verloren. Dass es aber nach jahrelanger Hetze gegen IV-BezügerInnen überhaupt ein Referendum gab, bleibt ein wichtiger Anfang.