#Fridays for Future: Für Enkel Gustav und uns alle
Über 2000 Orte in 125 Ländern: Weltweit haben am vergangenen Freitag Hunderttausende junge Menschen für eine andere Klimapolitik gestreikt. Was bewegt die Klimajugendlichen? Und wie geht es weiter? Die WOZ hat sich auf den Kundgebungen umgesehen.
Dänemark: «Das reicht nicht!»
«Det er ikke nok! Det er ikke nok!»: Die Botschaft Tausender junger Menschen, die sich mit selbstgemachten Plakaten und Spruchbändern in Kopenhagen auf dem Platz vor Schloss Christiansborg, dem Sitz des dänischen Parlaments, drängen, ist deutlich. Was Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen da gerade an klimapolitischen Aktivitäten seiner Regierung aufgezählt hat: «Das reicht nicht!»
Der konservative Regierungschef war von seinem Amtssitz herübergekommen und der Aufforderung der Menge gefolgt, von einer als Tribüne dienenden Lkw-Ladefläche eine kurze Ansprache zu halten. Er lobte die Veranstaltung («Toll, so viel Engagement unserer Jugend!»), erinnerte aber an die Schulpflicht und meinte, zur Lösung der Klimaprobleme gehöre auch, «dass ihr viele neue Sachen lernt». Die meisten konnte er mit solchen Aussagen nicht überzeugen. Erst recht nicht, weil einer tags zuvor veröffentlichten Studie zufolge keineR seiner ZuhörerInnen die Verwirklichung der Klimaziele erleben würde, die sich Dänemark bis 2050 gesetzt hat. Sollte es im jetzigen Tempo weitergehen, werden sie nämlich erst in hundert Jahren erreicht sein.
«Es eilt, Lars, wir wollen nicht zum Mars umziehen müssen», heisst es auf einem Pappschild, das die fünfzehnjährige Eva hochhält. «Ti gange mere» (zehnmal mehr), fordert ein Sprechchor, der nicht nur aus Schülerinnen und Studenten besteht. Auch Ältere haben sich unter die SchulstreikerInnen gemischt, die sich mit dem Slogan «Alle, die hüpfen, wollen eine Zukunft» zwischendurch warmgehüpft haben. «Ich will meinen Enkel Gustav unterstützen», sagt eine ältere Frau. «Schliesslich kann Greta Thunberg ja auch nicht alles alleine machen.»
Es bleibt friedlich, auch wenn an einer Ecke des Schlossplatzes jemand ein paar Pflastersteine ausgegraben hat: um Platz für ein Bäumchen zu schaffen, an dem ein Brief an die vier Parteivorsitzenden «Lars, Mette, Uffe und Pernille» hängt – mit der Aufforderung, die Klimapolitik endlich ernst zu nehmen.
In 32 Städten war in Dänemark an diesem Tag demonstriert worden. Bereits hat man sich zu einem weiteren Klimakampftag verabredet: Spätestens in einem halben Jahr finden Parlamentswahlen statt. Zwei Wochen vorher soll wieder ein nationales Treffen der Klimajugendlichen stattfinden. Um Politikerinnen und Wähler daran zu erinnern, «dass es Wichtigeres gibt als das ewige Flüchtlingsthema und Steuersenkungen, etwa eine neue Steuer auf Flugreisen», sagt der sechzehnjährige Johan. «Zu dumm nur, dass ich da noch nicht wählen darf.»
Reinhard Wolff, Kopenhagen
Polen: «Make love, not CO2»
In wohl kaum einem anderen Land Europas haben die (nicht nur) jungen Menschen mehr Grund, für eine alternative Klima- und Energiepolitik auf die Strasse zu gehen. Denn jenseits der mittel- und langfristig verheerenden Auswirkungen, die der CO2-Ausstoss auf die Erderwärmung hat, atmen die 38 Millionen PolInnen bereits heute die EU-weit schmutzigste Luft: Laut der Weltgesundheitsorganisation liegen 36 der 50 am stärksten durch Feinstaub verschmutzten Städte Europas im Land an der Weichsel. Und laut EU-Umweltbehörden sterben in Polen jährlich mehr als 40 000 Menschen vorzeitig wegen der Luftverschmutzung.
Und so gingen am Freitag in über zwanzig polnischen Städten mehr als 10 000 SchülerInnen auf die Strassen. Organisiert wurden die Streiks von autonomen lokalen Gruppen junger Leute, die sich unter anderem über Facebook vernetzt hatten. «Inspiriert durch den Mut, die Unnachgiebigkeit und die Entschlossenheit von Greta Thunberg, wollen wir uns der Passivität der Politiker entgegenstellen», schreiben sie auf den Profilseiten des Jugendstreiks fürs Klima.
Allein auf den Strassen Warschaus protestierten mehrere Tausend SchülerInnen. Auf ihrem lautstarken und bunten Zug durchs Zentrum in Richtung Energieministerium forderten sie neben einer besseren Umweltbildung vor allem eine neue Energiepolitik. «Make love, not CO2» und «Es gibt keinen Planeten B» stand auf ihren Transparenten. «Nötig sind konkrete politische Entscheidungen, vor allem die Abkehr von der Kohle», sagte etwa der siebzehnjährige Dominik Slowinski. In Polen werden nach wie vor 84 Prozent des Stroms und 86 Prozent der Wärme durch die Verfeuerung von Stein- und Braunkohle gewonnen. Und die Regierung setzt die EU-Klimaschutzziele nur sehr widerwillig um.
Auch in Kattowitz, der Hauptstadt der Industrie- und Kohleregion Oberschlesien und im Dezember Schauplatz der Weltklimakonferenz, gingen rund hundert SchülerInnen auf die Strasse: nicht nur Jugendliche aus Kattowitz selbst, sondern auch aus anderen Städten der Region, die innerhalb des smoggeplagten Landes die schmutzige Speerspitze bilden. In der Region sind nach wie vor mehr als zwanzig Steinkohlebergwerke in Betrieb, dazu etliche veraltete Kohlemeiler. Die jungen Leute in Kattowitz wollen nun allmonatlich auf die Strasse gehen – wohlwissend, dass ein einzelner Protest wenig bringt. SchülerInnen aus Warschau melden sich indes per Video zu Wort: «Wir laden euch zu weiteren Streiks, aber auch zu Treffen mit uns ein – damit wir gemeinsam neue Aktionen planen können.»
Jan Opielka, Kattowitz
Brasilien: «Heisser als mein Lover»
Ein Dutzend Jugendliche halten auf den Stufen des Landesparlaments Schilder in die Höhe. «Konsumiere weniger Fleisch» steht auf einem, «Mehr Wissenschaft!» und «Der Planet wird heisser als mein imaginärer Lover» auf anderen. Die Gruppe Engajamundo (Engagiere dich für die Welt) hat zum ersten brasilianischen Klimastreik aufgerufen. «Wir haben vor kurzem mit drei Mitgliedern angefangen», sagt Milena Batista. Insofern sei man um 300 Prozent gewachsen. Die Studentin in Umweltmanagement lacht. Schon nächste Woche wolle man wieder hier erscheinen und den Landtagsabgeordneten eine Liste mit Forderungen übergeben. Dass die Gruppe klein sei, sagt Batista, ändere nichts daran, dass man recht habe.
Nicht nur in Rio de Janeiro ist die Resonanz auf den Klimastreik gering. Auch in anderen Städten Brasiliens kommen nur wenige Schülerinnen und Studenten zusammen, die Medien berichten so gut wie gar nicht. Das hat mehrere Gründe. Da ist das generelle Desinteresse an Umweltthemen. In einem Land mit Millionen von Armen, Tausenden Favelas und 64 000 Morden im Jahr stehen soziale Fragen im Vordergrund. Und dann jährte sich just einen Tag vor dem Klimastreik der Mord an der linken schwarzen Stadträtin Marielle Franco. Tausende gingen zu den Demos und forderten Aufklärung. Es überschattete alles andere.
Für Batista gibt es noch eine weitere Ursache für die geringe Mobilisierung: Brasilien sei stark polarisiert, sagt die Zwanzigjährige. Leider gelte der Kampf gegen die Klimaerwärmung als linkes Anliegen, weswegen viele Leute abgeschreckt seien. Dabei sei das Thema wichtiger denn je, der Klimawandel bereits spürbar. «In einigen Regionen nehmen extreme Wetterphänomene zu: Trockenheit hier, zerstörerische Gewitter dort», sagt Batista. International komme dem Land wegen seiner riesigen Wälder zudem eine Schlüsselrolle zu.
Brasiliens aktuelle Regierung sieht das anders. Der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro hatte im Wahlkampf angekündigt, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen; Aussenminister Ernesto Araújo bezeichnete den Klimawandel als «kulturmarxistische Verschwörung». Obwohl Bolsonaro in der Frage zurückgerudert ist, führt seine Regierung dennoch eine Art Krieg gegen den Amazonas.
«Der Wahlsieg der Rechten hat viele progressive Brasilianer resignieren lassen», sagt Milena Batista. Das dürfe jedoch keine Entschuldigung dafür sein, nichts zu tun. «Ich lasse mich von Greta Thunberg inspirieren», sagt sie. «Auch sie war am Anfang ganz alleine. Aber sie hat bewiesen, dass wir Jungen etwas ändern können.»
Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro
Indien: «Du müsstest eher im Klassenzimmer sein»
«Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wann wollen wir sie? Jetzt!», schreien zwanzig junge Menschen im Chor. Unter ihnen ist auch der sechzehnjährige Kayoz Dadyburjor, der vor dem historischen Gebäude der Asiatischen Gesellschaft in der indischen Metropole Bombay protestiert. «Du müsstest eher im Klassenzimmer sein als ich» steht auf seinem Schild, das er am Morgen mit zur Schule genommen hat. Dort legte er seine Chemieprüfung ab und kam direkt zur Demonstration.
Auch wenn es in seinem Bundesstaat Maharashtra seit knapp einem Jahr ein Verbot für Einwegplastik gibt, sieht Dadyburjor Nachholbedarf. Viele interessierten sich nicht dafür, sagt er. Auf Instagram hatte der junge Aktivist von «Fridays For Future» erfahren – und wusste sofort, dass er beim Klimaprotest dabei sein muss. Abhalten konnten ihn seine Eltern nicht. Allein in Bombay und dessen Vororten waren drei weitere kleine Demos angekündigt. Viele vernetzten sich über Whatsapp.
Wie in Bombay starteten auch die grösseren Aktionen in den nordindischen Städten Delhi und Gurgaon mit 300 und 400 streikenden SchülerInnen nach 11 Uhr Ortszeit, damit alle, die sich in der Prüfungsphase befinden, teilnehmen konnten. In Gurgaon protestierten die Jugendlichen mit Mundschutz unter dem Kinn und schwarzen Lungenflügeltransparenten, um auf die Feinstaubbelastung aufmerksam zu machen. «Gurgaon ist eine der am stärksten verschmutzten Städte der Welt», sagt der fünfzehnjährige Veer Ojas. «Durch die massive Luftverschmutzung wird uns unsere Zukunft genommen.» Er beklagt, dass PolitikerInnen sich lieber auf die anstehen Parlamentswahlen stürzen, als sich um die Anliegen der WählerInnen von morgen zu kümmern. «Denkt irgendjemand an uns Kinder?», beschwert sich Asees Kandhari. Im nahe gelegenen Delhi nahmen sie und ihre Zwillingsschwester Asheer an den Protesten teil. «Wir sind die Generation, die mit den Folgen des Klimawandels leben muss», sagt Asheer.
Insgesamt waren für Freitag landesweit knapp vierzig Veranstaltungen angekündigt, es waren die ersten «Fridays For Future»-Proteste im Land. Mindestens 25 Schulen unterstützten die Proteste. Einige Eltern halfen bei der Organisation mit. 700 SchülerInnen kamen im südindischen Hyderabad zusammen. Lehrer Aprit Sharma legte seinen Ausflug extra auf diesen Tag, um mit der Klasse zu protestieren: «Sie verstehen den Ernst des Klimawandels.» Nicht überall waren es so viele, dennoch wollen Dadyburjor und seine KollegInnen weitermachen. Vielleicht schon diesen Freitag. Sie suchen noch nach einem passenden Ort.
Natalie Mayroth, Bombay