Durch den Monat mit Gian Trepp (Teil 1): Wieso verliessen die Walser das Wallis?
Der Ökonom und Autor Gian Trepp hat dieses Jahr ein Buch über seine Familiengeschichte veröffentlicht. Er entwickelt dabei auch gleich noch eine These, weshalb die WalserInnen – mit ihrem eigenen alemannischen Dialekt – im ganzen Alpenraum siedelten und in hoch gelegenen Alpentälern zu überleben verstanden.
WOZ: Gian Trepp, bislang haben Sie Bücher über Wirtschaftsthemen geschrieben, jetzt haben Sie eines über Ihre Vorfahren veröffentlicht. Wieso das Interesse an der eigenen Geschichte?
Gian Trepp: Das ist wohl eine Alterserscheinung. Bei vielen meiner Generation ist das so. Wer bin ich? Woher komme ich? Das sind grundlegende Fragen. Ich wollte erfahren, in welchem Kontext meine Ahnen gelebt haben. Dass sie als Walser über Jahrhunderte im Bündnerland blieben, erleichterte die Recherche, zumal mein Grossonkel ein Familienarchiv führte.
Die eigene Herkunft verzweigt sich doch immer weiter. Allen Linien kann man gar nicht folgen.
Wir leben im Patriarchat. Auch nach #MeToo. Ich bin grundsätzlich dem Namen, also der männlichen Linie, gefolgt. Allerdings beschreibe ich in meinem Buch schon auch die Herkunft meiner Mutter.
Sie sind als Kind eines Wirteehepaars im Zürcher Arbeiterkreis 5 aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben das traditionsreiche Restaurant Vorbahnhof. Sassen Sie viel in der Beiz?
Mein Vater hatte es mir verboten. Doch ich sass trotzdem viel dort und habe Zeitungen gelesen. Wir hatten zehn Titel abonniert. Aber ich musste auch viel mithelfen. Mit mir und meinem Bruder konnten meine Eltern einen Angestellten einsparen. Es war nicht nur ein Vergnügen.
Ihre Vorfahren lebten im bündnerischen Rheinwald. Sie beschreiben sie immer im Kontext ihrer wirtschaftlichen Existenz. Irgendwann hören Sie aber mit den einzelnen Personen auf und kommen generell zur Wirtschaftsgeschichte der Walser. Wieso dieser Sprung?
Viele meiner Vorfahren waren Wegemacher und Säumer. So stellte ich mir die Frage nach der Bedeutung dieses Handwerks.
Waren die Walser früher nicht vor allem Bauernfamilien, die unbewohnte Gegenden im Alpenraum besiedelten?
Nein, die ersten Zuwanderer ins Rheinwald und nach Davos wurden von den rätischen Lokalfürsten geholt, weil sie den Alpentransit über den San Bernardino und den Flüela organisieren konnten. Sie konnten Tiere züchten, die Lasten an steilen Abhängen und durch den Schnee tragen, und sie verstanden es, in Gegenden zu überleben, die bis zu sechs Monate im Jahr eingeschneit sind.
Wieso haben die Walser das Wallis überhaupt verlassen?
Um diese Frage zu beantworten, muss man die politische Ereignisgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts studieren. Die Walserwanderung wird in der Geschichtsschreibung bis heute nur mit vagen Worten erläutert, es fehlen die Quellen. Meine These ist, dass die Walser im Hochmittelalter eine wichtige Funktion im Alpentransit des Heiligen Römischen Reichs spielten. Um das Reich zusammenzuhalten, war die Nord-Süd-Verbindung von geostrategischer Bedeutung. Es brauchte Leute, die diese Verbindung gewährleisteten – Säumer und Wegemacher. Ich gehe davon aus, dass es zwischen dem Vierwaldstättersee und dem Lago Maggiore zwei heute vergessene Transitstrecken durchs Berner Oberland und das Wallis gab. Als dann im 13. Jahrhundert das Reich in eine Krise stürzte, weil die Staufer-Dynastie endete, verloren die Übergänge an Bedeutung, und viele Walser wurden arbeitslos.
Sind die Walser nicht auch eine ideale Projektionsfläche für das Bild des urtümlichen, zähen Berglers?
Absolut. Es gibt Tausende von Websites zu den Walsern. Viele wollen sich mit irgendwas identifizieren. Mich interessiert das weniger. Mich interessiert das Historische.
Das Handwerk?
Die gängige Schweizer Geschichte geht vom Territorium aus. Die Nationalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts strickte den Mythos, dass die Waldstätte heroisch ihren Boden gegen die Habsburger verteidigten. Die Vorgeschichte interessierte nicht. Dabei ist sie für das Verständnis zentral: Es ging nicht um die Kontrolle des Territoriums, sondern um die Fähigkeit, den Alpentransit zu organisieren. Ohne den hätte es die Waldstätte gar nicht gegeben. Die Walser haben vom Urserental her die Schöllenen und damit den nördlichen Zugang zum Gotthardpass wegbar gemacht. Uri war zuvor eine Sackgasse, tote Hose.
Haben sich die Mittelalterforscher schon bei Ihnen gemeldet?
Nein. Ich gehöre nicht zum Mainstream. Mir ist bewusst, dass ich mit meiner These vielen an den Karren fahre.
Sie haben Ihr Buch nicht bei einem Verlag herausgebracht, sondern mit Amazon im Print-on-demand-Verfahren. Wieso das?
Die von mir angefragten Verlage wollten es nicht drucken. So ging ich zu Amazon. Ich musste mir dabei schon die Nase zuhalten. Ich bin deswegen auch von vielen kritisiert worden. Einige Buchhändler haben mich sofort wieder rausgeschmissen, als ich ihnen Bücher verkaufen wollte. Aber das Interesse für mein Buch ist da. Kürzlich bestellten Buchhandlungen aus Brig und Chur.
Gian Trepp (71) verkauft sein Buch «Hohe Berge – enges Tal» auch direkt. Man kann es per Mail an gt1@protonmail.ch bestellen.