Zersiedelungsinitiative: Das Duell um den Häuserbrei
Ausgerechnet der prominente Landschaftsschützer Raimund Rodewald zweifelt an der Zersiedelungsinitiative, die am 10. Februar an die Urne kommt. Mitinitiant Basil Oberholzer kontert.
Am 10. Februar kommt die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen zur Abstimmung. Und ausgerechnet der «oberste» Landschaftsschützer der Schweiz, Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz, hat Bedenken: «Bei einem Ja wird es grosse Anstrengungen brauchen, damit die Errungenschaften der heutigen Raumplanung nicht über den Haufen geworfen werden.»
Dabei nimmt die Initiative wichtige linksgrüne Anliegen auf: die Förderung von nachhaltigen Wohn- und Arbeitsformen, eine Siedlungsentwicklung nach innen mit hoher Lebensqualität, keine ausufernde Bautätigkeit ausserhalb der Bauzonen. Vor allem will sie das Siedlungsgebiet dauerhaft begrenzen: «Die Ausscheidung neuer Bauzonen ist nur zulässig, wenn eine andere unversiegelte Fläche von mindestens gleicher Grösse (…) aus der Bauzone ausgezont wird», so der Initiativtext. Da drängt sich ein Ja auf – oder nicht?
Verkleinern oder einfrieren?
Um Raimund Rodewalds Sorgen zu verstehen, muss man zurückblenden: «Bis 2013 war die Raumplanung grottenschlecht», sagt er. 2005 reichte es den LandschaftsschützerInnen: Der Kanton Freiburg wollte bei Galmiz im Grossen Moos, mitten im wichtigsten Gemüseanbaugebiet der Schweiz, ein 77 Fussballfelder grosses Areal einzonen, um die US-Pharmafirma Amgen anzulocken. Amgen kam nie – doch wegen Galmiz lancierten die Umweltverbände die Landschaftsinitiative. Das Kernstück: Die Schweizer Bauzonen dürfen zwanzig Jahre lang nicht mehr wachsen. Wie bei der aktuellen Initiative ging es also um eine Begrenzung des Siedlungsgebiets.
«Aber die Ausgangslage ist heute eine ganz andere», sagt Rodewald. Denn Bundesrat und Parlament nahmen die Landschaftsinitiative ernst und erarbeiteten einen indirekten Gegenvorschlag: die erste Etappe der Reform des Raumplanungsgesetzes (RPG 1). 2013 wurde das RPG 1 an der Urne angenommen; daraufhin zogen Rodewald und MitstreiterInnen ihre Initiative zurück.
Das RPG 1 verlangt von den Kantonen etwas nie Dagewesenes: Sie müssen überdimensionierte Bauzonen reduzieren. Diese sind so gross zu planen, dass sie für das Bevölkerungswachstum der nächsten fünfzehn Jahre reichen – und nicht grösser. Alle Kantone sind damit verpflichtet, ihre Richtpläne zu überarbeiten. Raimund Rodewald sieht hier einen Widerspruch, der ihm Sorgen macht: Laut RPG 1 müssen die Kantone also ihre Bauzonen verkleinern. Die Zersiedelungsinitiative will sie hingegen einfrieren. «Die Rückzonungen sind noch nicht überall gemacht. Ich befürchte, dass das Parlament bei einem Ja zur Initiative den Kerngehalt des RPG 1 abändern würde. Das heisst, die Kantone müssten nicht weiter rückzonen. Das wäre fatal.» Es könnte sein, dass rechte PolitikerInnen sagen könnten: Stopp, wir zonen nichts mehr aus, sondern verkaufen die überdimensionierten Bauzonen vom Land für gutes Geld in die Zentren.
Die Initiative komme einfach zu früh: «Sie wäre gut in fünf bis zehn Jahren, wenn man weiss, ob das geltende Raumplanungsgesetz umgesetzt wurde. Wenn dann ein Einzonungsboom kommt – dann wäre das der richtige Moment für eine solche Initiative.» Was ihm in der Raumplanung aktuell am meisten Sorgen mache, habe nichts mit Einzonungen zu tun: «Wie lenken wir die Bauentwicklung nach innen, und wie bewahren wir die Siedlungsqualität und erhaltenswerte Bauten? Es wird viel gebaut, auch verdichtet, aber die Qualität lässt zu wünschen übrig. Man klotzt einfach.» Ausserdem kritisiert Rodewald die zweite Etappe der Raumplanungsrevision scharf, das RPG 2, das voraussichtlich dieses Jahr ins Parlament kommt und das Bauen ausserhalb der Bauzonen regeln soll. Weil einige Umweltverbände eine folgenschwere Aufweichung der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet befürchten, planen sie gerade zwei neue Initiativen.
Gefährliche Ausnahmen
Die Zersiedelungsinitiative komme genau zum richtigen Zeitpunkt, kontert Basil Oberholzer von den Jungen Grünen: «Bis Ende April müssen alle Kantone ihre Richtpläne genehmigen lassen. Die Richtpläne von fünfzehn Kantonen hat der Bund schon genehmigt. Die Umsetzung des RPG 1 ist unterwegs, wenn es auch kritische Punkte gibt, die aber unabhängig von der Initiative sind.»
Oberholzer ist Umweltökonom, St. Galler Kantonsrat und der Raumplanungsprofi der Jungpartei. «Unsere Initiative tangiert die Rückzonungen nicht», betont er. «Sie stehen im Gesetz. Daran ändert sich bei einem Ja am 10. Februar nichts.» Stéphanie Penher, Bereichsleiterin Verkehrspolitik des Verkehrs-Clubs (VCS), pflichtet bei: «Das RPG 1 ist geltendes Recht. Daran wird nicht gerüttelt.» Für die Jungen Grünen sei vor allem eines entscheidend, sagt Oberholzer: die dauerhafte Begrenzung des Siedlungsgebiets. Das RPG 1 bringt keine solche Begrenzung. «Es ist gut, rückzuzonen, reinen Tisch zu machen, aber es ist ein einmaliger Akt. Spätestens in fünfzehn Jahren dürfen die Kantone weiteres Land einzonen, die Zersiedelung geht weiter.» Abzuwarten, ob sie irgendwann aufhöre, habe keinen Sinn. «Für Junge Grüne ist es sowieso keine Option, jahrelang zu warten.»
Raimund Rodewald kritisiert die Initiative noch aus einem weiteren Grund. Im Absatz 7 heisst es, ausserhalb der Bauzonen dürften nur standortgebundene Bauten für die bodenabhängige Landwirtschaft – also etwa Gewächshäuser, aber keine Hors-sol-Anlagen – und standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden. Dann folgt jedoch der Satz: «Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.» Rodewald warnt: «Mit diesem Satz gibt man dem Parlament eine Carte blanche. Die Räte setzen Initiativen so um, wie sie finden, es genüge. Das sieht man immer wieder.»
«Der Satz ist aus politischen Überlegungen drin», erklärt Basil Oberholzer, «wir laufen sonst Gefahr, dass die Gegner behaupten, Berghütten oder Sternwarten seien nicht mehr möglich. Wir waren fast gezwungen, einen solchen Satz zu integrieren, sonst hätten wir eine Liste machen müssen, welche Ausnahmen zulässig sind. Aber das gehört nicht in die Verfassung.» In seinem Argumentarium gegen die Initiative warnt der Bundesrat, man könne bei einem Ja keine Bergrestaurants mehr bauen. «Das ist in unserem Sinn, wir brauchen nicht auf jedem Gipfel eins», sagt Oberholzer. «Aber die Initiative nicht zu unterstützen, nur weil man sie für zu wenig radikal hält, finde ich seltsam.»
Das hat Raimund Rodewald auch nicht im Sinn. Trotz aller Bedenken wird er am 10. Februar Ja stimmen: «Als Signal ist es wichtig, dass sich die Bevölkerung gegen Zersiedelung ausspricht. Auch wenn es bei einem Ja wohl eine neue Grundsatzdebatte braucht.»