Bürgerliches Klima: Neue Töne aus der FDP
Die Gletscherinitiative findet auch Unterstützung im bürgerlichen Lager. Alles Wahlkampf – oder tatsächlicher Stimmungswandel?
So hatten sich das die FDP-ParteistrategInnen wohl nicht vorgestellt. Just zu Beginn des Wahljahrs 2019 steht die grosse liberale Kraft des Landes als Partei von KlimafeindInnen da. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem die Klimapolitik zu einem der wichtigsten Themen des Wahlkampfs werden könnte.
Allein am Samstag haben in der Schweiz rund 50 000 Menschen für einschneidende Massnahmen im Kampf gegen die Erderhitzung demonstriert. «FDP: Fuck de Planet» war etwa auf Schildern zu lesen, inspiriert von der neuen Satiresendung «Late Update» des Schweizer Fernsehens. Klimaaktionen werden auch in den kommenden Monaten für Aufsehen sorgen. So ist am 15. März ein weltweiter Schulstreik geplant.
Zwei Ständeräte bekennen Farbe
Ihren schlechten Ruf hat sich die FDP spätestens Ende des vergangenen Jahres erworben. Eins ums andere schwächten die Freisinnigen im Nationalrat zusammen mit der SVP die schon handzahme Vorlage des Bundesrats für ein neues CO2-Gesetz ab. Dabei war von Anfang an klar, dass die SVP das Gesetz sowieso nicht wollte. Schliesslich stand die FDP als Verliererin und Verhinderin da, weil in der Schlussabstimmung auch SP und Grüne dem verwässerten Gesetz nicht mehr zustimmen mochten.
Nun zeigt die FDP eine andere Seite. In den letzten Tagen haben sich die beiden freisinnigen Ständeräte Ruedi Noser (Zürich) und Damian Müller (Luzern) öffentlich für die Gletscherinitiative ausgesprochen, die fossile Brenn- und Treibstoffe ab 2050 verbieten will. Müller und Noser sind nicht irgendwer: Beide sitzen just in der ständerätlichen Umweltkommission, die derzeit eine neue Version des CO2-Gesetzes berät. Sie werden somit auch im Rampenlicht stehen, wenn die Vorlage im Ständerat debattiert wird; und das könnte laut Auskunft von Kommissionspräsident Roland Eberle (SVP) ausgerechnet in der Herbstsession sein, nur wenige Wochen vor den eidgenössischen Wahlen.
Ist das Vorpreschen der beiden FDP-Ständeräte also einfach Wahlkampf? So einfach scheint es nicht. Marcel Hänggi, Initiant der Gletscherinitiative, stellt bei vielen Bürgerlichen einen Gesinnungswandel fest: «Ich bin überrascht, wenn ich mit bürgerlichen Politikern rede, wie viele auf unsere Ideen positiv reagieren.» Selbst innerhalb der SVP gebe es AbweichlerInnen, die sich jedoch nicht trauen würden, Farbe zu bekennen.
Taktischer Initiativtext
Da stellt sich unweigerlich die Frage: Ist die Gletscherinitiative extra zahm formuliert, damit auch Bürgerliche mitmachen? Mit der Zustimmung zum Pariser Klimaabkommen muss die Schweiz ja sowieso bis 2050 ihre Emissionen dramatisch reduzieren. Initiant Marcel Hänggi verweist auf die geforderte mindestens lineare Absenkung, räumt aber ein, dass aus taktischen Gründen nicht alles wirklich Nötige ins Gesetz geschrieben wurde. «Eigentlich müsste die Schweiz bis 2038 von den fossilen Brenn- und Treibstoffen wegkommen», sagt Hänggi. Er bezieht sich dabei auf eine Studie des WWF, die auch die «historische Verantwortung» der Schweiz bei den CO2-Emissionen mitberücksichtigt.
In der Gletscherinitiative fehlt zudem jeglicher Bezug zum Finanzplatz Schweiz. Das weiss auch Marcel Hänggi: In dieser Frage müsse schnell etwas passieren. Deshalb setzt er darauf, dass der Ständerat entsprechende Regulierungen ins CO2-Gesetz schreibt. Beim Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller stösst er damit auf offene Ohren. Dieser schreibt in der jüngsten Ausgabe des «Schweizer Freisinns»: «Die Schweiz ist weltweit sechstgrösster Verursacher von Treibhausgasen, würden die in der Schweiz verwalteten Finanzflüsse mit CO2-Emissionen verknüpft und uns angelastet.» Er will deshalb prüfen lassen, wie Banken und AnlegerInnen zu mehr Transparenz verpflichtet werden können und wie der Staat regulierend eingreifen kann.
Dass Müller mit Vorschlägen für neue Regulierungen des Finanzplatzes in seiner Partei viel Zuspruch finden wird, scheint allerdings derzeit kaum vorstellbar. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen hält auf Anfrage der WOZ nichts von neuen Regulierungen. Er will im Gegenteil, dass für diejenigen, «die in Technologien investieren, die CO2 sparen, die Eigenmittelvorschriften lockerer werden». Auf mehr Zuspruch innerhalb der FDP – ungeachtet der Parteiideologie vom «freien Markt» – dürfte dagegen die Forderung nach mehr staatlicher Innovationsförderung stossen. Müller erhofft sich davon «wirtschaftliche Impulse».