Hebron: BeobachterInnen? Nein, danke!
Die Regierung Netanjahu hat überraschend entschieden, das Mandat der internationalen Beobachtermission TIPH in Hebron nicht zu verlängern – wohl eine Konzession an die israelische Rechte im laufenden Wahlkampf.
Die jüdische Siedlergemeinschaft von Hebron ist in Feierlaune. Grund ist der Abzug der internationalen BeobachterInnen aus der Stadt nach dem Entscheid des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, das Mandat der Temporary International Presence in the City of Hebron (TIPH) nicht zu verlängern. Die TIPH sollte zur Sicherheit der palästinensischen Bevölkerung und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.
Die Ursprünge der TIPH liegen im Jahr 1994: Damals tötete der US-Bürger Baruch Goldstein in der Abraham-Moschee 29 Muslime. Bei den Friedensverhandlungen in Oslo drei Jahre später einigten sich die israelische Regierung und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) auf das sogenannte Hebron-Protokoll. Dieses sieht die Teilung der Stadt in zwei Gebiete vor: H1 unter palästinensischer, H2 unter israelischer Kontrolle.
Auch die Schweiz beteiligte sich
Ausserdem wurden die Stationierung israelischer Streitkräfte zum Schutz der bis zu 800 jüdischen SiedlerInnen in H2 sowie die Entsendung einer internationalen Beobachtermission beschlossen, denn in dem Gebiet leben rund 40 000 PalästinenserInnen. Unter der Leitung von Norwegen beteiligten sich Italien, Schweden, die Türkei und auch die Schweiz am Mandat. Die TIPH-MitarbeiterInnen berichteten den israelischen und palästinensischen Behörden sowie ihren Regierungen über Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen, wobei die Berichte nicht öffentlich gemacht wurden.
Im Dezember wurden nun aber der israelischen Zeitung «Haaretz» Informationen aus einem internen Report zum zwanzigjährigen Jubiläum der TIPH zugespielt. Gestützt auf 40 000 Vorfälle, stellte die TIPH darin fest, dass der Staat Israel das Recht der PalästinenserInnen auf Bewegungsfreiheit und Religionsausübung verletze. Ausserdem verstosse der Staat gegen das Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, das erzwungene Umsiedlungen aus besetztem Gebiet untersagt.
Lukas Hupfer, ehemaliger TIPH-Mitarbeiter und Direktor der Denkfabrik zur Schweizer Aussenpolitik Foraus, hält die Schliessung der TIPH für ein Zugeständnis von Israels Premier Benjamin Netanjahu an die konservativ-religiöse Siedlerlobby – am 9. April finden vorgezogene Parlamentswahlen statt, von denen auch Netanjahus weiteres politisches Schicksal abhängt. Die Schliessung der TIPH sei ein symbolischer Akt, der zeigen soll, dass die Regierung keine internationale Präsenz mehr dulde. «Die Nichtverlängerung des Mandats ist ein Entscheid gegen die Schweizer Interessen im Nahen Osten», kritisiert Hupfer. Zu diesen zähle auch die Stärkung des Völkerrechts in der Region.
Auch die AussenministerInnen der fünf Mitgliedstaaten, darunter FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, rügen den Entscheid als eine Abweichung von den Osloer Friedensverträgen. Der Vorwurf der israelischen Regierung, die TIPH würde einseitig gegen Israel agieren, sei haltlos. Die Organisation habe vielmehr zum Schutz der Bevölkerung in Hebron beigetragen, weshalb die PLO das Mandat auch verlängert habe, heisst es in einer Mitteilung.
Übergriffe auf MitarbeiterInnen
Das Ende der TIPH trifft die PalästinenserInnen in Hebron hart. Ausser physischem Schutz für die BewohnerInnen von H2 bot sie zudem finanzielle Unterstützung für zivilgesellschaftliche Projekte. Dazu kommt noch, dass auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) vergangene Woche seine MitarbeiterInnen aus H2 abgezogen hat. Laut ÖRK-Mitarbeiter Peter Prove seien diese dermassen von SiedlerInnen belästigt worden, dass ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei.
Im geleakten Bericht der TIPH wird davor gewarnt, dass die Unterstützung der israelischen Regierung für die völkerrechtlich illegalen Siedlungen die Spaltung der Bevölkerung von Hebron deutlich vorantreibe. Hupfer fordert nun die Schweizer Regierung dazu auf, ausgewählte Inhalte aus dem Archiv der TIPH öffentlich zu machen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit könnte die Konfliktparteien wieder an einen Tisch bringen, so Hupfers Hoffnung. Das EDA will davon allerdings nichts wissen.