Kost und Logis: Ein Fingerhut im Ozean
Karin Hoffsten macht sich Gedanken über Hochpotenziertes.
Die schulmedizinischen Autoritäten meiner Kindheit hielten wenig von Homöopathie, bis jemand feststellte, dass sich auch Purzel, der familieneigene Rauhaardackel, nach der Einnahme von Globuli spontan von was auch immer erholt hatte. Fortan pflegte ich zur Homöopathie eine mild neutrale Einstellung.
Doch je öfter ich auf Erläuterungen zu den Mengenverhältnissen in den geschüttelten und gerührten Substanzen stiess, desto rätselhafter wurde mir ihr Wirken. Heute neige ich dazu, die Wirksamkeit von Globuli allein dem definitiv bewiesenen Placeboeffekt zuzuschreiben. Keine Ahnung, wie der in den Hund kommt, kann mir aber vorstellen, dass sich das der ruhigen Hand und sanften Stimme von Herrchen oder Frauchen verdankt.
Als ich auf Tuben bekannter Zahnpastamarken las, sie böten einen mentholfreien, «homöopathieverträglichen Kariesschutz», staunte ich. Dann stiess ich im Rahmen meiner Recherchen auf den Erfinder der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755–1843), und die sechste Auflage seines Schlüsselwerks «Organon der Heilkunst», wo im Paragrafen 260 noch mehr «Antidots» aufgelistet werden: «Alle diese Dinge müssen möglichst vermieden oder entfernt werden, wenn die Heilung nicht gehindert oder gar unmöglich gemacht werden soll.» Hier eine kleine Auswahl: «Kaffee, feiner chinesischer und anderer Kräuterthee, (…) Selerie, Petersilie, Sauerampfer, (…) Stubenhitze, schafwollene Haut-Bekleidung, sitzende Lebensart in eingesperrter Stuben-Luft, oder öftere, bloss negative Bewegung (Reiten, Fahren, Schaukeln), übermässiges Kind-Säugen, langer Mittagsschlaf im Liegen (in Betten), Lesen in wagerechter Lage, Nachtleben, Unreinlichkeit, unnatürliche Wohllust, Entnervung durch Lesen schlüpfriger Schriften, Onanism oder, sei es aus Aberglauben, sei es um Kinder-Erzeugung in der Ehe zu verhüten, unvollkommner, oder ganz unterdrückter Beischlaf; (…) leidenschaftliches Spiel, übertriebene Anstrengung des Geistes und Körpers, vorzüglich gleich nach der Mahlzeit» und anderes mehr.
Dass die 67 Prozent Schweizer BürgerInnen, die 2009 Ja dazu sagten, die Alternativmedizin – und damit auch die Homöopathie – in die Grundversicherung aufzunehmen, diese Auflistung kannten, ist unwahrscheinlich; und dass eine homöopathische Behandlung unter diesen Bedingungen bei modernen Menschen irgendetwas bewirkt, ebenso – es sei denn dank des erwähnten Placeboeffekts.
Zeitgenössische HomöopathInnen verkürzen die Aufzählung und erweitern sie dafür um andere schlechte Einflüsse wie «WLAN-Router, Handy, Tabletcomputer, Laptop, PC, Fernseher, Baby-Phone, Mikrowelle» et cetera (vgl. alfred-stellbrink.de). Doch ich fürchte, die Heilmethode selbst ist genauso überholt wie ihre vor mehr als 200 Jahren aufgelisteten «Antidots».
Allein wegen meiner Begeisterung fürs Lesen in waagerechter Lage, gern auch auf dem iPad, bin ich für die Homöopathie inzwischen leider rettungslos verloren.
Karin Hoffsten findet, dass ein Säckchen Mehl aus der Hand der Hausärztin ihres Vertrauens ebenso wirksam, aber fürs Gesundheitssystem preisgünstiger wäre als ein Gläschen mit hochpotenzierten Globuli.