Splatterfilm: Gefeuert wegen blutgeilem Heidi
Die Polizei, dein Freund und Filmkritiker: Ein Sicherheitsangestellter des Flughafens wird entlassen, weil er an einem Drehbuch schreibt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Zürcher Polizeikorps mit Kunst schwertut.

Die Macher von «Mad Heidi» hätten es als Mediencoup nicht besser planen können: Wie man im April diversen Berichten entnehmen konnte, entlässt die Kapo Zürich den Sicherheitsangestellten Gregory Widmer wegen seiner Beteiligung am satirischen Spielfilm fristlos. Heidi lehnt sich im Film gegen eine faschistisch-dystopische Schweiz auf, die von einem Käsemilliardär beherrscht wird und wo die Morgenstern-Miliz in SS-Uniformen die Grenze vor MigrantInnen schützt (siehe WOZ Nr. 28/2017 ).
Kurios daran: Den Film gibt es noch gar nicht. Von dem laut Eigenwerbung «ersten Swissploitation-Film» existiert erst ein überdrehter Trailer, in dem mit Fondue gefoltert und Toblerone in Kehlen gerammt wird, während Max Rüdlinger als Führer deklamiert: «Be Swiss or be dead!» Das ist nicht jedermanns Geschmack, aber die Intention ist klar: Ähnlich wie bei «Iron Sky», an dem ebenfalls Produzent Tero Kaukomaa beteiligt war, soll «Mad Heidi» zuerst als Netzphänomen Aufmerksamkeit generieren, um damit das für die Produktion notwendige Geld zu sammeln. Die bittere Pointe dieser Aufmerksamkeit: Ein zweifacher Vater ist jetzt seinen Job los.
Als Gregory Widmer mit der Arbeit am Drehbuch beginnt, ist der Trailer bereits ein halbes Jahr im Netz. Im März nimmt er sich als Sektorchef Passagierkontrolle am Flughafen drei Wochen unbezahlten Urlaub, um einen ersten Entwurf zu erarbeiten. Ein relativ üblicher Vorgang, wie er meint, handelt es sich beim Kontrollpersonal doch um Sicherheitsangestellte, die häufig noch einer anderen Tätigkeit nachgehen – auch Widmer begann vor dreizehn Jahren mit der Arbeit, um sich parallel dazu die Filmschule zu finanzieren. Und seine filmischen Aktivitäten sind beim Personal bekannt: Sein erstes Projekt, «Züri Zoo», das sich ebenfalls am Exploitation-Genre orientiert, erhält 2011 eine wohlwollende Rezension in der internen Personalzeitung «Sikoflash», die festhält, dass die Flughafenkontrollabteilung an der Premiere «ungefähr ein Drittel des Publikums stellte».
Nachhilfe für den Vorgesetzten
Der Urlaub wird bewilligt, doch als Widmer wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt, wird er sofort vorgeladen und aufgefordert, sich vom Projekt zu distanzieren. Ein so gewaltverherrlichender Film, so eröffnet ihm sein direkter Vorgesetzter, sei mit den Werten der Kantonspolizei Zürich nicht vereinbar. Widmer wird mitgeteilt, er könne ein Gesuch auf bewilligungspflichtige Nebentätigkeit stellen, doch dieses werde mit Sicherheit abgelehnt.
Er tut es trotzdem. Dem Gesuch liegt eine dreieinhalbseitige Kontextualisierung des Genres bei, die klarmachen soll, dass es sich um Satire handelt, dass es dem Autor mit jüdischen und afrobrasilianischen Wurzeln nicht darum gehe, das NS-Regime zu verharmlosen, sondern vielmehr darum, eine Kritik an totalitärem Gedankengut zu üben, und nicht zuletzt, dass die übertriebene Gewalt in diesem Genre als Kritik an der alltäglichen Gewalt in Film und Fernsehen zu verstehen sei. Zudem identifiziere er sich durchaus mit den Werten der Kapo – was ihm auch in einem noch im März 2019 ausgestellten Zwischenzeugnis attestiert wurde. Des Weiteren bietet er an, die Arbeit unter Pseudonym fortzusetzen. Das Gesuch wird wie angekündigt nach wenigen Tagen abgelehnt. Widmer nimmt sich einen Anwalt und ersucht um gütliche Einigung. Noch bevor das Schreiben eintrifft, konfrontiert ihn sein Vorgesetzter mit der Frage, ob er jetzt mit dem Film aufgehört habe. Als Widmer sagt, er wolle eine Lösung für alle Beteiligten, wird er fristlos entlassen mit der Begründung, er habe sich der Anweisung widersetzt.
Zu brutal?
«Ich kann ja nachvollziehen, dass die Materie etwas heikel ist», meint Widmer im Gespräch. «Aber man muss die Bildsprache des Trailers schon sehr naiv für bare Münze nehmen, um darin eine Verherrlichung von Gewalt oder Faschismus zu sehen.» Tatsächlich stellt sich die Frage, ob seine Vorgesetzten überhaupt über die fachlichen Kompetenzen verfügen, den Film richtig zu beurteilen. Die Basler Grundrechtsforscherin Vanessa Rüegger schreibt dazu auf Anfrage: «Die Kunstfreiheit verpflichtet auf jeden Fall dazu, dass sich die Behörden grundsätzlich einer inhaltlichen Beurteilung von künstlerischen Tätigkeiten vorenthalten. Ob sie verpflichtet sind, Fachpersonen für die Interpretation der Kunstwerke einzubeziehen, ist umstritten.»
Mit dieser Frage taten sich Zürcher Polizeikorps in der Vergangenheit immer wieder schwer: zuletzt 2007, als die Stadtpolizei eine Aufführung von Pier Paolo Pasolinis «Die 120 Tage von Sodom» (1975) untersagte, nachdem ein Streifenpolizist der Fachgruppe Milieu- und Sexualdelikte den Film gesichtet und für «zu brutal» befunden hatte. Auf Druck aus Medien und Politik hob die Polizei das Verbot wieder auf und versprach in der Antwort auf eine gemeinderätliche Interpellation, dass der Kulturchef der Stadt Zürich und sein Stab die Stadtpolizei künftig «bei der Beurteilung des kulturellen oder wissenschaftlichen Werts von Aufführungen oder Gegenständen» beraten werde. Daran sollte sich vielleicht auch die Kapo ein Vorbild nehmen. Widmers Fall ist jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Er hat gegen die Kündigung bei der Kantonsregierung rekurriert.