Serie: Schulden tut man immer jemandem irgendetwas
Eine neue Schweizer Serie begeistert rundum: «Tschugger» macht tatsächlich vieles richtig – und funktioniert auch deshalb, weil sie im Wallis spielt.

«Ein guter Tschugger muss einfach auch mal über seine Grenzen gehen», lautet der Slogan des neuen Imagefilms der Kantonspolizei Wallis – gesprochen im breitesten Walliserdeutsch. Gemacht hat den Film der lispelnde Praktikant aus Zürich, genannt «Smetterling», zusammen mit Polizist Pirmin, Schwiegersohn des dickbäuchigen Hauptmanns Biffiger und ambitioniert, dessen Nachfolge anzutreten (aber leider dazu nur mässig begabt, wie bald klar wird). In der polizeiinternen Vorführung des Films sitzen auch Polizistin Gerda, ihr Ex, der Polizist Bax, sowie ihr neuer Teamkollege Frängi, der schon mit allen Polizistinnen vom Posten im Bett war, ausser mit Gerda – bis jetzt.
Kommen Sie noch mit? Wenn nicht, auch egal: Willkommen im Wallis. Hier sind alle miteinander verwandt oder verschwägert, gehen miteinander ins Bett, schulden sich gegenseitig etwas, und eine Hand wäscht die andere.
Dicker Schnauz und Cowboystiefel
Dies erfahren wir gleich zu Beginn der Serie «Tschugger», die von der Shining Film AG, SRF und Sky-TV koproduziert wurde und rund um einen Walliser Polizeiposten spielt. Die Serie kombiniert lokalen Filz und hinterwäldlerische Figuren mit rasanter 1980er-Serienästhetik sowie brillantem, zeitgeistigem Witz – was sie zu etwas vom Besten macht, was in den letzten Jahren in der SRF-Küche entstanden ist. Anders als die jahrelang vom Schweizer Fernsehen produzierten Sonntagabendfilme hat «Tschugger» richtig Drive: Rasant geschnitten und originell erzählt, schrammt die Serie so bewusst wie haarscharf an Peinlichkeiten vorbei – oder stürzt sich lustvoll kopfüber in den Fettnapf.
Sie nimmt sich selbst nicht allzu ernst, wohl aber ihre Figuren, sodass diese nie ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Die Dialoge sind witzig und kommen ungekünstelt daher, und es ist eine Freude, dem umfangreichen Ensemble zuzuschauen, das zu einem grossen Teil aus Lai:innen besteht. Unter ihnen Annalena Miano als ehrgeizige Rapperin Valmira, Arsène Junior Page als ihr dauerbekiffter Möchtegern-Manager Juni oder der CVP-Grossrat Olivier Imboden als Baumogul Fricker. Sie alle sind in einen Drogendeal verwickelt, dem Polizist Bax auf der Spur ist.
Bax ist der furchtlose Held der Serie. Er kommt nicht nur daher wie ein US-Cop aus einer Polizeiserie der achtziger Jahre, mit dickem Schnauz, Jeanshemd und Cowboystiefeln, sondern verhält sich auch so: ein Tschugger, der dauernd über seine Grenzen geht. Für seine Undercoverrecherche spannt er den unerfahrenen Praktikanten Smetterling ein, fügt einem manipulativen Kind auch mal Schmerzen zu, um an die nötigen Infos zu kommen, kifft, um den dealenden Kiffer zu verstehen, und hat trotz abgerissenen Ohrläppchen Sex mit der Ex.
Das mag jetzt alles ziemlich überdreht klingen, aber im Kontext der Serie, in der einerseits alles überspannt, aber andererseits in sich stimmig ist, kommt das völlig locker und fast schon beiläufig daher. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Bax als Erzähler aus dem Off durch die Geschichte führt und man als Zuschauer:in dadurch extrem nah an ihm dran ist: Mit trockenem Humor führt er jeweils die neu auftretenden Figuren ein, erzählt von früheren Ereignissen oder bereitet auf kommendes Ungemach vor.
Schliesslich wird der Walliser Filz von Städter:innen aufgemischt: Dabei landet der Zürcher Polizeipraktikant Smetterling, gespielt vom Journalisten Cedric Schild, im wörtlichen Sinne in der Scheisse. Und die Basler Sängerin Anna Rossinelli als spröde Bundespolizistin überzeugt mit ihren internen Recherchen zu einer Party der Walliser Kolleg:innen im Pfynwald, die offensichtlich aus dem Ruder gelaufen ist.
Die Realität ist noch absurder
Die Geschichte würde überall funktionieren, sagte David Constantin, «Kopf» der Serie, in einem Interview. Er hat in einem Writer’s Room unter der Leitung von Mats Frey (Drehbuchautor der Netflix-Serie «How to Sell Drugs Online (Fast)») nicht nur am Drehbuch mitgeschrieben, sondern ist mit Koregisseur Leandro Russo auch für die Regie zuständig und spielt gleich noch den Protagonisten Bax. Tatsächlich aber lebt die Serie zu einem grossen Teil von der Exotik des Walliser Dialekts. Hinzu kommt, dass im Wallis die Realität teils noch absurder anmutet als in der Serie dargestellt: Ein Journalisten ohrfeigender Bauunternehmer verfügt dort nicht nur über lokale Bauprojekte, sondern auch über den Fussballverein, und von einem Politiker und Gymnasiallehrer ist landesweit bekannt, dass eine Reichskriegsflagge in seinem Keller hängt. Vor diesem Hintergrund wirken die «Tschugger»-Figuren recht lebensnah. Oder wie es im Vorspann der Serie heisst: «Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht immer rein zufällig.»
Ein paar der Figuren waren vor ein paar Jahren schon in der von Constantin produzierten Serie «Tschutter» zu sehen, zum Teil von denselben Schauspielern gespielt. Wie «Tschugger» versammelte auch «Tschutter» einen Haufen liebevoller männlicher Loser. Aus den Möchtegernfussballern wurden nun also Möchtegernpolizisten – und wie schon damals gelingt es dem Team um Constantin, vorgestrig anmutende Männerbilder gnadenlos zu entblössen.
Hauptmann Biffiger übrigens findet nach der Imagefilmvorführung kein gutes Wort für das Produkt. Das Wort «Tschugger» wolle er hier nie mehr hören, und ein guter Polizist wisse, wo seine Grenzen seien, und er gehe nie darüber hinaus. Nie! Doch weil ihm die Drohnenaufnahmen gefallen, die der Zürcher Praktikant gemacht hat, ordnet er an: «Ladet den Film auf dieses Tik Tak.»
«Tschugger» läuft auf SRF 1, SRF 2 sowie auf Play SRF , Play Suisse und Sky.