«Mad Heidi»: Wer hat Angst vor dem Fondue des Grauens?
Zwei Botschafter für die zwielichtigeren Freuden des Schweizer Films: Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein pimpen Johanna Spyris Heidi zur rabiaten Rächerin. Nicht sehr böse, aber recht lustig.
Johannes Hartmann packt gleich mal den Oscar aus, den er tags zuvor gewonnen hat. Massives Metall, matter Glanz, aber sonst sieht die Trophäe aus wie echt. Oder fast, denn dieser Oscar hat als Kopf einen Totenschädel. Oskull heisst er, der falsche Oscar, den Hartmann und sein Koregisseur Sandro Klopfstein gerade vom Fantastic Film Festival in Belgrad mitgebracht haben.
Seit der Weltpremiere von «Mad Heidi» vor bald drei Monaten in Brüssel ist ein halbes Dutzend solcher Preise von Genrefilmfestivals zusammengekommen; auch ein handliches Hackebeil ist darunter, ganz in Schwarz. Passt zur Hellebarde, die Heidi im Film schwingen lernt, bis ausgiebig und sehr fachmännisch Blut und Innereien spritzen. Wir sind hier im Splatterkino, da wird sogar mit Fondue gefoltert. «Swissploitation» heisst das Qualitätslabel, das Hartmann und Klopfstein für ihren Film erfunden haben. Soll heissen: billiges Genrekino der starken Reize, das die Schweiz und ihre marktgängigsten Klischees maximal ausschlachtet.
SRF sponsert Splatter
Mit den beiden Bernern hat der Schweizer Film erstmals seit Erwin C. Dietrich («Die Nichten der Frau Oberst») wieder internationale Botschafter für die zwielichtigeren Freuden des Kinos. Eine direkte Linie sehen sie jedoch nicht, so Hartmann: «Dietrich hat ja vor allem Sexploitation gemacht, da interessiert uns das meiste nicht so.» Über fünf Jahre ist es her, dass er und Klopfstein auf Facebook das erste Poster zu «Mad Heidi» hochluden. Damals gabs noch nicht mal ein Drehbuch, doch ein paar Wochen später hatten sie schon Post von einem Anwalt. Der Film sollte damals noch «Heidiland» heissen, weshalb die gleichnamige Ferienregion postwendend ihre Rechte geltend machte: Geschützte Marke! Umso besser, finden heute auch die beiden Regisseure: «Mad Heidi» ist der knalligere Titel, das wissen sie selber.
Fräulein Rottenmeier heisst jetzt Rottweiler und führt ein Foltercamp.
Hartmann (37) und Klopfstein (41) machen seit fünfzehn Jahren zusammen Filme. Beide sind gelernte Polygrafen, zum Film fanden sie als Autodidakten, über die Musik. «Musikvideos waren unsere Filmschule», sagt Hartmann. Dass sie mit ihrer Idee von einer Splatterheidi in der herkömmlichen Filmförderung wohl nicht sehr weit kommen würden: Kann man sich denken. So spannten sie mit den Produzenten Tero Kaukomaa («Iron Sky») und Valentin Greutert («Bruno Manser») zusammen, die für den Film eine ausgeklügelte Crowdfinanzierung entwickelten. Der Grossteil des Budgets speist sich aus einem Crowdinvestment von 4000 Anteilscheinen à 500 Franken, über die Fans in «Mad Heidi» investieren konnten – die dann auch beteiligt werden, sobald der Film in den ersten sieben Jahren seine Kosten eingespielt hat. Und auch wenn das dem verruchten Image eines Splatterfilms eher abträglich ist: Selbst das Schweizer Fernsehen stieg als Koproduzent ein, mit einer Viertelmillion Franken.
Hommagen und weibliche Follower
Ein Film, der sich selber nicht allzu ernst nehme, aber mit ernsthaftem politischem Kern: So skizzierte das Hartmann vor fünf Jahren in der WOZ. Dieser politische Kern hätte nun getrost etwas grösser, härter, giftiger ausfallen dürfen. Die dystopische Käsenation, die «Mad Heidi» entwirft, ist ein Abziehbild, das niemandem wehtut: Präsident Meili, der mit seinem Käse die ganze Schweiz zombiefizieren will, ist die Karikatur eines schmierigen Oberschurken (Casper Van Dien aus «Starship Troopers»). Daneben gibts aber schon auch schärfere Spitzen: etwa das gutschweizerische Propagandavideo im schäbigen Look, das dazu anstiftet, laktoseintolerante Subjekte zu denunzieren. Oder Matto Kämpf, der als Schweizermacher im staubigen Kämmerlein jedes Einbürgerungsgesuch ablehnt, ehe er sich auf Befehl von oben wie ein übermenschlicher Uristier in die Rüstung des «Neutralisators» wirft.
Schön auch, wie der Film mit den Motiven aus dem Roman von Johanna Spyri umspringt. Am Anfang liegt Heidi (Alice Lucy) noch blutt im Stroh, zusammen mit ihrem afroamerikanischen Badass-Geissenpeter (Kel Matsena). Doch weil dieser illegal seinen eigenen Geissenkäse vertickt, steht er im Visier von Meilis Sturmtruppen – und deren Anführer, der sadistische Kommandant Knorr (Max Rüdlinger), bläst dem Geissenpeter bald den Kopf weg. Heidi wiederum landet dann bei Fräulein Rottenmeier in Frankfurt. Oder fast: «Bei ihr haben wir den Namen ein wenig verschärft», sagt Klopfstein, «– und den Beruf.» Das Fräulein heisst jetzt Rottweiler und führt ein Foltercamp.
Spätestens hier sieht man, dass es Hartmann und Klopfstein vor allem auch darum ging, möglichst viele Hommagen an geliebte Genres in ihrem Film unterzubringen: das einschlägige Subgenre der Frauengefängnisfilme, aber auch Blaxploitation- oder Female-Revenge-Filme wie «Lady Snowblood». Auch dank solcher Vorbilder erreicht «Mad Heidi» beim Personal mühelos einen Grad von Diversität, wie man das im gediegenen Mainstream nie zu sehen bekommt. Wobei das trotz vieler markanter Frauenfiguren (Mutter Helvetia als grüne Fee!) offenbar doch ein ausgesprochener Jungsfilm bleibt. Bei Frauen komme «Mad Heidi» zwar genauso gut an, aber der Männeranteil im Publikum sei sehr hoch, räumt Hartmann ein: «Zu Beginn waren 98 Prozent unserer Follower männlich, inzwischen sinds etwa 20 Prozent Frauen – ähnlich wie bei Metalfestivals».
«Mad Heidi». Regie: Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein. Schweiz 2022. Jetzt im Kino, ab 8. Dezember 2022 online auf www.madheidi.com.