Durch den Monat mit Nadine Wietlisbach (Teil 3): Was ist ungewöhnlich an Ihrem Lebenslauf?
Mehr Freiräume als in den grossen Städten: Nadine Wietlisbach, Direktorin des Fotomuseums Winterthur, über Randzonen und den Snobismus des Kunstbetriebs.
WOZ: Frau Wietlisbach, Ihre bisherigen Arbeitsstationen – Stans, Luzern, Biel, Winterthur – waren alles Orte in der Peripherie. Ein Zufall?
Nadine Wietlisbach: Es war nicht so geplant, aber es hat viel mit Orten zu tun, wo die Freiräume noch nicht komplett ausgefüllt sind. Irgendwie habe ich es immer wieder geschafft oder die Möglichkeit gekriegt, solche Freiräume aufzutun. Das muss man wollen.
Funktionieren denn die Freiräume in Zürich oder Basel anders?
Ich weiss nicht, ob ich mit der gleichen Ausdauer einen unabhängigen Kunstraum in Zürich hätte leiten können. Mir scheint, das wäre in der Grossstadt kaum auf die gleiche Art und Weise möglich gewesen wie in Luzern. Es war mir zum Beispiel wichtig, dass das ganze Quartier Teil eines solchen Projekts wird. Man will ja auch nicht unentdeckt vor sich hinarbeiten. Das bedeutet für mich letztlich Peripherie: ein unglaubliches Potenzial. Man kann dort neue Sachen initiieren. Aber auch mein eher untypischer Lebenslauf spielte eine Rolle.
Was ist ungewöhnlich an Ihrem Lebenslauf?
Während ich zuerst alleine den Kunstraum sic! in Luzern betrieben habe, wollte ich ins Kunstmuseum Luzern, weil mich interessierte, wie die Sammlung dort funktioniert. Also habe ich mich für die Stelle als Praktikantin beworben. Dann haben sie mich angerufen und mir gesagt, sie könnten mich nicht nehmen, weil sie nur Leute einstellen, die Kunstgeschichte studiert hätten.
Und das hat Sie nicht geärgert?
Mir hat das geholfen. Ich hatte zwar den Nachteil eines nicht so klaren Lebenslaufs, mit dem ich gewisse Kriterien des etablierten Kunstbetriebs nicht erfülle. Aber gleichzeitig öffnete mir das eben Freiräume.
Nach so viel Lob für die Peripherie: Gibt es auch negative Aspekte?
Man muss extrem viel investieren, damit es eine Sichtbarkeit gibt. Und es ist halt einfach nicht sexy. Wenigstens in der Wahrnehmung der Leute von aussen. Ich habe ja auch schon in Chicago und Südafrika gearbeitet. Aber halt auch dort nicht in den grossen Institutionen. Ich wollte selber Sachen anreissen und mir nicht alles vorkauen lassen. Das war an diesen Orten möglich. Zu den grossen Häusern mit ihren hierarchischen Strukturen blieb mir dagegen der Zugang verwehrt.
Hätte es Sie denn gereizt, in einem grossen Kunsthaus zu arbeiten?
Heute denke ich, dass ich viel zu ungeduldig dafür gewesen wäre. Mir hätte es dort schnell ausgehängt. Vielleicht habe ich es mir auch einfach gemacht, denn ich hätte das Studium ja nachholen können. Aber ich fand es schlüssiger, mir vieles autodidaktisch beizubringen, eine kritische Betrachtungsweise schult man auch direkt bei der Arbeit.
Jetzt sind Sie in Winterthur. Wie sehr muss man als Direktorin des Fotomuseums an Winterthur denken, wie sehr muss man Winterthur aber auch ignorieren, um ein gutes Programm zu machen?
Man muss sein Herz in Winterthur haben und den Kopf draussen in der Welt. Wenn dort eine Verbindung hergestellt werden kann, ist das gut. Man muss sich aber auch unbedingt ernsthaft mit dem konkreten Ort auseinandersetzen, um zu spüren, was dort abgeht. Nur so kann man ein internationales Programm auch auf den Boden kommen lassen.
Das heisst, die Sorge um das Lokale muss gar nicht im Widerspruch zum internationalen Anspruch stehen?
Es gibt Ausstellungen, Publikationen, die Website, den Blog. Es gibt all diese Formate. Und dann gibt es eine Vermittlungsebene. Mir ist es ein Anliegen, dass jedes Kind aus Töss während seiner Schulzeit einmal im Fotomuseum gewesen ist. Wir können Aussagen darüber machen, was das Bild in der heutigen Gesellschaft bedeutet und wie sich die Fotografie verändert. Ich will, dass im Fotomuseum eine solche kritische Reflexion in aller Offenheit stattfinden kann – und zwar für alle. Im Programm, das wir am Ende machen, gibt es aber auch Sachen, von denen ich genau weiss: Das findet eine Journalistin der «New York Times» interessanter als der Journalist vom «Landboten». Aber das ist ja auch okay.
Was sagen Sie als Peripheriekennerin zum neuen «Muzeum» der Milliardärin Grazyna Kulczyk im bündnerischen Susch, das Anfang des Jahres mit einer international beachteten Ausstellung zu Frauen in der Kunst eröffnete?
Die Themenwahl dieser ersten Ausstellung ist durchaus schlüssig. Als Sammlerin hat Kulczyk viel Kunst von Frauen gesammelt. Es ist gut, dass es einen neuen Ort dafür gibt. Gleichzeitig frage ich mich, warum sie nicht mehr daran interessiert ist, das gesamte Berggebiet, wo sie ihr Museum ja aufgebaut hat, miteinzubeziehen. Die Texte, die das Muzeum publiziert, sind in Englisch. Das bedeutet, dass die Leute, die dort wohnen, kaum einen Zugang zu dieser Ausstellung finden werden. Diese Demonstration von Macht und finanziellen Ressourcen in einem solchen Gebiet hat etwas Altbackenes. Wenn am Ende einfach die Kunstbubble anreist, dann wirkt das feudalherrschermässig. Das hat mich gestört.
Bevor Nadine Wietlisbach (36) nach Winterthur kam, war sie Kuratorin am Nidwaldner Museum in Stans, hat den Luzerner Kunstraum sic! aufgebaut und das Photoforum Pasquart geleitet.