Zentralbanken und Klimawandel: Angst vor dem «Minsky-Moment»
Grosse Zentralbanken schlagen Alarm: Die Erderhitzung bedrohe die Finanzmarktstabilität, Bankenpleiten und Firmenzusammenbrüche sind nicht ausgeschlossen. Finanzprofessor Stefano Battiston bemängelt, dass die vorgeschlagenen Massnahmen ungenügend seien – das betrifft auch die Schweizerische Nationalbank.
«Der Übergang in eine grüne Wirtschaft ist entscheidend für unser eigenes Überleben.» Diese Worte stammen nicht von einem Klimademonstranten, sondern von Frank Elderson, dem Chef der niederländischen Zentralbank und Vorsitzenden des Network for Greening the Financial System (NGFS). Dieses Netzwerk ist ein Zusammenschluss von Nationalbanken und Finanzmarkt-Aufsichtsbehörden aus rund dreissig Staaten, darunter Grossbritannien, Frankreich und China. Seit Mitte April gehören dem Gremium auch die Schweizerische Nationalbank und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht an.
Eldersons Aussage steht am Anfang eines Berichts, der im April veröffentlicht wurde. Manche sehen im Bericht eine Zeitenwende: Mächtige ZentralbankerInnen anerkennen nicht nur die Gefahr der Erderhitzung, sondern warnen auch vor den Auswirkungen auf die Stabilität der Finanzmärkte. «Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, hätte ich nicht geglaubt, dass je so ein Bericht veröffentlicht wird», sagt Stefano Battiston, Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Zürich. Er ist Direktor des universitären Zentrums für finanzielle Netzwerke und Nachhaltigkeit (Finexus), das Analysen zu finanziellen Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel herstellt.
Die heutigen Modelle versagen
Grob sind es zwei Grundgefahren, die das NGFS für die weltweite Wirtschaft und speziell auch für die Finanzindustrie ausmacht. Einerseits sind mit der Erderhitzung grosse Umweltschäden absehbar: Überschwemmungen, schwere Stürme und Hitzewellen zerstören Eigentum und verletzen oder töten Menschen. Das kann Versicherungen stark treffen wie auch Banken, deren Firmenkunden aufgrund von Katastrophen Schulden nicht mehr bedienen können oder gar bankrottgehen. Eine zweite, kaum voraussehbare Gefahr besteht für die Finanzindustrie beim Übergang von der heutigen, auf fossilen Energien basierenden Wirtschaft zu einer nachhaltigen.
Denn was es bedeutet, wenn gigantische Investitionen in die fossile Industrie plötzlich wertlos werden – weil Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben müssen –, lässt sich mit keinem der heutigen makroökonomischen Modelle wirklich voraussehen. Der NGFS-Bericht geht von Verlusten von ein bis vier Billionen US-Dollar allein im Energiesektor aus. Gesamtwirtschaftlich könnten die Verluste gar zwanzig Billionen betragen.
Die VerfasserInnen des Berichts anerkennen, dass der Übergang in eine grüne Wirtschaft eilt. Sie zitieren den Uno-Klimarat, der zum Schluss kam, dass die CO2-Emissionen in den nächsten zehn Jahren um 45 Prozent sinken müssen. Doch genau diese nötige Dringlichkeit macht den ZentralbankerInnen auch besonders Sorgen. So fordern sie gleichzeitig einen «sanften Übergang», weil die Auswirkungen kaum vorhersehbar sind. Es drohe ein «Minsky-Moment» – damit ist eine Art Kettenreaktion gemeint, bei der etwa die Aktienkurse innert kürzester Zeit zusammenbrechen.
«Derzeit sind die Zusagen der Regierungen, den CO2-Ausstoss stark zu senken, nicht in den Preisen miteinberechnet», erklärt Battiston: So würden viele Banken und Anlegerinnen immer noch davon ausgehen, dass alles so bleibe, wie es sei. Dementsprechend sind viele Aktien viel zu hoch bewertet. Kippt die Stimmung, wollen alle gleichzeitig verkaufen, und die Kurse fallen ins Bodenlose.
Empfehlungen ungenügend
Der Bericht des NGFS gibt den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden konkrete Empfehlungen, wie sie mit der skizzierten Herausforderung umgehen sollen. So sollen einzelne Banken und Versicherungen direkt angesprochen werden, ob sie die Risiken der Erderhitzung wirklich auch verstanden hätten. Zudem sollen die Risiken auch in die Krisensimulationen – die Stresstests – integriert werden. Und die Zentralbanken werden aufgefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen und ihr Geld vermehrt in Aktien und Obligationen von nachhaltigen Unternehmen zu stecken.
Ausserdem sollen die Zentralbanken und Überwachungsbehörden künftig klimarelevante Daten der Unternehmen erheben, um abschätzen zu können, wie stark Finanzakteure in die fossile Industrie investiert sind, aber auch, wie sehr sie die grüne Wirtschaft unterstützen.
Stefano Battiston kritisiert viele dieser Empfehlungen als ungenügend. So gehe die blosse Aufforderung an die Zentralbanken, die Datenerhebung zu verbessern, zu wenig weit. «Es braucht eine öffentliche Einrichtung, die die Daten zusammenführt und für deren Zuverlässigkeit besorgt ist», sagt er. Nur so könnten Risiken wirklich abgeschätzt werden. Derzeit herrsche, was das angehe, eine grosse Lücke.
Generell kritisiert Battiston die Selbstbezogenheit der ZentralbankerInnen bei ihren Empfehlungen: Es brauche eine viel breitere Diskussion darüber, wie die Finanzmärkte auf die Bedrohung der Erderhitzung neu ausgerichtet werden müssten. «Wissenschaftler, die an Themen der Nachhaltigkeit arbeiten, wie auch die Zivilgesellschaft müssen einbezogen werden», fordert er. Schliesslich trage die ganze Gesellschaft die Risiken. Letztlich müsse es bei dieser Diskussion um die ganz grundlegende Frage gehen, in was für einer Welt wir in Zukunft leben und wie viel wir konsumieren wollen.
Schweizerische Nationalbank : Aktienkauf per Staubsauger
Da hat sie die Kurve gerade noch gekriegt: Unmittelbar nachdem das Network for Greening the Financial System (NGFS) seinen Bericht veröffentlicht hat, ist auch die Schweizerische Nationalbank (zusammen mit der Finanzmarktaufsicht) dem Netzwerk beigetreten. Ivo Mugglin, Finanzexperte der Umweltorganisation WWF, ist über diesen Schritt erfreut. Er sei wohl nicht zuletzt dank intensivem Lobbying von ParlamentarierInnen und Umweltorganisationen erfolgt. Immer wieder musste sich die SNB in den letzten Jahren rechtfertigen, weil sie sich um das Thema Erderhitzung foutierte.
Jetzt erhofft sich Mugglin von der SNB einen Kurswechsel und eine rasche Umsetzung der NGFS-Empfehlungen. Die Führung habe bislang einen «einseitigen Ansatz» verfolgt. Der Klimawandel sei nicht als allgemeine Gefahr angesehen worden, sondern höchstens als Herausforderung für einzelne Teilbereiche. Es brauche jetzt ein klares Signal von der SNB, dass der Finanzplatz «vorwärtsmachen» müsse. Laut einer Studie des Bundesamts für Umwelt trägt der Schweizer Finanzplatz dazu bei, dass die Erderwärmung vier bis sechs Grad Celsius betragen könnte.
Die SNB wollte auf Anfrage nicht konkret Stellung nehmen, was sie bislang schon getan hat, um die Risiken des Klimawandels für den Finanzplatz Schweiz zu minimieren. Die Bank erhofft sich vom Beitritt zum NGFS «vermehrte Kenntnisse über die Auswirkungen von Klimarisiken auf die Makroökonomie und die Finanzstabilität». Man nehme das Thema Klimawandel «ernst». Bei ihren Anlagen berücksichtige die SNB die «Umweltthematik». So würden Unternehmen ausgeschlossen, die «systematisch gravierende Umweltschäden» verursachten.
Diese Aussage ist allerdings schönfärberisch: Die SNB verhält sich beim Aktienkauf eher wie ein Staubsauger. «Passives Anlegen» heisst das in der Fachsprache. So zeigt eine Aufstellung der US-Börsenaufsicht SEC, die die Westschweizer Umweltorganisation Artisans de la transition 2016 ausgewertet hatte, dass die SNB allein im US-Aktienmarkt mit über sechs Milliarden US-Dollar in Öl-, Gas- und Kohleunternehmen investiert ist. Damit trägt sie laut der Studie zu einem CO2-Ausstoss bei, der gleich hoch ist wie derjenige der ganzen Schweiz. Allein vom Ölkonzern Exxon hält die SNB Aktien im Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar (Stand Oktober 2018). Exxon weiss seit den siebziger Jahren von der Klimaschädlichkeit der CO2-Abgase. Dennoch finanzierte das Unternehmen während Jahrzehnten Klimaleugner, die das Gegenteil behaupteten.
Der NGFS-Bericht empfiehlt den Nationalbanken, bei ihren Anlagen «mit gutem Beispiel voranzugehen» und nachhaltige Anlagen zu berücksichtigen. Bislang sieht es nicht danach aus, als ob die SNB diese Empfehlung auch umsetzen würde.
Daniel Stern