Klybeckareal in Basel: Quartier der Zukunft, Dreck der Vergangenheit

Nr. 27 –

Kaum ein Stadtentwicklungsprojekt wird Basel derart prägen wie das auf den einstigen Arealen der Pharmaindustrie. Obwohl ein Gutachten zeigt, dass die Belastung mit Chemikalien grösser sein könnte als gedacht, haben Grossinvestoren die ganze Fläche gekauft.

Noch 2000 Chemikalien im Boden? Ehemaliges Produktionsgebäude der chemischen Industrie im Klybeckareal. Foto: Georgios Kefalas, Keystone

In Basels Norden soll auf Industriearealen von 300 000 Quadratmetern ein neues Quartier entstehen. Von links wurde gefordert, dass der Stadtkanton den Pharmafirmen die Mammutfläche abkauft. Bereits im Mai erhielt die Immobilienfirma Central Real Estate Basel AG, mit Investorengeldern von Pensionskassen und Versicherungen, den Zuschlag für mehr als die Hälfte der Fläche – die rot-grüne Regierung hatte dafür noch nicht mal ein Angebot gemacht. Seit Dienstag ist bekannt: Den Rest kauft Swisslife.

Doch seit kurzem diskutiert Basel nicht nur über Stadtentwicklung, sondern auch über die Kampfstoffe Senfgas, Nitrosenfgas und krebserregende Stoffe wie Benzidin. «Ich hätte das Areal nicht gekauft; ich hätte mich dafür bezahlen lassen, dass ichs nehme», sagt der Altlastenexperte Martin Forter. Der Geschäftsleiter der ÄrztInnen für Umweltschutz (AefU) hat in einem achtzigseitigen Gutachten öffentliche und interne Quellen ausgewertet und eine Liste der Stoffe erstellt, die zwischen 1864 und 1982 auf den Arealen der Vorgängerfirmen von Novartis und BASF hergestellt, verarbeitet, umgeschlagen oder in den Rhein gekippt wurden.

«In historischen Zeiten»

Rund 2000 Chemikalien könnten demnach noch im Boden liegen. Forter hat ausgewertet, was man weiss. Und kommt zum Schluss, dass man vieles nicht weiss: Nie sei systematisch nach allen Stoffen gesucht worden. «In den meisten Produktionslokalen» sei ein «Wochenvorrat der benötigten Chemikalien oder Lösungsmittel gelagert» worden, «in historischen Zeiten» in hölzernen «Fässern/Gebinden vor dem Lokal», zitiert Forters Gutachten eine historische Untersuchung, die die Pharmafirmen vor knapp zwanzig Jahren erstellten.

Auch im neuen Jahrtausend hat man wohl nicht alle möglichen Vorsichtsmassnahmen getroffen: Peter Donath, bis 2004 Umweltmanager der Pharmafirma Ciba SC und davor über dreissig Jahre für deren Vorgängerfirma Ciba-Geigy tätig, lobt die «sehr realistischen» Recherchen von Forter. Von den Angestellten auf dem am stärksten kontaminierten Areal habe zu seiner Zeit «keiner behaupten können, dass nichts rausgelaufen oder versickert ist». Forters Gutachten mündet auch in Vorwürfen an die Behörden: Das kantonale Amt für Umwelt und Energie (AUE) habe die Altlastenverordnung «nicht wirklich umgesetzt». So wurde etwa auf einem der Areale von 2008 bis 2014 der geltende Grenzwert des krebserregenden Chrom VI überschritten. Weiter habe das Amt jahrelang toleriert, dass die Pharmafirmen nicht dort Proben entnehmen, wo die Verschmutzung womöglich am höchsten ist, sondern nur an der Arealgrenze.

Matthias Nabholz, Leiter des AUE, weist diese Vorwürfe zurück. Regelmässig werde auch innerhalb der Areale untersucht. Als die Chrom-VI-Grenzwertüberschreitung festgestellt worden sei, habe das Amt von den Firmen Abklärungen verlangt. «Eher per Zufall» sei nach einer «langwierigen Suche» die Ursache gefunden worden: eine defekte Dachwasserableitung im Innern eines Gebäudes. Daraus sei «Niederschlagswasser direkt in den belasteten Untergrund versickert und hat dort zu Auswaschungen geführt». Nachdem diese repariert worden sei, seien «die Chrom-VI-Werte im Grundwasser sofort gesunken». Zwei multinationale Unternehmen und die Kantonsbehörden brauchten also mehrere Jahre, um einen kaputten Dachkännel zu finden.

Es ist aber nicht die Verschmutzung auf den ehemaligen Industriearealen, die Forter am meisten beschäftigt. «Ich hielt es schlicht für unvorstellbar, dass auch auf öffentlichem Grund Chemiemüll vergraben ist», sagt er. Doch gemäss einem Plan von Ciba-Geigy von 1988 könnte sich auch unter der Strasse, die dem Rhein entlang ins Quartier führt, Chemieschlamm befinden – womöglich gar unter einem Kinderspielplatz.

Unter dem Spielplatz liege «wohl kaum» Chemieschlamm, meint dagegen Nabholz. Und neben dem Spielplatz sei es «möglich, aber unwahrscheinlich». Ausschliessen kann er manches nicht – auch nicht das Vorhandensein der Kampfstoffe Senfgas oder Nitrosenfgas. «Für die Umwelt wäre es das Beste, das ganze Klybeck abzutragen und neu aufzuschütten.» Aber das sei natürlich keine Option. Das Quartier sei eines der bestuntersuchten der Schweiz, und die Unternehmen hätten die Areale «im Hinblick auf die langfristige Zukunftsplanung freiwillig» zusätzlich untersuchen lassen.

Solange nicht gebaut werde, bestehe nirgends im Klybeck Gefahr für Mensch und Tier. Obwohl Nabholz Forters Erkenntnisse bestreitet, will er sich – wie auch die Pharmafirmen und Central Real Estate – gegenwärtig nicht zur Qualität des Gutachtens äussern.

Hat Basel-Stadt nicht gekauft, weil das Areal zum Milliardengrab werden könnte? Gemäss Forter, der eine spekulative Schätzung wagt, könnte die Sanierung eine Milliarde Franken kosten. Swisslife sieht das anders. «Eine Sanierung ist nach heutigem Wissensstand nicht erforderlich», teilt eine Sprecherin mit. Hat Forter recht, wird es für Central Real Estate und Swisslife schwieriger, die angestrebte Rendite zu erreichen. Hat Swisslife recht, erscheint es noch verantwortungsloser, dass der Kanton Basel-Stadt nicht gekauft hat.

Nachhaltige Entwicklung?

Deshalb könnte das Gutachten die Stadtentwicklungsdebatte noch verschärfen. Auf den frei werdenden Arealen zwischen Innenstadt und dem heutigen Klybeck sollen dereinst Zehntausende Menschen leben und arbeiten. Mehr als die Hälfte der heutigen Klybeck-BewohnerInnen haben keinen Schweizer Pass; und nirgends in der Stadt ist der Anteil an SozialhilfeempfängerInnen höher. Wie soll da ein komplett neues Quartier, inklusive S-Bahn-Station, nicht die Verdrängung antreiben?

Seit über zwei Jahren engagiert sich der Verein Zukunft Klybeck in der «Stadtentwicklung von unten», organisiert Beteiligungsveranstaltungen, befragt BewohnerInnen und kreiert Visionen des Quartiers. «Egal ob links oder bürgerlich: Die Grundanliegen sind dieselben», sagt Mitgründer Christoph Moerikofer. Vesna Petrovic, Zukunft-Klybeck-Aktivistin, spricht die wiederkehrenden Wünsche aus: «Soziale Durchmischung, wenig Verkehr und viel Grün.» Damit die Umsetzung nicht dem Goodwill der Investoren überlassen bleibt, lanciert der Verein mit Leuten von BastA!, SP und Grünen eine Volksinitiative: Für «Basel baut Zukunft» soll ab August gesammelt werden, gegenwärtig prüft sie die Staatskanzlei. Die Initiative fordert «zukunftsweisende Lösungen», die sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig sind. «Wir wollen ein Quartier, das faktisch umsetzt, wozu sich Basel mit dem Klimanotstand symbolisch verpflichtet hat», sagt Petrovic. Zudem soll mindestens die Hälfte der Fläche gemeinnützig bewirtschaftet werden.

Wie verändert sich die Ausgangslage durch das AefU-Gutachten? «Das kann alles verzögern», sagt Moerikofer. «Je schneller die Belastung durch Giftstoffe von unabhängiger Stelle geprüft wird, desto besser.» Bevor politischer Druck dafür sorgen kann, dass das Quartier der Zukunft sozial und ökologisch wird, muss sich Basel um den Dreck der Vergangenheit kümmern.