Konflikt in Kamerun: Verhandlungen am Horizont?

Nr. 27 –

Weit über eine halbe Million Menschen mussten bereits vor den Kämpfen im Südwesten Kameruns fliehen, fast 2000 wurden getötet. Der Menschenrechtsanwalt Felix Agbor Nkongho sucht in Europa Rückhalt für eine politische Lösung – die Schweiz signalisiert Unterstützungswillen.

Die Polizei setzt Tränengas und Wasserwerfer ein gegen kamerunische DemonstrantInnen vor dem Uno-Sitz in Genf (29. Juni). Foto: Martial Trezzini, Keystone

«Paul Biya – Mörder!», so lautete einer der Slogans, die am letzten Samstag vor dem Hotel Intercontinental in Genf immer wieder gerufen wurden. Etwa 250 DemonstrantInnen waren gekommen, um im Angesicht von Tränengas und Wasserwerfern gegen den 86-jährigen Langzeitherrscher Kameruns zu protestieren. Seit 1982 ist Paul Biya Präsident des zentralafrikanischen Landes, und schon länger gibt es in Genf immer wieder Proteste vor dem «Intercontinental». Biya hält sich sehr oft dort auf. Er verbringe mehr Zeit in Genf als in Kamerun, wird ihm vorgeworfen.

Am Mittwoch vergangener Woche hatten seine Sicherheitsleute einen Journalisten des Westschweizer Radios RTS massiv bedrängt, als er eine Auseinandersetzung zwischen ihnen und einer Handvoll Protestierenden filmte. Die Aufnahmen landeten trotzdem im Internet und sorgten für eine Welle der Empörung. Ein Zwischenfall zu einem delikaten Zeitpunkt, denn just tags darauf verkündete das Aussendepartement des Bundes (EDA), dass es in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Südwesten Kameruns zu vermitteln versuche.

Dialog im Keim erstickt

Zwei Wochen zuvor: Felix Agbor Nkongho empfängt die WOZ in einem kleinen Hinterzimmer der Heiliggeistkirche in Bern. Als Anwalt mit Spezialisierung auf Konfliktprävention hat der 48-jährige Kameruner in der Vergangenheit unter anderem beim internationalen Strafgericht für Sierra Leone mitgewirkt. Für die Uno war er als Menschenrechtsberater in Afghanistan. Diesmal ist er aber für sein Herkunftsland unterwegs, und sein Weg führte ihn unter anderem bereits nach Brüssel, wo er mit einer Delegation beim Präsidenten der EU-Kommission vorsprach. An diesem Tag berichtet er in der Heiliggeistkirche als Hauptredner eines Podiums über die verfahrene Situation in Kamerun. «Ich bin offen für alles, was Frieden und Gerechtigkeit bringt», sagt Nkongho.

Der Konflikt im Südwesten Kameruns, für dessen friedliche Lösung Nkongho Unterstützung sucht, hat in den letzten zwanzig Monaten bereits über 1850 Tote gefordert. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen separatistischen Kräften der anglofonen Landesteile und Regierungstruppen mussten rund 530 000 Menschen ihren Wohnort verlassen. Zehntausende flohen aus dem Land. Die nichtstaatliche Organisation Norwegian Refugee Council hat den kamerunischen Konflikt angesichts der riesigen Fluchtbewegungen und der herrschenden Brutalität an die Spitze ihrer Jahresliste der weltweit am meisten vernachlässigten Vertreibungskrisen gesetzt.

Der Konflikt widerspiegelt das koloniale Erbe Kameruns, wird er doch hauptsächlich entlang der Amtssprachengrenzen ausgefochten: zwischen den französischsprachigen Landesteilen, in denen etwa achtzig Prozent der KamerunerInnen leben, und den anglofonen Regionen mit etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung. Dabei gilt Kamerun mit über 200 verschiedenen Sprachen als eine der vielfältigsten Sprachregionen der Welt. Felix Nkongho will sich deshalb nicht zu sehr in der Vergangenheit verlieren. «Natürlich hat uns die Kolonialgeschichte in diese Situation manövriert», sagt er, «aber ich mag es nicht, wenn wir uns zu stark daran binden lassen.» Stattdessen verweist er auf die riesige Diversität des Landes, die eigentlich als Stärke zu verstehen sei. Das könne jedoch nur in einer Gesellschaft funktionieren, die auf Gleichheit und Gerechtigkeit basiere: «Die Marginalisierung der anglofonen Regionen und ihrer Bevölkerung muss endlich ein Ende haben.» Nkongho gehörte als treibende Kraft einem Zusammenschluss von LehrerInnen und AnwältInnen an, die 2016 in einen Proteststreik traten: dem Cameroon Anglophone Civil Society Consortium (CACSC). Sie sahen sich wirtschaftlich und sprachlich von den französischsprachigen Regionen und der Zentralregierung unterdrückt und forderten mehr Gestaltungsspielraum für die englischsprachigen Gebiete.

Das CACSC habe im Dialog mit der Regierung eine Lösung für die anschwellende Unzufriedenheit aushandeln wollen, erklärt Nkongho. Die Regierung hingegen verhaftete kurzerhand die wichtigsten Persönlichkeiten der Bewegung. So auch Felix Nkongho, der im Januar 2017 fast ein Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis sass. «Während ich inhaftiert war, radikalisierte die repressive Strategie des Regimes viele anglofone Kameruner. Einige griffen in dieser Zeit zu den Waffen, um zu kämpfen und um sich selbst zu verteidigen», sagt er. Mittlerweile werden sowohl Regierungstruppen wie anglofonen Milizen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Internationaler Druck

Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielten die VerfechterInnen eines unabhängigen Staates Ambazonien, der im Herbst 2017 von der SeparatistInnenbewegung ausgerufen wurde. Als stärkste – oder zumindest lauteste – Fraktion versuchen sie, die Unabhängigkeit militärisch zu erlangen. «Die meisten Menschen in der Region wünschen sich zwar eine Abspaltung, aber nicht um jeden Preis», glaubt hingegen Felix Nkongho. «Auch ich persönlich stehe deshalb für die Idee einer Föderation ein und bin bereit, einen Schritt auf die Regierung zuzumachen.» Selbst bei den SeparatistInnen wären viele dazu bereit, ist er überzeugt, «aber dafür braucht es Konzessionen vonseiten des Regimes». Um noch eine politische Lösung des militärischen Konflikts zu ermöglichen, sei deshalb internationaler Druck nötig.

Zuletzt haben sich offizielle US-Stellen kritisch gegenüber der kamerunischen Regierung und ihrem Vorgehen geäussert. Das könnte durchaus ins Gewicht fallen, denn die nationalen Streitkräfte wurden für den Kampf im Norden des Landes gegen die islamistische Boko Haram mit US-Waffen ausgerüstet – Waffen, die nun auch gegen die separatistischen Gruppen zum Einsatz kommen. Zudem haben etwa Deutschland, Grossbritannien und Kanada die Gewaltakte verurteilt, und selbst Frankreich, das enge Beziehungen zur Regierung Biyas pflegt, hat eine politische Lösung gefordert.

Nun zeigt die Medienmitteilung des EDA vom 27. Juni, dass sich auch die Schweiz um eine Lösung im Konflikt bemüht. Bei einem Treffen Ende Juni hätten sich verschiedene kamerunische Oppositionsgruppierungen in der Schweiz getroffen, um die zukünftigen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition vorzubereiten. Bereits Ende letzten Jahres habe das EDA erste Anfragen der Parteien erhalten, und es vermittle nun im Auftrag verschiedener Konfliktparteien, teilt das Aussendepartement auf Nachfrage mit. Weitere Auskünfte – etwa über geplante Inhalte der Verhandlungen oder teilnehmende Gruppen – gebe es aus Diskretionsgründen aber derzeit keine.

Die Vermittlungsbemühungen sind ein wichtiger Schritt. Doch damit diese erfolgreich sein können, braucht es laut Nkongho den Willen der Konfliktparteien: «Die Lösung als solche können wir nicht an Dritte auslagern – diese muss von den Menschen in Kamerun selber kommen.»