Kommentar: Klimakiller Massentourismus
Das Geschäft mit dem Reisen hat aberwitzige Dimensionen erreicht – und zerstört ungebremst städtischen Raum und die Umwelt.
Um ein Haar wäre es zum Crash gekommen: Videoaufnahmen zeigen das Kreuzfahrtschiff Costa Deliziosa, wie es am Sonntag in Venedig während eines Unwetters gefährlich nahe am Pier und einer Jacht vorbeischrammt. Im Hintergrund sind wütende AnwohnerInnen zu hören, die das Manöver beobachten. «Verbrecher!», ruft jemand in Richtung des imposanten Schiffs, das Platz für bis zu 2800 Personen bietet.
Die Empörung der VenezianerInnen kommt nicht von ungefähr. Schon Anfang Juni waren bei einem ähnlichen Vorfall vier Personen verletzt worden. Das klingt zwar noch glimpflich, ändert aber nichts daran, dass der Massentourismus für Venedig längst eine Katastrophe geworden ist: In Spitzenzeiten sind täglich 130 000 BesucherInnen in der Stadt unterwegs, was einen normalen Alltag für die AnwohnerInnen unmöglich macht. Ähnlich sieht es in anderen beliebten Orten Europas aus.
An der boomenden Kreuzfahrtbranche zeigen sich die negativen Folgen des Tourismus besonders krass. Finanziell profitieren die Städte, in denen die Schiffe anlegen, kaum von den sich durch die Strassen zwängenden BesucherInnen: Diese bleiben meist nur ein paar Stunden. Zugleich aber werden die BewohnerInnen aus dem öffentlichen Raum verdrängt, und es bleiben Unmengen an Müll zurück.
Wer abkassiert, sind die Reiseunternehmen. Und auch bei den von den Schiffen verursachten Umweltschäden gilt: Während die Profite in private Hände wandern, werden die Kosten sozialisiert. Eine Studie des deutschen Naturschutzbunds ergab 2018, dass fast alle der 76 untersuchten Schiffe – der globale Flottenbestand liegt bei mehreren Hundert – schwimmende Dreckschleudern sind, da sie Schweröl verbrennen.
Egal nun aber, ob es um Kreuzfahrten, Pauschaltourismus, Rucksackreisen oder die Städtetrips Bildungsbeflissener geht: Der Massentourismus hat irrwitzige Dimensionen erreicht. Zählt man die damit zusammenhängenden Branchen hinzu – etwa das Transport- und Hotelwesen –, ist das Geschäft mit dem Reisen Schätzungen zufolge der weltweit grösste Wirtschaftszweig, bedeutender noch als die Öl- oder Autoindustrie. Die damit verbundenen ökologischen und sozialen Kosten sind enorm. Dennoch ist das Thema in der öffentlichen Debatte unterrepräsentiert, zumal Prognosen davon ausgehen, dass 2030 weltweit 1,8 Milliarden TouristInnen unterwegs sein könnten – fast dreimal so viele wie noch zur Jahrtausendwende.
Politisch notwendig sind daher Regulierungen, die den Tourismus drastisch eindämmen: Kreuzfahrtschiffe, die nicht ökologische Mindeststandards erfüllen, gehören aus dem Verkehr gezogen. Städte wie Dubrovnik haben ausserdem inzwischen ein Maximum an Schiffen definiert, die anlegen dürfen. Zudem braucht es Mechanismen, die nicht nur weniger Vermögende treffen – beispielsweise ein limitiertes Flugguthaben für jedeN EinzelneN. Zugleich aber wird es nicht ohne die individuelle Bereitschaft gehen, das eigene Konsumverhalten zu ändern: Möglichkeiten zur Erholung gibt es nicht nur in der Ferne. Andernfalls wird die Reiseindustrie weiter all die schönen Orte, die sie eigentlich erschliessen will, in No-go-Areas verwandeln.