DNA-Gesetz: Wenn der Staat dein Erbgut kennt
Bald schon soll die Polizei mit DNA-Spuren nach Haut- oder Haarfarben fahnden. Vor siebzehn Jahren klang die Debatte noch anders: Es sei verständlich, dem geplanten DNA-Gesetz mit «grosser Skepsis» zu begegnen, sagte die damalige Bundesrätin Ruth Metzler (CVP) in der Herbstsession 2002. Die Sorge sei jedoch unbegründet, so Metzler, da in der Strafverfolgung lediglich die nichtcodierten, stummen Sequenzen der DNA verwendet würden, die keine Rückschlüsse auf körperliche Eigenschaften zulassen.
In Zukunft will der Staat auch auf die codierten Abschnitte der DNA zugreifen. Letzte Woche stellte Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) die entsprechende Botschaft des Bundesrats vor. Bis anhin wird aus der DNA das Geschlecht herausgelesen und werden Tatortspuren mit DNA-Profilen in der polizeilichen Datenbank abgeglichen. Neu sollen nun äussere Merkmale wie Augen-, Haar- und Hautfarbe, Alter und «biogeografische Herkunft» bestimmt werden. Phänotypisierung heisst das Vorgehen, das vorerst nur bei schweren Straftaten angewendet werden soll. Zudem sieht die Gesetzesrevision vor, dass in der DNA-Datenbank auch nach Familienangehörigen einer verdächtigen Person gesucht werden darf.
Damit wird das DNA-Gesetz drastisch erweitert und erweist sich nicht zuletzt als typisches Beispiel für repressive Verschärfungen: Stehen sie erst einmal im Gesetz, werden sie zunächst schrittweise normalisiert – und dann weiter ausgebaut. 2003 beschloss das Parlament, den zuvor zeitlich beschränkten DNA-Probelauf in ein permanentes Gesetz zu giessen. Argumentiert wurde damals wie heute mit Kapitalverbrechen, etwa Mord oder Vergewaltigungen.
Doch die Praxis zeigt: Beim Grossteil der DNA-Ermittlungen handelte es sich um Fälle von kleiner bis mittlerer Kriminalität. 2018 wurden in der DNA-Datenbank schweizweit 5054 Treffer erzielt, in 3384 dieser Fälle ging es um Diebstahl und Einbrüche, in 651 um Drogendelikte. Demgegenüber in nur 76 der Fälle um Mord oder Tötung, in 104 um Sexualstraftaten. Bei Entführung, Geiselnahme und Menschenhandel gab es gar keine Treffer.
Die DNA-Analyse ist inzwischen zum massenhaft eingesetzten Instrument in der Strafverfolgung geworden – Ende 2018 zählte die Datenbank 193 857 Personenprofile. Und sie wird dabei eifrig gegen politische Proteste angewendet. Ende Juli mussten in Zürich und Basel 83 KlimaaktivistInnen DNA-Proben abgeben, weil sie die Eingänge von Grossbanken blockiert hatten. Ende Januar verurteilte das Basler Strafgericht mehrere Angeklagte, weil deren DNA-Spuren auf Alltagsgegenständen wie einer PET-Flasche oder einer Mütze in der Nähe einer unbewilligten Demonstration gefunden worden waren.
Die gegenwärtige Praxis ist bereits ohne Gesetzesrevision höchst problematisch. Nicht zuletzt, weil der DNA-Analyse zwar der Mythos der Unfehlbarkeit anhaftet, es jedoch vielfältige Grauzonen und Fehlerquellen gibt. So fahndeten die deutsche, die österreichische und die französische Polizei bis 2009 nach dem «Heilbronner Phantom», einer unbekannten Frau, deren DNA seit 1993 an mindestens vierzig Tatorten gefunden worden war. Bis sich herausstellte: Das «Phantom» war eine Fabrikarbeiterin in Polen, die die Wattestäbchen abgepackt hatte, mit denen die Spuren gesichert worden waren. Doch bevor sich dieser Irrtum aufgeklärt hatte, waren Sinti- und Romafamilien ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten – wegen der durch Phänotypisierung ermittelten osteuropäischen Herkunft der Arbeiterin.
Das Verfahren der Phänotypisierung sei eine technische Aufrüstung mit rassistischen Verstrickungen, schreiben ForscherInnen vom Berliner Verein Gen-ethisches Netzwerk. Es sei «keine Wahrheitsmaschinerie», sondern im Gegenteil «hochgradig fehleranfällig», die Ergebnisse seien vage.
Seit 2002 ist der Ruf nach mehr Law and Order stetig noch lauter geworden. Im entfesselten Sicherheitsdiskurs werden reihenweise Gesetze verschärft und Überwachungsmassnahmen ausgebaut, Grundrechte und Privatsphäre demontiert. Bis wir irgendwann gläserne BürgerInnen sind, von denen der Staat nicht nur die digitalen Daten, sondern sogar das Erbgut kennt.