DNA-Analyse: «Der Erfolg ist bisher begrenzt»

Nr. 17 –

Am 4. Mai diskutiert der Nationalrat über die Reform des DNA-Profil-Gesetzes. Es soll erlauben, Tatortspuren auf die «biogeografische Herkunft» etwaiger TäterInnen zu untersuchen. Diese Phänotypisierung sei gefährlich und basiere auf Wunschdenken, sagt die Molekularbiologin Isabelle Bartram.

«Wenn es konkrete Beispiele gibt, die den Nutzen der Phänotypisierung belegen, sind sie zumindest nicht öffentlich bekannt»: Isabelle Bartram.

WOZ: Frau Bartram, Sie sind Molekularbiologin und stehen der Phänotypisierung kritisch gegenüber. Warum?
Isabelle Bartram: Es ist ein schwerer Eingriff in den Datenschutz von allen potenziell Betroffenen – das heisst, von allen Bürgerinnen und Bürgern. Denn DNA ist etwas, das man jederzeit hinterlässt. Man kann nicht kontrollieren, ob man ein Haar oder Hautschuppen verliert. Wenn man Sachen anfasst, bleiben daran Abriebspuren mit DNA. So kann man schnell in Ermittlungen reingezogen werden, indem beispielsweise ein Gegenstand, den man angefasst hat, woanders landet.

Bis anhin wird aus unbekannten DNA-Spuren am Tatort das Geschlecht herausgelesen und sie werden mit der polizeilichen DNA-Datenbank abgeglichen. Mit der Phänotypisierung soll künftig von den unbekannten DNA-Spuren am Tatort auf äusserliche Merkmale der gesuchten Person geschlossen werden.
Anfang der nuller Jahre wurde in der Schweiz die Phänotypisierung zuletzt diskutiert. Damals wurde jedoch aus Angst vor dem «gläsernen Menschen» beschlossen, die Ermittlungskompetenzen nur auf bestimmte Stellen der DNA zu begrenzen – auf die nicht-codierenden Sequenzen. Diese haben nicht so viel persönlichen Inhalt, ausser der Identität der Person. Mit der Phänotypisierung will man nun auch die sogenannten codierten Sequenzen der DNA anschauen – und da stecken enorm viele Informationen drin. Das ist eine krasse Ausweitung! Zumal auch zweifelhaft ist, wie nützlich diese Technologie ist. Es wird zwar sehr viel versprochen, dass sie beispielsweise die Ermittlungsarbeit erleichtere. Aber bisher ist, auch international gesehen, der tatsächliche Erfolg begrenzt.

Es gibt also keine konkreten Beispiele, die den Nutzen der Phänotypisierung belegen?
Zumindest sind sie nicht öffentlich bekannt. Aber ich nehme an, wenn es wirklich erfolgreiche Beispiele gäbe, würde dies sicherlich medial aufgegriffen. Zwar wird immer wieder der Fall in den Niederlanden genannt, wo die Phänotypisierung das erste Mal angewendet wurde: 1999 wurde eine junge Frau vergewaltigt und ermordet. Daraufhin wurden zunächst Bewohner einer Asylunterkunft verdächtigt. Durch die Phänotypisierung, die in Holland damals eigentlich noch verboten war, konnten diese Menschen entlastet werden. Aber die eigentliche Frage ist dabei doch: Warum wurden sie anfangs überhaupt verdächtigt? Die Phänotypisierung ist von Beginn an deutlich mit rassistischen Debatten verknüpft – darin steckt sehr viel Gefahrenpotenzial.

Von Beginn an?
In Deutschland ist die Forderung danach zum ersten Mal nach einem Mordfall im Flugblatt einer rechten Gruppe aufgetaucht. Ein paar Tage später griffen rechte Medien das Thema auf und schliesslich auch die Mainstreammedien. Ähnliches lässt sich ebenfalls in anderen Ländern beobachten. Doch es ist keine gute Voraussetzung, in so emotional geführten, irrationalen und rassistischen Debatten die Einführung einer Technologie abzuwägen, die grosse Einschnitte in den Datenschutz hat und für viele Menschen sehr grosse Konsequenzen haben kann.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die die Gesetzesrevision vorangetrieben hat, meint: «Es ist nicht diskriminierend zu sagen, dass ich eine weisse Hautfarbe habe, oder?» Was würden Sie ihr entgegnen?
Das Problem ist vielschichtig. Einerseits basiert schon die Entwicklung dieser Technologie auf dem Problem, dass Menschen dabei rassifiziert werden. Die Systeme, die diese Proben auswerten, verwenden beispielsweise fünf Kategorien für Hautfarben. Aber das sind natürlich menschengemachte Kategorien, denn es gibt keine klar abgrenzbaren Kategorien. Das ist schon einmal falsch.

Hinzu kommt, dass in dieser Debatte vieles vermischt wird. Da ist etwa von «biogeografischer Herkunft» die Rede, dabei bezieht sich die Phänotypisierung eigentlich auf äussere Merkmale. Offenbar glaubt man, man könne Menschen ihre Herkunft ansehen oder von der genetischen Herkunft auf das Aussehen schliessen – auch das ist falsch. Und all dies passiert nicht in einem neutralen Vakuum, sondern in einer Gesellschaft mit einem strukturellen Rassismusproblem und der verbreiteten Praxis von Racial Profiling. Welche Folgen das haben kann, hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Etwa im Fall des «Heilbronner Phantoms»: Da wurden DNA-Proben von einer unbekannten Frau an ganz verschiedenen Tatorten in Deutschland, Österreich und Frankreich gefunden. In Österreich machte man eine biogeografische Herkunftsanalyse, mit dem Resultat: «osteuropäisch». Daraus resultierte, dass Hunderte Romafrauen DNA-Proben abgeben mussten. Am Ende stellte sich heraus: Es war eine Kontamination. Die DNA kam von einer Frau, die in der Wattestäbchenfabrik gearbeitet hat. Aber allein die Information «osteuropäisch» hat eben dazu geführt, dass in den Medien von der «Täterin im Zigeunermilieu» die Rede war. Wenn bei der Analyse hingegen herauskommt: «weiss und europäisch», wäre dies erst einmal das Ende der Ermittlungen, denn ein Mehrheitsmerkmal hilft nicht weiter. Das Instrument führt nur dann zu neuen Ermittlungserkenntnissen, wenn es sich um ein Minderheitenmerkmal handelt.

BefürworterInnen würden argumentieren, dass es hilft, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen.
Aber darum geht es nicht! Denn die Phänotypisierung funktioniert nicht wie ein Phantombild, sondern führt dazu, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe potenziell verdächtig gemacht wird. Sie ist eben keine neutrale Information. Die stigmatisierenden Effekte bleiben. Auch nach dem Fall «Heilbronner Phantom» liessen sich die getroffenen Aussagen und die gesellschaftliche Stimmung, die in so einer öffentlich wirksamen Ermittlung aufgebaut wird, nicht wieder rückgängig machen. Deshalb ist es eben so gefährlich.

Wie genau können denn diese Merkmale tatsächlich aus der DNA herausgelesen werden?
Das Problem ist, dass die Zahlen, die in der Debatte genannt werden, Werte aus dem Labor sind. Sie stammen aus Studien, wo man weiss, was das tatsächliche Merkmal der Person ist, die man untersucht. Das führt zu anderen Wahrscheinlichkeitswerten, als wenn man die Analyse ausserhalb des Labors in Ermittlungen verwendet – wo man nicht weiss, was die wirkliche Augenfarbe der Person ist. Zudem verändert sich der Zuverlässigkeitswert je nach dem, wie die Bevölkerung zusammengesetzt ist. In genetisch gemischteren Gebieten, wie in grösseren Städten, werden die Werte schlechter und wird die Fehlerquote höher sein.

Laut Bundesamt für Polizei liegt die «Vorhersagewahrscheinlichkeit für die weisse Hautfarbe bei 98 Prozent, für die schwarze Hautfarbe bei 95 Prozent und für Mischformen bei 84 Prozent». Und für die Augenfarben blau oder braun liege der Vorhersagewert zwischen 90 und 95 Prozent.
Das Problem ist, dass im Labor vor allem beispielsweise sehr klar braune und klar blaue Augen getestet werden. Deshalb heisst es, das sei wirklich zuverlässig und lasse sich gut zuordnen. Aber wieder: Ausserhalb des Labors haben viele Leute Zwischenfarben und -töne, dann wird es schwieriger.

Wie steht es um den Vorhersagewert des Merkmals «biogeografische Herkunft»?
Die biogeografische Herkunft kann nur Aussagen über Kontinente machen. Aber auch da wurde in den Studien die DNA von Leuten analysiert, die sozusagen repräsentativ für eine bestimmte Region sein sollen, weil sie beispielsweise dort besonders verwurzelt sind. Aber in der Realität, in der echten Welt, sehen Lebensentwürfe ganz anders aus. Da kommen sehr selten alle vier Grosseltern aus einem Dorf. Es ist komplexer – und deshalb werden die Werte entsprechend auch nicht so gut sein.

Die Wahrscheinlichkeitswerte sind demnach umstrittener als gemeinhin bekannt?
Der Zusammenhang zwischen den genetischen Markern, die ausgewertet werden, und dem Aussehen von Menschen ist nicht absolut, sondern es geht nur um statistische Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Merkmale – die im Einzelfall auch sehr gering sein können. In der Debatte werden jedoch leider falsche Versprechen gemacht, und es wird unter falschen Voraussetzungen darüber diskutiert. Zum Teil mischt sich in die Debatte mehr ein Wunschdenken ein, was man gerne von der DNA-Analyse hätte, als was tatsächlich wissenschaftlich möglich ist. Ich finde es schwach, dass von den führenden ExpertInnen in dem Bereich nicht transparenter dargelegt wird, was eben auch alles noch nicht möglich ist.

Deutschland hat sich entschieden, auf das Merkmal «biogeografische Herkunft» zu verzichten. Was waren die Gründe dafür?
Das Thema wurde verhältnismässig breit und kontrovers öffentlich diskutiert – dafür, dass es so ein Nischenthema ist. Am Ende ist zum Glück die «biogeografische Herkunft» herausgefallen. Grund dafür war, dass der Marker eben zu Stigmatisierung und rassistischer Hetze führen kann. Warum demgegenüber aber die Hautfarbe als Merkmal trotzdem ausgewertet wird, finde ich nicht nachvollziehbar.

Von BefürworterInnen der Phänotypisierung wird zudem oft angeführt, dass es seit den nuller Jahren enorme Fortschritte in der Entwicklung der Technologie gegeben habe.
Es wird zwar schon lange daran geforscht, aber ein entscheidender Fortschritt konnte in den letzten Jahren nicht erzielt werden. Aber tatsächlich war ja damals der Grund, die Phänotypisierung abzulehnen, dass man nicht wollte, dass die staatlichen Behörden Zugriff auf derart persönliche Informationen haben. Und in der Zwischenzeit untersuchten zahlreiche Studien, wie Genvarianten und bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen zusammenhängen. Aus Datenschutzgründen wäre die Technologie deshalb nach wie vor abzulehnen. Das Argument, man müsse der Technologie folgen, ist ein Fehlschluss! Man kann sich als Gesellschaft immer gegen bestimmte, gefährliche Technologien entscheiden.

Isabelle Bartram

Die Molekularbiologin Isabelle Bartram (37) arbeitet an der Universität Freiburg (D) sowie beim gemeinnützigen Verein Gen-ethisches Netzwerk in Berlin, wo sie sich mit der polizeilichen DNA-Analyse, biomedizinischer Forschung und deren gesellschaftlichen Effekten beschäftigt. Das Gen-ethische Netzwerk wurde 1986 gegründet und verfolgt seitdem die Entwicklungen in den Bio-, Gen- und Reproduktionstechnologien kritisch.