«Fall Carlos»: Das Rassismustabu
Es wurde viel über den «Fall Carlos» geschrieben. Die Rolle der Medien und der Strafvollzugsbehörden, die zur verfahrenen Situation des jungen Mannes mindestens ebenso viel beigetragen haben wie Brian K. selbst, wurde ausführlich verhandelt. Eine Frage wurde bisher jedoch ausgeblendet: jene des institutionellen Rassismus.
Die Konstruktion des schwarzen männlichen Körpers als bedrohlich ist ein uraltes kolonialrassistisches Motiv. Dass sich dieses bis heute hartnäckig hält, zeigt sich etwa im alltäglichen Racial Profiling durch BeamtInnen im öffentlichen Raum. In den tödlichen Polizeiübergriffen auf Afroamerikaner in den USA manifestiert es sich in seiner brutalsten Form. Aus den USA ist auch bekannt, dass junge Afroamerikaner zu viel höheren Strafen verurteilt werden als ihre weissen Altersgenossen mit vergleichbaren Delikten, nicht zuletzt auch, weil ihnen ihr Kindsein, ihre Jugendlichkeit abgesprochen wird. Eine Studie der American Psychological Association von 2014 belegt, dass Afroamerikaner schon ab dem Alter von zehn Jahren nicht mehr als Kinder wahrgenommen, sondern tendenziell älter sowie als «weniger unschuldig» eingeschätzt werden und entsprechend mehr Polizeigewalt erfahren.
Auch Brian K. war erst zehn, als er zum ersten Mal in Handschellen abgeführt und (unschuldig) einen Monat in einer geschlossenen Einrichtung festgehalten wurde. Mit nur zwölf Jahren verbrachte er wegen einer Auseinandersetzung mit dem Vater acht Monate im Gefängnis, oft in Einzelhaft. Mit fünfzehn wurde er in der Psychiatrie ans Bett gefesselt und medikamentös ruhiggestellt – dreizehn Tage lang. Und als er siebzehn war (da war er bereits wegen 34 Delikten verurteilt worden, unter anderem hatte er einen Achtzehnjährigen lebensgefährlich verletzt), wurde das berühmte Sondersetting aufgrund der «Blick»-Kampagne abgebrochen (vgl. «‹Die Medien werden faktisch zur Partei›» ) und K. ins Gefängnis gesteckt, obwohl er sich nichts mehr hatte zuschulden kommen lassen.
Natürlich lassen sich Verhältnisse und Erkenntnisse aus den USA nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen. Doch die Diskussion, ob beim völlig unverhältnismässigen Vorgehen der Strafvollzugsbehörden gegenüber Brian K. ähnliche rassistische Vorurteile im Spiel waren und sind, muss dringend geführt werden.