Kino-Film «Platzspitzbaby»: Harter Stoff fürs Mami

Nr. 3 –

Mami? Da liegt sie, in der Unterführung, völlig hinüber. Mia (Luna Mwezi) geht zu ihr hin, will ihr aufhelfen, da erwacht die Frau aus ihrem Stupor, und jetzt erst merkt das Mädchen, merken auch wir: Die sieht nur genau so aus wie ihre Mutter, in der Sucht gleicht jeder Junkie dem anderen. Da kommt auch schon die richtige Mutter (Sarah Spale) und tritt nun auf die fremde Frau ein, die ihre Tochter angefasst hat. Blindwütig prügelt sie auf ihr elendes Spiegelbild am Boden ein, also eigentlich auf sich selbst.

Es ist die heftigste Szene in «Platzspitzbaby» und eine, in der sich das ganze Drama kristallisiert: weil sie den Selbsthass, den die drogensüchtige Mutter sonst an ihrer Tochter auslässt, metaphorisch verdichtet, in dieser Gewalt gegen ihr eigenes Double – und das Kind steht daneben, zum Zusehen verdammt. Später bringt das Mami der elfjährigen Tochter einmal bei, wie man einen Joint dreht – und dann kiffen sie zusammen. Es ist der innigste Moment zwischen den beiden.

Bei einem solchen Stoff lauert auf der einen Seite der drastische Elendsporno, auf der anderen der Kitsch. Regisseur Pierre Monnard («Wilder») hält Abstand zu beidem in seiner sehr freien Verfilmung des autobiografischen Bestsellers von Michelle Halbheer. Meistens jedenfalls. Umso schwerer wiegen die wenigen Fehlgriffe. Die Drehbuchidee zum Beispiel, dass sich Mia zum Trost einen imaginären Gefährten erfindet, könnte plausibel sein, auch wenn das in der Buchvorlage nicht vorkommt. Aber so, wie Delio Malär als geschleckter Bohemien wie aus dem Wanderzirkus durch die Szenen spaziert, ist man nur peinlich berührt.

Sarah Spale indes spielt beängstigend gut als kaputte Mutter in der ewigen Spirale von Ausstieg und Rückfall. Und für die Verlorenheit in der Agglo, wohin die Abhängigen nach der Räumung der offenen Drogenszene am Platzspitz abgeschoben wurden, findet Monnards Film immer wieder bestechende Bilder. Viel Grün zwar, aber genauso viel Beton. Keine Landschaft, um clean zu werden.

Platzspitzbaby. Regie: Pierre Monnard. Schweiz 2020