«Madame»: Coming-out mit Oma
Im Doppelporträt «Madame» erzählt der Genfer Filmemacher und Gay-Aktivist Stéphane Riethauser seine eigene Lebensgeschichte zusammen mit derjenigen seiner 2004 verstorbenen Grossmutter – und zwar als bewusste Abrechnung mit engen Geschlechterrollen über die Generationen hinweg. Dafür konnte er auf ein reichhaltiges privates Archiv zurückgreifen – von Fotos über Tagebücher und Schulzeugnisse bis zu Familienfilmen –, das die beiden Lebensläufe in der Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert verankert.
Die Grossmutter schafft es vom bildungsfernen Einwandererkind zur erfolgreichen, kunstaffinen Unternehmerin, trotz Teenagerzwangsheirat, zwei gescheiterten Ehen und der frauenfeindlichen Geschäftswelt. Enkel Stéphane, Jahrgang 1972, wuchs als verhätschelter Spross der Genfer Bourgeoisie auf, litt aber unter dem Machismus seines Umfelds und dem lang verdrängten Bewusstsein seiner eigenen Homosexualität.
In dieser Familienchronik spiegelt sich die repressive Wirkung eines Patriarchats, in dem sich niemand richtig entfalten kann, nicht einmal die vermeintlichen «echten Kerle», wie der junge Stéphane einer hätte werden wollen. Dennoch wahrt «Madame» eine befreiende Leichtigkeit, dank nostalgischer Popsongs und des ironisierenden Einsatzes von Archivbildern. Vor allem aber dank der herzlich konspirativen Beziehung zwischen der standhaften Oma und ihrem charismatischen Enkel.
In: Solothurn, Konzertsaal, Sa, 25. Januar 2020, 17.15 Uhr, und Reithalle, Di, 28. Januar 2020, 17.45 Uhr.
Madame. Regie: Stéphane Riethauser. Schweiz 2019