Vorwahlen in den USA: Partei im Richtungskampf
Wer darf im November gegen Donald Trump antreten? Zwölf DemokratInnen sind noch im Rennen, und bald zeigt sich, wer echte Chancen auf die Nominierung hat. Vom Duell der linken FavoritInnen könnte ausgerechnet das Establishment profitieren.
Irgendwo zwischen Zweckoptimismus und Zweckpessimismus liegt zurzeit die Haltung der US-Linken. Niemand möchte sich die Blösse geben und Donald Trump ein zweites Mal unterschätzen. Der Realitätsschock vor vier Jahren hat bestätigt, dass man sich weder auf die Umfrageresultate der «New York Times» verlassen sollte, noch auf StatistikfanatikerInnen wie Nate Silver und erst recht nicht auf die orakelnden ExpertInnen der sogenannten «pundit class». Trump kann die Wiederwahl im November schaffen, diese tautologische Erkenntnis scheint zumindest bei den Allermeisten angekommen.
Die politischen AktivistInnen wissen aber, dass Defätismus kein funktionierender Motor ist. Die WahlkämpferInnen von Bernie Sanders und Elizabeth Warren, die derzeit in vielen Bundesstaaten von Tür zu Tür gehen oder Telefonlisten abarbeiten, versuchen, den Leuten vor allem aufzuzeigen, dass es sich lohnt, zur Wahl zu gehen – denn gerade die Mobilisierung der bisherigen NichtwählerInnen könnte am Ende entscheidend sein. Und sie wollen klarmachen, dass die Chancen auf einen linken oder zumindest linksliberalen Erfolg noch nie so gut standen wie jetzt.
Wohin bewegt sich die Partei?
In der Woche vor dem Iowa Caucus, dem traditionellen Auftakt der Vorwahlsaison, erscheint kaum eine Prognose wirklich abwegig. Möglich, dass sich die DemokratInnen für einen Kandidaten oder eine Kandidatin des Zentrums entscheiden und damit riskieren, die Fehler von 2016 zu wiederholen. Immer möglicher scheint aber auch, dass heute in einem Jahr ein demokratischer Sozialist im Weissen Haus sitzt. Sehr möglich bleibt dennoch, dass der faschistoide Trump am Ende eine zweite Amtszeit bekommt.
Der überstrapazierte Begriff der gesellschaftlichen Polarisierung trifft insofern zu, als die Visionen und Antworten der US-politischen Mitte noch dürftiger erscheinen als früher, weshalb die Alternativen dazu – demokratisch-pluralistisch links, nationalistisch-autoritär rechts – heute starken Widerhall finden. Fest steht, dass der Sieg Trumps vor drei Jahren sowohl die Rechte als auch die Gegenseite aktiviert hat. Das zeigt sich nicht nur daran, dass KandidatInnen wie Sanders und Warren zu den FavoritInnen im Vorwahlrennen gehören, oder daran, dass es Forderungen wie jene nach einer staatlichen Krankenversicherung oder kostenlosem Collegezugang in den vergangenen Jahren vom Rand in den Mainstream geschafft haben. Es zeigt sich vor allem daran, dass die kapitalismuskritische Bewegung auch unabhängig von SpitzenpolitikerInnen wächst. Immer mehr US-AmerikanerInnen sehnen sich nach einer neuen Politik – und arbeiten daran an der lokalen Basis.
Iowa war schon immer ein Gradmesser für die Demokratische Partei, als jeweils erster Bundesstaat, der eineN KandidatIn bestimmt. Wer hier gewinnt, hat beste Chancen, im Juli beim Parteitag in Milwaukee als SiegerIn hervorzugehen. Andersherum bedeutet eine deutliche Niederlage in Iowa das wahrscheinliche Ende einer Kandidatur – ausser natürlich für die zwei Milliardäre Michael Bloomberg und Tom Steyer, die ihre Egoprojekte unabhängig von den Erfolgschancen mit Geld künstlich am Leben zu halten vermögen.
Insgesamt zwölf DemokratInnen sind noch im Rennen, sie bilden das breite Spektrum der Partei ab. Das Ergebnis in Iowa könnte auch einen Hinweis darauf liefern, in welche Richtung sich die Democrats ganz grundsätzlich bewegen. Links zieht Bernie Sanders; der unabhängige Senator aus Vermont hat den Vorteil von vierzig Jahren Politikerfahrung, aber auch den Nachteil, mit 78 Jahren noch älter als die Konkurrenten Joe Biden (77) und Donald Trump (73) zu sein. Abgesehen davon spricht tatsächlich immer mehr für Sanders, er steht in wichtigen Umfragen (Iowa und New Hampshire) vorne, er erhält die mit Abstand meisten Einzelspenden, und er hat – auch als Folge seiner Kandidatur 2016 – eine stärkere, diversere Graswurzelunterstützung hinter sich als alle anderen KandidatInnen.
Bis vor kurzem galten Sanders und Warren noch als eine Art linkes Team. Dass die zwei allerdings nicht nur getrennt voneinander, sondern in erster Linie gegeneinander antreten, wird immer sichtbarer. Zur direkten Konfrontation kam es Mitte Januar bei der TV-Debatte in Iowa, als Warren sogar den Handschlag verweigerte. Vorausgegangen war ein CNN-Bericht, nach dem Sanders bei einem privaten Abendessen 2018 zu Warren gesagt haben soll, dass er nicht daran glaube, dass eine Frau Präsidentin der USA werden könne. Sanders widersprach vor laufender Kamera, Warren legte nach. Es steht Aussage gegen Aussage.
In den Augen der meisten WählerInnen werden die Gemeinsamkeiten von Warren und Sanders aber überwiegen, insbesondere im Gegensatz zu Trump. Beide unterstützen eine staatliche Krankenversicherung, befürworten den Green New Deal, wollen den Finanzmarkt regulieren und planen eine Reform des Immigrationssystems. Inwiefern sie diese Vorhaben umsetzen könnten, ist eine andere Frage: Solange Senat und Oberstes Gericht von RepublikanerInnen dominiert sind, werden es progressive Projekte schwer haben.
Wer profitiert vom Zweikampf?
Was die beiden KandidatInnen hingegen trennt, ist unter anderem ihre Kompromisstoleranz. Während Elizabeth Warren etwa das neue Freihandelsabkommen USMCA zwischen den USA, Kanada und Mexiko als «Erleichterung» erachtet und unterstützt, lehnt Bernie Sanders den von Trump ausgehandelten Deal ab, weil er weder BäuerInnen schütze noch Klimaschutzziele beinhalte. Aber der wohl grösste Unterschied zwischen den zwei BewerberInnen liegt in ihrer Vorstellung des Idealzustands. Warren glaubt, dass nicht das System an sich, sondern die Korruption des Systems das Problem sei. Sie plädiert für einen «verantwortungsbewussten Kapitalismus», während Sanders zu viele Strukturen sieht, die nicht zu retten seien. Er proklamiert «Our Revolution», unsere Revolution, was einerseits pointierte Wahlkampfrhetorik ist, andererseits aber durchaus auch sein Verständnis von politischen Prozessen ausdrückt. Dass die «New York Times», das Zentralorgan des Status quo, eine Wahlempfehlung für Warren und nicht für Sanders ausgesprochen hat, ist insofern nur logisch.
Seit Anfang 2019 läuft dieser Wahlkampf schon, es ist ein grösstenteils absurdes, teures und viel zu langes Schauspiel, das alle paar Wochen in eine TV-Debatte mündet, in der sich die KandidatInnen via Sprechfetzen zu positionieren versuchen. Weit interessanter war es zu beobachten, welcher Bewerberin oder welchem Bewerber sich einzelne Organisationen und PolitikerInnen anschliessen würden. Einen ersten grossen Erfolg verbuchte Sanders im Oktober, als die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, derzeit das vielleicht grösste politische Talent der USA, ihre Unterstützung bekannt gab. Bedeutend war auch die Wahlempfehlung der Klimabewegung Sunrise Movement, der Politorganisation Democratic Socialists of America sowie der Gewerkschaft der KrankenpflegerInnen. Für Warren entschieden sich unter anderem die mächtige Working Families Party und Julián Castro, der einst unter Barack Obama Bauminister war und bis Anfang dieses Jahres selbst noch zu den BewerberInnen zählte.
Je länger der Konflikt der zwei progressiven KandidatInnen anhält, desto wahrscheinlicher wird es, dass niemand von beiden die Nominierung bekommt. Darüber sind sich mittlerweile fast alle BeobachterInnen einig. Allen voran Joe Biden könnte profitieren, der ehemalige Vizepräsident, der zwar weder ein originelles Programm noch besondere Redekünste noch eine Laufbahn weiser Entscheidungen vorweisen kann (er unterstützte den Irakkrieg, befürwortete immer wieder Sozialkürzungen, war Vordenker des rassistischen Kriminalitätsgesetzes von 1994), aber bei vielen WählerInnen und dem Parteiestablishment so beliebt ist, dass seine Chancen hoch bleiben.
Als KandidatInnen der liberalen bis konservativen Mitte treten der junge Pete Buttigieg, der sich als eine Art neuer Obama inszeniert, dafür aber einfach ein bisschen zu weiss und uninspirierend ist, sowie die Senatorin Amy Klobuchar, die neben Warren von der «New York Times» als Kandidatin empfohlen wurde, an. Immer noch mit dabei ist auch Andrew Yang, der mit seiner Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens von tausend US-Dollar auffällt. Nach Iowa könnte sich dieser Kreis noch einmal deutlich verkleinern – womit vielleicht auch die kommenden TV-Debatten ein wenig interessanter werden.